Ordnung im Chaos

Von Frank Grotelüschen · 24.02.2008
Am 24. Februar 1958 hielt Werner Heisenberg an der Universität Göttingen einen Vortrag, der legendär werden sollte. Er stellte seine "Einheitliche Theorie der Elementarteilchen" vor - eine Theorie mit dem Anspruch, das Verhalten der kleinsten Materiebausteine in einer einzigen Gleichung zu beschreiben.
"Ich spiele selbst Klavier. Der Älteste spielt Geige, die Tochter spielt Klavier, dann kommt ein Cellist, dann kommt ein Flötist, dann kommen zwei Geiger."

Er liebte die Musik. So zum Beispiel die Fugen von Bach mit ihrem symmetrischen Aufbau und ihrer nahezu mathematischen Schönheit. Um Symmetrie und Schönheit ging es Werner Heisenberg auch in seinem Schaffensgebiet, der Physik.

Schon als 23-Jähriger wurde Heisenberg zu einem Revolutionär der Naturwissenschaften: 1925 begründete er die Quantenmechanik, einen der Eckpfeiler der modernen Physik. Sie beschreibt den Mikrokosmos, also die Welt der Moleküle und Atome. Die Anschauungskraft scheitert schnell an dieser Theorie: In der Welt der Quanten regiert der Zufall, denn in manchen Situationen können sich Teilchen völlig unvorhersehbar verhalten.

Dennoch gilt die Quantenmechanik als die erfolgreichste Theorie des 20. Jahrhunderts. Unzählige technische Erfindungen beruhen auf ihr, darunter CD-Player, Mikroprozessor und Solarzelle. 1932 erhielt Heisenberg für seine Beiträge zur Quantenmechanik den Nobelpreis für Physik. Und:

"Aus seinen etwa hundert wissenschaftlichen Arbeiten sind mindestens 80 ganz hervorragend: Die Unbestimmtheits-Relationen, die er gefunden hatte, um die Quantenmechanik zu deuten. Dann hat er 1929 die Quantenfeld-Theorie begründet. 1932 hat er die Kernkräfte eingeführt","

sagt Helmut Rechenberg, Leiter des Werner-Heisenberg-Archivs. Während des Zweiten Weltkriegs war Heisenberg in das Uranprojekt involviert. Im Auftrag der Nationalsozialisten sollte es ausloten, inwieweit sich die gerade entdeckte Kernspaltung zivil oder militärisch nutzen ließe. Heisenbergs Rolle im Uranprojekt ist bis heute umstritten. Dann, in den fünfziger Jahren, bemühte er sich um den ganz großen Wurf - eine "Einheitliche Theorie der Elementarteilchen".

""Nach dem Krieg wurden eine ganze Menge neuer Elementarteilchen entdeckt. Und man sah auch, dass sie sich ineinander verwandeln. Da sagte Heisenberg: Aha, ich mache eine neue Theorie. Sie soll so eine Art Urfeld, einen Urstoff enthalten, der nicht mit irgendeinem Elementarteilchen identisch ist. Und er hat 1958 einen Vorschlag gemacht und versucht, ihn anzuwenden."

Am 24. Februar 1958 stellte Heisenberg der Fachwelt seine "Einheitliche Theorie der Elementarteilchen" vor, und zwar im Physikalischen Kolloquium der Universität Göttingen. Damit versuchte er, das Chaos der Elementarteilchen auf einen Schlag in Ordnung zu bringen. Der Kern der Theorie sollte aus einer einzigen Formel bestehen. Bekannt wurde sie als "Weltformel" – ein Begriff, den Heisenberg selber als irreführend empfand. Es sollte bei seiner Theorie ja nicht darum gehen, die ganze Welt mit einer einzigen Formel zu erklären, sondern nur die Welt der kleinsten Teilchen.

"Diese Bezeichnung 'Weltformel’, die wir Physiker natürlich gar nicht lieben, ist wohl dadurch zustande gekommen, dass es sich dabei um ein Naturgesetz handelt, das vielleicht einen etwas allgemeineren Charakter hat als die sonst in der Physik häufig formulierten Naturgesetze. Aber wenn diese Theorie richtig ist, dann ist es ja eine Grundstruktur der Natur, die natürlich auch maßgebend ist für die Welt im Großen."

Heisenberg nahm an, dass sämtliche Teilchen, da sie sich ineinander umwandeln können, aus ein- und derselben Substanz gemacht seien.

"Ich möchte die Elementarteilchen eigentlich nur als verschiedene Formen auffassen, in die sich die Energie begeben muss, um zu Materie zu werden. Diese Formen sind wohl im Wesentlichen die einzigen Formen, die es gibt. Ich glaube nicht, dass man davon reden sollte, dass diese Elementarteilchen weiter zerlegt werden können."

Die meisten Fachkollegen standen Heisenbergs Hypothese skeptisch gegenüber. Und tatsächlich: In den 60er Jahren sollte sie sich als Irrtum herausstellen. Damals entdeckte man, dass sich die Elementarteilchen sehr wohl weiter zerlegen lassen, und zwar in sogenannte Quarks. Damit war Heisenbergs Theorie hinfällig. Der Nobelpreisträger war gescheitert – ähnlich übrigens wie Albert Einstein, der ebenfalls nach einer Weltformel gesucht hatte. Die Vision der beiden Wissenschaftler aber lebt weiter – und zwar als eine Hypothese namens Stringtheorie.

""Strings sind kleine Fädchen oder auch kleine Schleifen. In der Stringtheorie stellt man sich vor, dass die gesamte Materie im Universum aus diesen kleinen Strings aufgebaut ist","

sagt Dieter Lüst vom Max-Planck-Institut für Physik in München. Nur: Ob diese Theorie stimmt, weiß keiner. Und das bedeutet: Die Physiker suchen immer noch nach einer Gleichung, die den Aufbau der Materie in einer einzigen Formel beschreibt.