Organspende

Eine quälende Frage

Von Thomas Gith · 07.12.2013
Die meisten Menschen in Deutschland haben keinen Organspendeausweis. Deshalb müssen oft die Angehörigen entscheiden, ob ihrem hirntoten Kind oder Partner ein Organ entnommen werden darf. Diese Situation ist für alle Beteiligten belastend.
Andreas Müller möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Jahrelang litt er unter einer Herzschwäche. Dennoch konnte er seinen Alltag lange Zeit bewältigen. Anfang dieses Jahres verschlechterte sich sein Zustand dramatisch.
Müller:„Bevor ich hier ins Herzzentrum ging, an dem Wochenende, habe ich zu meiner Frau gesagt, mein Zustand ist so, wenn da jetzt nicht noch was machbar wäre, von medizinischer Seite, habe ich das Gefühl, das kann nicht mehr lange gehen. Aber ich hatte nie Angst zu sterben. Weil ich eben immer wusste, da ist noch was möglich.“
Sein Herz drohte zu versagen – und das, obwohl er gerade einmal Anfang 40 ist. Der zweifache Vater dachte daher erstmals an eine Transplantation.
„Meine Erkrankung war eine so genannte dilatative Kardiomyopathie. Das heißt, das Herz ist einfach durch eine Virusinfektion, die irgendwann mal unbemerkt abgelaufen ist, extrem geschwächt. Die hinterlässt Narben und führt dazu, dass der Herzmuskel sich immer weiter vergrößert und die Pumpkraft immer weiter abnimmt. Und es waren eben immer heftige und wie die Ärzte mir mehrfach gesagt haben lebensgefährliche Rhythmusstörungen da.“
Andreas Müller spricht mit seinen Ärzten über eine Herztransplantation – und kommt schließlich auf die Warteliste bei Eurotransplant, eingestuft als hochdringlich. Für ihn beginnt jetzt eine ungewisse Zeit des Wartens.
Viel plötzlicher und abrupter überschlagen sich die Ereignisse bei Margot Grund.
„Ich erzähle ihnen gerne von meiner Tochter. Ich habe drei Töchter: Christina, Monika und Marita und die Monika, die Mittlere, ist am 10. Februar verstorben, das kam sehr, sehr plötzlich, sie ist umgefallen, und sie hatte ein Aneurysma gehabt, das ist geplatzt, und sie war hirntot.“
Mit Anfang 40 erliegt ihre Tochter Monika dem Hirntod. Ihr Kreislauf kann zwar aufrecht erhalten werden und auch die Organe funktionieren noch. Doch neurologisch zeigt sie keinerlei Reaktionen mehr. Ein Schock für die Mutter – der von einem zweiten Ereignis überlagert wird.
„Stimm doch zu, die Organe bringen ihr jetzt nichts mehr“
Margot Grund: „Am nächsten Morgen haben wir dann mit einem Pfarrer Abschied genommen und dann trat ein Arzt auf mich zu, ob ich mir das überlegt hätte, mit der Organspende und ich habe gesagt nein, ich möchte es nicht. Inzwischen kam auch meine Tochter aus Köln hinzu, die selber Ärztin ist, und die dann gesagt hat, stimm dem doch zu, die Organe bringen ihr jetzt nichts mehr, sie ist tot, wir könnten noch anderen Menschen helfen.“
Als nächste Angehörige muss Margot Grund über die Organentnahme entscheiden. Denn ihre verstorbene Tochter hatte zwar einen Partner und ein Kind, doch verheiratet war sie nicht – und auch einen Organspendeausweis besitzt Monika Grund nicht. Nur die Mutter kann daher die quälende Frage beantworten – auch wenn ihre Familie sie dabei unterstützt.
