Originalton

Die Teefrauen von Khartum

Von Stefan Weidner · 19.08.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche liest Stefan Weidner Klassiker der Reiseliteratur neu.
Die Stadt Khartum liegt am Beginn der Gabel, welche durch die Vereinigung des weißen und des blauen Flusses, der beiden großen Arme des Nils, gebildet wird.
Ich wunderte mich, auf dem Bazar die abessinischen Sklaven fast ebenso teuer als in Kahira zu finden, doch war eine viel größere Auswahl schöner Mädchen hier vorhanden. Dieser Handelsartikel war so anziehend, dass mein Kammerdiener Ackermann, der Dragoman und mein Koch alle zugleich bei mir um die Erlaubnis einkamen, sich mit dieser, wie sie versicherten, ihnen nun bei so weiter Reise "unentbehrlich gewordenen Ware" versehen zu dürfen, und da sie mir dabei nicht undeutlich zu verstehen gaben, dass sie im Weigerungsfall sich nach einem anderen Dienst umsehen müssten, ich aber hier ihrer nötiger bedurfte, als sie meiner, so musste ich nachgeben.
(Zitat aus: Hermann von Pückler-Muskau: "Orientalische Reisen", 1837)
Die Stelle, wo der Nil sich gabelt in den Blauen und Weißen Nil, habe ich gesehen, aber der Sklavenmarkt mit den schönen Abessinierinnen ist verschwunden. Stattdessen gibt es, während es sonst in Khartum gar nichts mehr gibt (keine Kinos, keine Buchhandlungen, keine Theater, keine Cafés, keinen Alkohol) – stattdessen gibt es die Teefrauen. Überall wo nur ein Fleckchen Schatten ist, unter einem Baum, an einem Mäuerchen, einer Hauswand, in den verkommenen öffentlichen Parks sitzen sie, jung und alt, schön und hässlich, käuflich und tugendhaft, in wunderbar bunten Kleidern, immer zu Scherzen aufgelegt. Vor sich haben sie in einem Kohlenbecken die Glut, zwei Eimer, einen für reines Wasser, einen zum Spülen, haben ein paar Tassen und farbig emaillierte Kesselchen für Tee oder Kaffee und einen Mörser, mit dem die Kaffeebohnen zerstoßen werden. So hocken sie da, die Teefrauen von Khartum, und sie beherrschen die Straße, das Viertel, sind Blockwarte, Ersatzmütter, Gerüchteküchen, Sozialämter, Flüchtlingsheime, Großfamilie, Arbeitsagenturen, Heiratsvermittler und bösen Zungen zufolge auch Zuhälterinnen. Vor allem aber brauen sie Kaffee und Tee. Es ist sehr einfach, sich zu ihnen in die Runde zu setzen, auf einen kleinen bunten Plastikhocker. Schon bin ich Teil der Gemeinschaft, werde ausgefragt und höre mir fremde Geschichten an. Woher diese Menschen alle kommen! Ich treffe einen Journalisten aus Südsudan, der vor dem Bürgerkrieg hierhin geflohen ist und weiter nach Ägypten möchte; Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die ein eigenartiges Arabisch sprechen; und schließlich einen jungen Mann aus Syrien, der gut Englisch kann, ebenfalls einem Krieg entkommen. Jetzt flüchten sie sogar schon aus Syrien nach Khartum!
Da bekomme ich endlich meinen Kaffee serviert. Ich habe die Variante mit allen Zutaten gewählt, vorsichtig nippe ich daran. So etwas habe ich noch nie getrunken. Dieser "Kaffee" ist zugleich bitter und süß, scharf, säuerlich und parfümiert, gekräutert und gesalzen. Er schmeckt, als hätten die Teefrauen von Khartum sich vorgenommen, mit diesem Getränk die Welt zu heilen.
Der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Stefan Weidner hält am 16.09.2011 im Friedenssaal im Rathaus in Osnabrück eine Laudatio.
Der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Stefan Weidner © picture-alliance / dpa / Friso Gentsch

Stefan Weidner, Jahrgang 1967, arbeitet als Autor, Übersetzer und Literaturkritiker. Er hat zahlreiche Lyriker aus dem Arabischen übersetzt, darunter Adonis und Mahmud Darwisch - und er reist viel.

Für Deutschlandradio Kultur hat er Klassiker der Reiseliteratur neu gelesen - und mit eigenen Reiseerfahrungen kombiniert. Die ersten Folgen liefen in der Sendung "Lesart" als Sommerreihe "Mit Büchern reisen". Nun wird die Serie in der Rubrik "Originalton" fortgesetzt.

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