Opposition

Kurz und kritisch

Der Majdan in Kiew.
Der Majdan in Kiew. © picture alliance / dpa / Peter Klaunzer
20.04.2014
Rund 30 Autoren meldeten sich im Februar in der Ukraine mit einer Flugschrift zu Wort. Dass sie nun von den Ereignissen überholt zu sein scheint, nimmt nichts von der Aussagekraft. Außerdem: Miron Białoszewskis geheimes Tagebuch und Notizen von Witold Gombrowicz.
Es werde ein hartes Stück Arbeit werden, auf den Ruinen einer abgelaufenen Zeit eine neue Ukraine bauen. Sie ahnten, was ihnen bevorsteht, dabei wussten sie noch gar, dass sie ihren Präsidenten stürzen werden, die Halbinsel Krim verlieren und der Nachbarschaftsstreit mit Russland eskalieren würde.
Als sie ihre Eindrücke und Erwartungen aufschrieben, waren die Proteste auf dem Majdan in Kiew wie im ganzen Land noch im Gange. Die rund 30 Autoren meldeten sich mitten aus dem Geschehen zu Wort in einer Flugschrift, die im Februar fertiggestellt wurde.
Dass sie nun von den Ereignissen überholt zu sein scheint, nimmt nichts von der Aussagekraft der ukrainischen Intellektuellen. Sie sind überwältigt von der Ausdauer, dem Mut der Demonstranten und erbost über die Brutalität der Polizei.
Sie sind sich nicht sicher, aber erwarten eigentlich nicht, dass die russisch-sprachigen Landesteile abgespalten werden, denn dies sei eine Revolution der Jugend quer durch die Ukraine, die keine Angst vor Veränderung habe, die andere Werte teile als die Älteren, die ein totalitäres, korruptes System ablehne und in einem Rechtsstaat nach europäischem Vorbild leben wolle, die empört ist darüber, dass die kommunale Infrastruktur zerfällt, das Land in Schulden versinkt.

MAJDAN! Ukraine, Europa. Eine Flugschrift
herausgegeben von Claudia Dathe und Andreas Rostek
Edition.fotoTAPETA Berlin
160 Seiten, 9,90 Euro

Er war Zeuge der Zerstörung Warschaus und Chronist des Polens der Nachkriegszeit. Er hielt sich die Gesellschaft, mit der er verkehrte und über die er schrieb, auf Distanz, bewahrte sich persönliche Freiheit und innere Unabhängigkeit, war skeptisch gegenüber Religion und Ideologien geworden.
Miron Białoszewski, Jahrgang 1922 - Dichter, Autor, Theatermacher, führte die letzten Jahre seines Leben ein Tagebuch, von 1975 bis 1983 während der politisch spannenden Zeit der polnischen Opposition. Wohl weißlich hat er erlaubt, es erst jetzt, lange nach seinem Tode, zu veröffentlichen, denn er berichtete recht ehrlich, ja schonungslos, wie er seinen Zeitgenossen begegnete, die der Herausgeber akribisch für den Leser identifiziert.
Dieser erfährt Persönliches eines Warschauer Prominenten, das mal belanglos oder alltäglich daherkommt, mal aber tief zu berühren vermag. Etwa, wenn er den Großvater verstehen kann, der sich ob seiner Krankheit das Leben nimmt, ihm Respekt zollt, weil er es auf gekonnte Weise tat, dann aber dem Alten verübelt, dass er ihn vor Verwandten und Freunden in Erklärungsnot brachte.

Das geheime Tagebuch von Miron Białoszewski
Edition fotoTAPETA Berlin
432 Seiten, 24,80 Euro

Er war 1939 von Warschau nach Buenos Aires ausgewandert und kehrte 1963 aus Argentinien nach Europa zurück – erst nach Paris, dann nach Berlin und lebte schließlich bis zu seinem Tod in Südfrankreich.
Witold Gombrowicz, Jahrgang 1904, glaubte, sich als prominenter Schriftsteller um seine Heimat verdient gemacht zu haben. Von dort aber wurde er angefeindet, weil er das kommunistische Polen nicht mochte. Im Westteil Berlins, wo er ein Jahr lang gemeinsam mit Ingeborg Bachmann zu den ersten Stipendiaten der Ford Foundation gehörte, in der geteilten Stadt spürte er, wie fremd ihm Europa geworden war.
Der Weltbürger mit lateinamerikanischem Blick sah sich von Menschen umgeben, die vorwärts strebten, ohne dass er hätte sagen können wohin. Die Literatenszene fand er langweilig und für die deutschen Kollegen galt er als oberflächlich, nicht dialogfähig.
Ihn interessierte die Jugend, die er als völlig losgelöst von Politik und Geschichte erlebte. Ob er später mit den 68ern hätte etwas anfangen können, bleibt eine Frage. Es scheint, als vermutete er im einen Teil der Stadt, was er im anderen vermisste: im östlichen hätten sie menschliche Tiefe, im westlichen das komfortable Inselleben gehabt.

Berliner Notizen von Witold Gombrowicz
ebenfalls Edition.fotoTAPETA Berlin
128 Seiten, 16,80 Euro