Opposition mit Sprengkraft

Von Katajun Amirpur · 23.11.2009
Atomwaffen sind unislamisch. Das sagt die iranische Staatsführung wiederholt. Doch die Welt fragt sich: Kann man diesen Beteuerungen trauen?
Jetzt hat sich mit dem Großajatollah Hossein Ali Montazeri der ranghöchste Rechtsgelehrte Irans und einer der schärfsten Kritiker des Regimes mit einer Fatwa zu dieser Frage geäußert. Der ranghöchste Rechtsgelehrte? Zwar ist Revolutionsführer Ajatollah Khamenei das religiös-politische Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, doch Montazeri steht in der klerikalen Hierarchie über ihm.

Er gilt als der größere Gelehrte. Da sich jeder Schiit eine "Quelle der Nachahmung" suchen muss, der er in religiösen Fragen Folge leistet, sind dessen Äußerungen für Millionen von Gläubigen bindend.

In den Achtzigerjahren war Montazeri als Nachfolger von Staatsgründer Khomeyni vorgesehen. Doch als seine Kritik an den Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik immer lauter wurde, fiel Montazeri in Ungnade: Er widmete sich fortan der Lehre. Erst 1997 meldete sich Montazeri mit einer aufsehenerregenden Erklärung in der Öffentlichkeit zurück: Mit einem Offenen Brief an den damals neu gewählten, reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami. Diesen forderte er zu umfangreichen Reformen auf und zu Mut und Tatkraft gegenüber dem Revolutionsführer, den er als Diktator bezeichnete.

Die Verfassungsväter, zu denen auch Montazeri selbst zählt, hätten nämlich nie im Sinn gehabt, eine religiöse Diktatur zu installieren. Der Revolutionsführer sollte die drei Staatsgewalten nur beaufsichtigen und darüber wachen, dass die Gesetze nicht gegen den Islam verstoßen, sich aber nicht in die Tagespolitik einmischen. 1979 habe das Volk für eine Republik votiert, also die Herrschaft des Volkes.

Auch bei dem Aufruhr gegen die offenkundigen Fälschungen der Präsidentschaftswahlen vom Juni meldete sich Montazeri zu Wort. Er stellte sich hinter die Demonstranten und verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden. Eine Herrschaft, die auf Knüppeln basiere, sei, so sagte er, illegitim.

Nun hat die Oppositionsbewegung, die sogenannte Grüne Bewegung, den Großajatollah um ein Rechtsgutachten zur Atomfrage gebeten. "Der Bau und der Einsatz von Atomwaffen und Massenvernichtungswaffen sind aus vernunftmäßigen und religionsgesetzlichen Gründen verboten", antwortet Montazeri. Als Grund für das Verbot nennt er die verheerende Wirkung der Waffen und das generelle Tötungsverbot des Islams.

Im Gegensatz zu Ali Khamenei gilt Montazeri als glaubwürdig. Denn in den Augen der Opposition besteht für einen Herrscher wie Khamenei nicht mehr länger die Unschuldsvermutung, weder in Bezug auf die ihm unterstellte Fälschung der Wahlen noch auf den Einsatz von Atomwaffen.

Natürlich gibt es einen Anlass dafür, warum die Oppositionsbewegung diese Atom-Fatwa gerade jetzt initiiert. Sie erklärt selbst, daß die Fatwa eine Antwort auf die immer wieder gestellte Frage sei, wie sich die Opposition in Bezug auf das Thema Atomwaffen von den "abenteuersuchenden Führern Irans unterscheidet". Die Oppositionsbewegung will sagen, dass von ihr, wäre sie an der Macht, keine Gefahr ausgehen würde - im Gegensatz zu einem Iran unter den gegenwärtigen Herrschenden, denen man nicht trauen könne.

Das bedeutet nicht, dass diese inneriranische Opposition für einen gewaltsamen Regimewechsel von außen plädiert. Im Gegenteil. Sie hat sich immer wieder deutlich gegen einen Militärschlag ausgesprochen. Denn er würde die iranische Demokratiebewegung um Jahrzehnte zurückwerfen. Und das Regime längerfristig kaum vom Bau der Atombombe abhalten.


Katajun Amirpur, geboren 1971 in Köln, wo sie als Journalistin arbeitet. Sie befasst sich vor allem mit schiitischer Theologie.