Margot Grund: „Und der Lebensgefährte meiner verstorbenen Tochter sagte auch, aber es war ihr Wunsch, sie wollte, sie hatten drüber gesprochen. Meine beiden andern Töchter haben auch gesagt, stell dir vor, wir würden ein Organ benötigen oder deine Enkelkinder, wie du dann empfinden würdest. Und das hat mir auch letztendlich den letzten Ruck gegeben.“
Margot Grund willigt der Organentnahme schließlich zu – einem Prozess, der bis auf dem Weg zum Empfänger komplett anonymisiert ablaufen wird. Denn Andreas Müller und Margot Grund kennen sich nicht – und direkt verbindet sie auch nichts miteinander. Beide aber haben die Höhen und Tiefen erlebt, die mit einer Organspende einhergehen. Die Angehörigen von Spendern quält dabei häufig die Entscheidung, so wie Margot Grund - und die aktuellen Transplantationsskandale haben die oft bestehenden Zweifel nur noch vertieft. Und für die Empfänger ist das Warten auf ein Organ oft enorm belastend, sagt die Psychosomatikerin Christina Papachristou von der Berliner Charité.
„Was jetzt Herzpatienten angeht oder Leberpatienten, es geht wirklich darum, dem Empfänger die Gelegenheit zu geben, auch mit dieser Situation, in der er sich befindet, zurecht zu kommen. Und darum, sich mit dem Thema Todesangst und Tod zu konfrontieren. Und zu überlegen, wie will ich auch eigentlich diese Zeit, die ich habe, noch verbringen.“
Ist die Entscheidung getroffen, geht alles sehr schnell
Rund 11.000 sterbenskranke Menschen warten derzeit bundesweit auf ein Spenderorgan. Und wie lange die Betroffene jeweils etwa auf ein Herz oder eine Leber warten müssen, weiß niemand. Schließlich sind Spenderorgane rar – und durch die Transplantationsskandale ist die ohnehin geringe Bereitschaft, ein Organ zu spenden, noch weiter zurückgegangen.
Für Transplantationspatienten wie Andreas Müller heißt das: Noch längere Wartezeiten und noch mehr Unsicherheit können die Folge sein.
Andreas Müller: „Also man muss schon sagen, man kriegt hier frühzeitig beigebracht, wenn man sich für eine Transplantation entscheidet, heißt das natürlich keineswegs, ich sage ja und dann läuft die Sache. Es ist, eben auf Grund der fehlenden Spenderorgane heutzutage, ebenso ein von mir empfundenes großes Glück gewesen, dass eben nach zwei Monaten ein Herz da war.“
Denn erst der plötzliche Hirntod eines Menschen, verbunden mit der anschließenden Organentnahme, ermöglicht einem anderen die Chance weiterzuleben. Ist die Entscheidung getroffen, einen hirntoten Menschen zu explantieren, geht alles ganz schnell.
Auch Monika Grund wurden sofort nach der Spendenzusage Organe entnommen, erzählt ihre Mutter.
„Herz und Lunge, beide Nieren, dann die Leber und die Pankreas, also die Bauchspeicheldrüse. Und die Nieren, so viel wie ich weiß, kann immer nur einer bekommen. Also einer eine Niere, so dass man auch zwei Menschen helfen kann.“
Gibt es eine Spenderin wie Monika Grund, sucht Eurotransplant für deren Organe so schnell wie möglich passende Empfänger. Sind die ausgemacht, kommt der nächste Schritt: Die Organe müssen entnommen und möglichst bald transplantiert werden. Denn die so genannte Ischämiezeit, in der das Organ nicht mit Blut versorgt ist, gilt es so kurz wie möglich zu halten. Professor Roland Hetzer, Direktor am Deutschen Herzzentrum.
„Also wir hatten zum Beispiel jetzt ein Spenderorgan aus Lyon in Frankreich, das wurde mit einem Sonderflugzeug, mit einem Jet, transportiert und damit war die Ischämiezeit: Entnahme, Transport, Implantation, bis zur Wiederdurchblutung, diese Zeit blieb bei 4 Stunden und 15 Minuten.“
Passt das Organ wirklich?
Für die Organempfänger geht bei diesem Prozess ebenfalls alles rasend schnell: Sie werden informiert, das ein Organ vorliegt und das die Transplantation schnell eingeleitet werden muss.
Auch Andreas Müller erreichte die Nachricht überplötzlich, ein Wechselbad der Gefühle!
