Opposition ohne Schlagkraft

Von Stephan Detjen · 25.09.2013
Sollten Union und SPD ein Regierungsbündnis schmieden, würde die Opposition nur aus einem Fünftel der Bundestagsabgeordneten bestehen. Wichtiger Druck- und Kontrollmittel wäre sie damit beraubt.
Dieter Wiefelspütz ist auf dem Weg zu seiner letzten Sitzung mit der SPD-Bundestagsfraktion. 26 Jahre gehörte er ihr an. Wann immer es um Fragen des Verfassungs- und Parlamentsrechts ging, war Wiefelspütz derjenige, der für seine Partei eine Antwort fand. Doch das Problem, das er jetzt auf den Bundestag zukommen sieht, verschlägt auch ihm erst einmal fast die Sprache:

"Das ist ein richtiger Hammer, den Sie da ansprechen, über den vermutlich der größte Teil der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht nachgedacht hat: Was das für eine Bedeutung hat, wenn es eine solche Große Koalition gibt."

Zahnlose Opposition
Die Mehrheit, die eine Große Koalition im neuen Bundestag hätte, wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht im wahrsten Sinne des Wortes erdrückend. Denn nur noch ein Fünftel der Abgeordneten würde künftig den beiden Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen angehören. Das heißt: Zentrale Machtinstrumente, die das Grundgesetz der Opposition in die Hand gibt, könnten von dieser Minderheit nicht mehr genutzt werden. Für die Einberufung von Untersuchungsausschüssen, die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in Normenkontrollverfahren und die Prüfung von EU-Recht vor dem Europäischen Gerichtshof müssen mindestens ein Viertel der Abgeordneten stimmen, für die Einberufung von Sondersitzungen des Bundestages ein Drittel - mehr, als die künftige Opposition noch auf die Waage bringen würde.

"So etwas kann Demokratie ersticken," fürchtet Dieter Wiefelspütz.

Gregor Gysi dämmerte schon am Morgen nach der Wahl, dass er mit der Linkspartei zwar die größte Oppositionspartei führen würde - und dennoch durch die Viertel- und Drittelquoren des Grundgesetzes der schlagkräftigsten Druck- und Kontrollmittel der Opposition beraubt wäre:

"Irgendeinen Ausweg müssen wir finden. Wir können doch nicht vier Jahre lang auf Rechte verzichten, die im Grundgesetz extra für die Opposition eingeführt worden waren."

Gysi will eine Änderung der Geschäftsordnung anregen, um zum Beispiel die Hürde für die Einberufung von Untersuchungsausschüssen zu senken. Tatsächlich aber müsste dafür eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes mobilisiert werden:

"Ja, beim Untersuchungsausschuss bin ich jetzt davon ausgegangen, dass das in erster Linie in der Geschäftsordnung geregelt ist. Aber das können wir nochmal nachgucken."

Selbst dem gewieften Gysi ist die ganze Dimension der Beschränkungen noch gar nicht bewusst, mit denen er als künftiger Oppositionsführer konfrontiert wäre.

Schulterzucken bei der Union
Die letzte Große Koalition war 2008 immerhin noch auf die damalige Opposition aus FDP und Grünen zugegangen und hat eine Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht, um die dahin geltenden Zustimmungserfordernisse von einem Drittel auf ein Viertel der Abgeordneten zu senken. Der damalige rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Jerzy Montag, glaubte, damit seien wichtige Oppositionsrechte auch für die Zukunft gesichert worden:

"25 Prozent haben wir erkämpft, weil wir dachten, 25 Prozent wird die Opposition immer zusammenbringen - man lernt nie aus."

Dass eine Große Koalition aus Union und SPD bereit sein könnte, das Grundgesetz noch einmal zu ändern, um eine künftige Mini-Opposition zu stärken, mag kaum ein Grüner oder Linker glauben. Und tatsächlich stößt man bei der Union erst einmal auf Schulterzucken:

"Ja, das werden wir uns dann genau anschauen, aber dass die Opposition so schwach ist, ist nicht die Schuld der Parlamentsmehrheit," meint der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach - und eilt davon.
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