Orange Revolution

Von Jürgen Stratmann · 08.02.2009
Bemerkenswert, was für eine kämpferische Atmosphäre Kulinarisches Kino erzeugen kann. Sie büßte auch in der anschließenden Podiumsdiskussion nichts von ihrer prickelnden Hochspannung ein. Das stärkste Statement zur Eröffnung dieser Reihe gelang aber Sternekoch Tim Raue. Er hatte Kürbis-Möhre-Ingwer-Suppe für alle 1200 Besucher gekocht.
"Ich eß Blumen, weil Tiere tun mir leid, lieber Akazien als den dicken fetten Schinken, ..."

Es ist ja wirklich so, Berlinale, das ist ja nicht nur´n Filmfest, also, was die alles machen, doch, doch - und jetzt sogar Ernährungsberatung - Prädikat: besonders wertvoll, und das Publikum erwartet das auch...

"... aufklärerisch, didaktisch und pädagogisch ..."

... so soll er sein, der kulinarische Film - und das hat ja auch eine lange Tradition in der Kinokultur, wenn auch mit wechselnden Schwerpunkten: interessierten sich Filmkünstler in den 70ern noch eher für die gesundheitlichen Folgen dekadent-obsessiv-erotischer Ausschweifungen - unvergesslich: Michel Piccoli, Alain Delon, Marcello Mastroianni in "Das große Fressen".

Trat dagegen in den 80ern Kritik an Völlerei an sich, an der auto-agressiv brutalen Vulgarität des fetten Fressers in den Vordergrund - man denke nur an Monty Pythons Mr Creosote aus "Der Sinn des Lebens", eine Kino-Ikone, dieser eklige Klops, der, nach überreichlichem Mal, vom Kellner zum Dessert genötigt, dann einfach zerplatzt.

Der aktuelle Diskurs scheint dagegen von viel weitergehenden Fragestellungen dominiert, es geht weniger um das warum oder wie viel, sondern vielmehr um das "was"! - wo kommt Nahrung her, wie wird sie produziert -

Ausschnitt: "This isn´t just about, what we´re eating - this is about: what we´re allowed to say! what we´re allowed to know - it´s not just our health, that´s it risk!"

Die Haltung der großen Nahrungsmittelkonzerne, so der Vorwurf der amerikanischen Doku "Food Inc." sei heute: Du darfst zwar alles essen, aber noch lange nicht alles wissen - und damit müsse jetzt Schluss sein..

Ausschnitt: "We were preaching a kind of a new religion - but we were preaching to the convinced ..."

Man habe jahrelang die frohe Botschaft einer vernünftigen Ernährung nur den eh schon Gläubigen gepredigt, jetzt sollen es alle erfahren, weil es nichts bringe, als David gegen Goliath zu kämpfen, man müsse jetzt endlich zum Goliath werden..

Bemerkenswert, was für eine kämpferische Atmosphäre Kulinarisches Kino erzeugen kann, eine Atmosphäre, die auch in der anschließenden Podiumsdiskussion nichts von prickelnder Hochspannung einbüßte, mit Statements, die postuliert wurden, wie in Erz gegossen

Künast: "Wir sind mächtiger, als man glaubt, denn: wenn wir alle nicht Coca Cola trinken ..."

... dann werden wir am Ende siegreich sein! aber das stärkste Statement zur Eröffnung dieser Kulinarischen Kinoreihe gelang dann doch einem absoluten Experten in diesen Dingen: Sternekoch Tim Raue hatte gekocht, für alle 1200 Besucher, und zwar:

"Was Vegetarisches ..."

... aber nicht irgendwas Vegetarisches sondern:

"... einen Eintopf aus Kürbis, Möhren und Ingwer"

Kürbis-Möhre-Ingwer - das ist keine Zutatenliste, sondern ein Bekenntnis! Kürbis-Möhren-Ingwer-Suppe, das ist das Chili-Con-Carne des veganen Widerstands, Orange die Farbe der freundlichen Revolution, spirituell anregend wie eine Prozession tanzender Sannyasins, nicht bloß Eintopf, sondern Annektion ayurvedischer Wunderkost für den aufgeklärten Mittelstand, und der Kürbis, dieser pumperl-pralle Kobold vom Bio-Bauernhof, verleiht er dem ganzen nicht obendrein noch einen possierlichen Zug ins kinderweltlich-märchenhafte - wobei Kritiker eher von einem Zug ins baby-breiig Schlumpumpige sprechen - aber egal - das Premiere-Volk war begeistert:

#"... ganz hervorragend ..."

... und - wieder mal: ganz großes Kino ...