Originalton

Ausgerechnet Neukölln, Teil 2

Die Weserstraße in Berlin-Neukölln: Hier sprechen viele Jugendliche Englisch und Spanisch.
Die Weserstraße in Berlin-Neukölln: Hier sprechen viele Jugendliche Englisch und Spanisch. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Daniel Schreiber · 30.09.2014
Daniel Schreiber wäre um die Jahrtausendwende nie freiwillig in den Berliner Stadtteil Neukölln gezogen. Heute könne er nirgendwo glücklicher sein - und meint: So etwas wie Neukölln kann man nur in diesem neuen Deutschland finden.
Früher wäre ich nie freiwillig nach Neukölln gezogen. Um die Jahrtausendwende habe ich in Berlin studiert. Damals sah die Stadt noch völlig anders aus. Der Potsdamer Platz war eine Großbaustelle. Menschen von anderswoher zu begegnen hatte immer noch einen gewissen Seltenheitswert. Wollte man anständige Pasta kaufen, musste man zu einem Feinkostladen oder ins KaDeWe. In vielen Ecken hing noch ein gewisser Mief. In Ostberlin roch es nach Braunkohle, in Westberlin nach Bier und nach Hundeexkrementen.
Meistens erschien es wie eine durchaus vernünftige Entscheidung, seine Zeit feiernd zu verbringen. In irgendwelchen Bars oder Clubs im Prenzlauer Berg, der damals noch als cool galt. So lange, bis am nächsten Tag die Sonne wieder aufging. An den Himmel über der Stadt erinnere ich mich aus irgendeinem Grund vor allem als ein tief hängendes, undurchdringliches Grau. Eigentlich kann es gar nicht sein, aber ich habe selbst die Sommer jener Jahre als durchweg verregnet in Erinnerung.
Neukölln war der unvorstellbare Tiefpunkt jenes Jahrtausendwende-Berlins. Es war der Ort, wohin die dunkle Seite des alten, ohnehin nicht besonders lebensfrohen Westens, verdrängt worden war. Neukölln, das war noch schlimmer als Wedding.
Dunkles Niemandsland hoffnungsloser Menschen
Immer war man hier der Gefahr ausgesetzt, angepöbelt zu werden. Von Deutschen, die schon viele Jahre vom Amt unterstützt wurden. Von türkischen Teenagern, die nichts zu tun hatten. Der Landwehrkanal kam mir damals wie eine Stadtgrenze vor. Die dortige Ankerklause, ein beliebtes Lokal, glich dem letzten Außenstützpunkt der Zivilisation. Dahinter befand sich ein dunkles Niemandsland mit hoffnungslosen Menschen in kaputten Altbauwohnungen. Ein Niemandsland von unsäglicher Tristesse.
Heute, nach einem ungeplanten, längeren Zwischenstopp in New York, wohne ich direkt auf der Sonnenallee im Zentrum Neuköllns und könnte nicht glücklicher damit sein. Meine Mitbewohnerin aus Brooklyn, eine dicke jüdische Köchin, ist auch hergezogen und wohnt zwei Häuser weiter. Ihr war es drüben ebenfalls zu teuer geworden.
Immer noch sieht es hier weitestgehend abgeranzt aus. Aber inzwischen trifft man auf die besten Hamburger- und Baklava-Läden Berlins, auf japanische Cafés, die Matcha-Latte verkaufen, auf koreanische Restaurants und Bio-Bäckereien. Nirgends kann man besser ausgehen als zwischen Weserstraße und Schillerkiez. Und über all dem schwebt ein ganz eigenes, aufgeregtes Sprachgemisch: Mit dem Deutsch, dem Arabisch und dem Türkisch der Einheimischen vermengen sich so selbstverständlich das Englisch und das Spanisch modischer Jugendlicher aus der ganzen Welt, als sei das schon immer so gewesen.
So etwas wie Neukölln, hat man den Eindruck, das kann man nur in diesem neuen Deutschland finden. Neukölln liegt in Germany.
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