Originalton

"Gut zu Fuß"

Kea "Blacky" beißt im Zoo von Frankfurt am Main in das Objektiv eines Fotografen.
Kea "Blacky" beißt im Zoo von Frankfurt am Main in das Objektiv eines Fotografen. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Patricia Görg · 03.01.2015
Der in Neuseeland lebende Bergpapagei gehört zu den neugierigsten Wesen dieser Welt. Warum sich bei der Vogelart Pfiffigkeit und Dummheit gegenseitig auf die Füße treten, schreibt Patricia Görg in ihrem "Originalton".
Im fernen Neuseeland haust ein Geselle, der zwar Flügel hat, aber sein Unheil gern in hüpfenden Trupps am Boden verrichtet. Der Kea oder Bergpapagei gehört zu den neugierigsten Wesen dieser Erde, und alles, was ihn interessiert, untersucht er, indem er es mit Schnabel und Füßen zerlegt oder zu zerlegen versucht. Er ist ein echter Forscher: draufgängerisch, unbeirrbar, mitteilsam, was sein Wissen anbelangt. Was ein Kea kann, lernen seine Kollegen schnell ebenso anzuwenden.
Die olivgrünen Vögel leben in den Bergen, oberhalb der Baumgrenze. In jener kargen Umgebung zählt jede Pfiffigkeit doppelt, wenn es darum geht, Nahrung oder Schutz vor Kälte, Regen und Schnee zu finden. Die Kultur der Keas, optisch und mündlich tradiert, ist voller Pfiffigkeiten. Mühelos öffnen sie Rucksäcke von Wandertouristen, durchwühlen verschlossen gewesene Mülltonnen, nähern sich Menschen bis auf wenige Meter, um zu beobachten, was es zu lernen gibt.
Besonders angetan haben es ihnen geparkte Autos: Sie eruieren die Tür- und Fensterdichtungsgummis, knicken die Scheibenwischer in unorthodoxe Stellungen, entfernen die Außenspiegel, analysieren, welchen Zugkräften das Nummernschild standhält und rütteln am Auspuff, den sie offensichtlich für ein Rohrleitungssystem in den Bergen gebrauchen könnten.
Schafzüchter, die hochgelegene Weiden bewirtschaften, bezichtigen die Keas überdies einer Ungeheuerlichkeit: Sie würden sich nicht nur an die Kadaver gestürzter, verendeter Schafe heranmachen, sondern sich auf lebenden Exemplaren festkrallen, ihnen die Haut aufhacken und ihre Innereien freilegen, um an das Nierenfett zu kommen. Seit dieses Gerücht in der Welt ist, wurden unzählige Keas von Schafzüchtern erschossen.
Ihre überlebenden Artgenossen sitzen derweil auf neuseeländischen Hausdächern und begehen wie jeder Forscher auch böse Irrtümer. Genüsslich ziehen sie alte Nägel aus den Dächern, halten sie im Fuss, um daran zu knabbern, sterben bald darauf an Bleivergiftung. Trotzdem üben sie – geschickt wie Mundmaler, wie Akrobaten im Ungewissen – die Kunst der Entdeckung aus.
Unter kontrollierten Versuchsbedingungen bewiesen sie: Bergpapageien können Bolzen-, Schraub- und Splint-Verschlüsse öffnen sowie ihr eigenes Spiegelbild erkennen.
Der zweite Intelligenztest läuft momentan im neuseeländischen Freiland. Umweltschützer, die Fallen gegen Hermeline aufgestellt haben, müssen in einem schon mehrjährigen Feldversuch erleben, wie die Keas ihnen ihre immer wieder modifizierten Konstruktionen jedes Mal aufs Neue unbrauchbar machen, indem sie mit Stöcken den Ködermechanismus auslösen, die Fallen in ihre Bestandteile zerlegen, oder sie einfach umkippen, obwohl sie siebenfach schwerer als ihr eigenes Körpergewicht sind.
Pfiffigkeit und Dummheit treten sich allerdings hier in einem akrobatischen Zirkelschluss gegenseitig auf die Füße, denn die herbeihüpfenden Zerstörer verhindern das Einfangen eines Feindes, der die Keas durch Eierraub endgültig zu dezimieren droht.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. Der Originalton stammt heute von Patricia Görg, die im vergangenen Jahr ihre Originalton-Serie "Hand und Fuß" nannte. "Gut zu Fuß" ist ein noch nicht gesendeter Beitrag der Reihe.

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