„In dem Moment ist es auf jeden Fall erstmal eine große Überraschung, Sie sind so ein bisschen vor den Kopf gestoßen. Aber Sie wissen natürlich, dass das jetzt eine sehr, sehr positive Nachricht ist. Allerdings glauben sie es noch nicht so richtig am Anfang, denn man sagt ihnen auch von Anfang an, es kann auch sein, dass ein Herz dann doch nicht passt und ich habe dann eigentlich, bis ich in den OP kam, immer so ein bisschen Zweifel gehabt, ob es nicht doch wieder abgeblasen wird sozusagen.“
Doch die Operation findet statt. Andreas Müller wird in den OP gerollt, unter Narkose gesetzt, an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Sein Brustkorb wird geöffnet, das kranke Herz operativ entfernt - und das neue direkt im Anschluss eingepflanzt und dann mit Blut versorgt. Herzchirurg Roland Hetzer.
„Wenn dies alles ganz reibungslos vor sich geht und das Spenderorgan ansonsten keine eigenen Schäden hat, dann fängt das Herz sofort zu schlagen an, wenn es wieder durchblutet wird und es übernimmt in den meisten Fällen auch wieder einen normalen Rhythmus. Und dann kann man die Operation mit der Abnahme von der Herz-Lungen-Maschine beenden, in der Regel nach ein, zwei, drei Stunden.“
Trotz des neuen Organs weiterhin Beschwerden
Auch bei Andreas Müller klappte alles reibungslos – nach der Transplantation war er daher enorm erleichtert.
„Das große Glücksgefühl, kann man wirklich nur so nennen, war dann wirklich nach der OP, als ich aufgewacht bin und man mir wirklich bestätigt hat, das da jetzt ein neues Herz drin ist, ja.“
Für Patienten wie Andreas Müller beginnt anschließend ein monatelanger Genesungsprozess. Ihr neues Organ funktioniert jetzt zwar – doch ihre Erkrankung wird sie weiterhin begleiten, sagt Psychosomatikerin Christina Papachristou.
„Sie sind weiter mit der Erkrankung konfrontiert und sie müssen weiter regelmäßig zur Kontrolle gehen. Sie müssen Immunsuppressiva einnehmen, sie müssen auf die Nebenwirkungen der Immunsuppressiva achten. Also die Erwartung, ich bin dann komplett fit und habe gar keine Beschwerden, gar keine Sorgen, dass gibt es auch nicht.“
Doch trotz Nebenwirkungen: Das Organ ermöglicht ein neues Leben. Von wem es kommt, wissen die Empfänger nicht. Und auch den Angehörigen der Spender bleibt verborgen, wem die Organe eingepflanzt wurden. Diese Anonymität ist gewollt und rechtlich vorgeschrieben. Was aber möglich ist: Die Empfänger können einen anonymen Dankesbrief schreiben und weiterleiten lassen – und die Angehörigen der Spender erhalten allgemeine Informationen, wenn sie möchten. Für Margot Grund ein Herzenswunsch.
„Und ich habe einen Brief bekommen, in dem eben steht, dass alle Organe von ihr angenommen wurden und also auch bis heute kein Organ abgestorben ist. Und ich würde mich, es geht ja leider nur anonym, vielleicht über einen brieflichen Kontakt sehr, sehr freuen, ja.“
„Ich bin hochgradig dankbar, wirklich sehr dankbar“
Anonymität ist wichtig, unter anderem, damit keine Abhängigkeiten zwischen den Beteiligten entstehen. Eines aber ist gewiss: Das Leben von Andreas Müller wurde durch ein Spenderherz gerettet – und die Organe von Monika Grund haben es mehreren Menschen ermöglicht weiterzuleben.
Margot Grund: „So habe ich das Gefühl, das meine Entscheidung richtig war. Und ja, wir konnten sechs Menschen helfen auf diese Art noch weiterhin zu leben. Und ich denke mal, das ist doch eine sinnvolle Sache, auch wenn ich erst dagegen war. Aber, ja, es war richtig.“
Andreas Müller: „Ich bin dem Menschen, der sein Leben verloren hat und durch den ich dieses Herz bekommen habe, hochgradig dankbar, wirklich sehr dankbar, dass ich da von jemandem das Herz bekommen konnte.“
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