Opulenter Untergang

21.03.2012
Miklós Bánffys Epos "Die Schrift in Flammen", erschienen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, gehört in die Reihe jener Großwerke, die den Untergang der Donaumonarchie opulent inszenieren. Es ist eine heute ziemlich exotisch anmutende Darstellung der Siebenbürger Aristokratie in den Jahren 1904 bis 1914.
Opulente Bälle, Jagdvergnügen, alberne, aber leider bisweilen tödliche Duelle, komplexe Intrigen, sogar ein Mord – es wird viel geboten in diesem Roman. Zwei Cousins sind die Hauptfiguren. Bálint Abády ist ein Weltmann voller Idealismus, der die Verhältnisse in der Provinz bessern will, sich allerdings in den Niederungen der Tagespolitik schwer tut. Lázlo Gyerõffy ist ein begabter Musiker und komponiert. Als Waisenkind bei wohlhabenden Verwandten aufgewachsen, treibt ihn die innere Unruhe. Zunehmend verfällt er dem hasardeurhaften Spiel und dem Alkohol. Der Roman enthält die besten Kasino-Szenen seit Dostojewski.

Dazu kommen große Liebesgeschichten: entweder Schulden und Liebe – oder Schuld und Liebe. Zwischen Lázlo und Klára entwickelt sich eine bittere Komödie der Missverständnisse, zwischen Bálint Abády und Adrienne Uzdy eine große Oper von Leidenschaft und Entsagung. Denn der routinierte Frauenheld Bálint trifft mit Adrienne auf eine von ihrem Ehemann sexuell traumatisierte Mädchenfrau, bei der ihm sein eigenes, sonst so selbstverständlich genossenes Verlangen plötzlich als ungut und unzumutbar erscheint. Manchmal liegt ein Hauch von Edelkitsch über der Darstellung dieser Liebe, wie bei Sándor Márai. Aber man schmachtet gerne mit. Denn Bánffy ist ein begnadeter Menschenschilderer.

Höhepunkte sind die Kapitel, in denen Bálint durch winterliche Gebirgslandschaften streift, über denen sonnendurchleuchtete Schneeschleier wehen. Er verbringt Nächte am Feuer, im Kreis rumänischer Holzfäller – epische Gegengewichte zu den Gesellschaftsszenen. Immer wieder kollidiert sein Idealismus mit der Realität. Dass er eine Genossenschaft einrichten und eine Volksbibliothek stiften will, erzeugt bei den Betroffenen eher Unruhe als Glücksgefühle; die Armen sind argwöhnisch. Als clevere Verhinderer von Reformen erweisen sich die etablierten Honoratioren.

In den politischen Passagen geht es um die Niederungen der Siebenbürger Landespolitik und die Winkelzüge von Provinzpotentaten. Diese oft etwas hölzern dargebotenen Vorgänge machen deutlich: Es rumort mächtig im österreichisch-ungarischen Gefüge. Nationalisten richten ihren Hass gegen Wien, während sie zugleich die rumänische Minderheit magyarisieren wollen. Der politische Betrieb erweist sich in Bánffys Darstellung einmal mehr als Jahrmarkt der Eitelkeiten. Parteigezänk, Postengeschacher, Wichtigtuerei, Hohlheit – insofern sind die Vorgänge durchaus epochenübergreifend.

Die Schieflage der Gesellschaft wird auf jeder Seite deutlich. Immerhin verliert Bánffy die Leiden der "einfachen" Menschen nicht ganz aus dem Blick. Es gibt Nebenfiguren wie den verbitterten Hauslehrer András Jópál, der eine Flugmaschine erfunden hat. Einer Zofe Adriennes wird übel mitgespielt vom Butler, der das weibliche Personal einer Art "Sultans-Herrschaft" unterworfen hat. "Die Schrift in Flammen" ist Menetekel und Melodrama. Eine große Lektüre, bei der sich die melancholische Beschreibungsgenauigkeit eines Joseph Roth mit der Süffigkeit eines ungarischen "Vom Winde verweht" verbindet.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Miklós Bánffy: Die Schrift in Flammen
Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka
Zsolnay Verlag, Wien 2012,
800 Seiten, 27,90 Euro