Oper

Vom Township auf die Opernbühne

Ronan Collett (l-r), Andre Morsch, Rebecca von Lipinski und Pumeza Matshikiza singen am 21.07.2012 in der Hauptprobe der Oper "Don Giovanni" im Opernhaus in Stuttgart.
Ronan Collett (l-r), Andre Morsch, Rebecca von Lipinski und Pumeza Matshikiza singen in der Hauptprobe der Oper "Don Giovanni" im Opernhaus in Stuttgart. © picture alliance / dpa / A.T.Schäfer
Von Carolin Pirich · 24.03.2014
Als Pumeza Matshikiza durch Zufall im Radio eine Mozart-Oper hört, will sie fortan selbst nur noch Opern singen. Doch ihr Weg vom Getto in Südafrika an die Staatsoper Stuttgart war so auch für sie nicht vorhersehbar.
Pumeza Matshikiza stützt die Ellenbogen auf den Flügel und singt mit geschlossenen Augen ein südafrikanisches Volkslied in ihrer Muttersprache Xhosa: Der "Clicksong". Mit ihrem Pianisten James Baillieu probt sie für einen Auftritt in der südafrikanischen Botschaft. Beide Musiker stammen aus Südafrika; seine Hautfarbe ist weiß, ihre schwarz.
Pumeza Matshikiza:"It portrays the landscape and you have the feeling of walking in the villages ..."
James Baillieu: "And these arrangements I like very much because it creates a feeling of space."
Pumeza Matshikiza: "Ja!"
James Baillieu: "Which I think is a very african landscape."
Pumeza Matshikiza: "Ja! When I get out of the plane in Capetown and I look up, the sky is faaaar away, unlike in Europe where the sky is so close to you."
Die beiden Musiker sind sich einig: Die Musik porträtiert die Weite und Größe Afrikas. Wenn sie in Kapstadt aus dem Flugzeug steige, sagt Pumeza Matshikiza, dann stelle sie immer wieder fest: Der Himmel scheint viel höher und weiter zu sein als der in Europa.
"Ich hatte als Kind keinen besonderen Berufswunsch, aber ich wusste, ich wollte reisen. Andere Mädchen aus meiner Straße sprachen übers Heiraten und so weiter, aber ich wollte immer die Welt sehen. Wir wussten damals kaum etwas von anderen Ländern, aber ich wollte den Kontakt zu anderen Menschen, wollte sehen, wie sie leben."
Nach der Probe setzt sich Pumeza Matshikiza auf ein Sofa, die Beine schlägt sie übereinander, die Hände legt sie in den Schoß. Ihre schwarzen krausen Haare hat sie in viele kleine Zöpfe geflochten; knallblaue Ohrhänger blitzen hervor, wenn sie den Kopf bewegt. Sie wirkt abwartend, sogar schüchtern; eine große, attraktive Frau von Mitte 30.
Eine von der Apartheid geprägte Kindheit
Anfangs spricht sie in kurzen, knappen Sätzen, als befürchte sie, zu viel zu erzählen. Aufgewachsen ist Pumeza Matshikiza in den Townships von Südafrika. Ihre Kindheit ist von der Apartheid geprägt, von der sogenannten Rassentrennung. Der Vater stirbt, als sie noch klein ist, und die Mutter zieht mit Pumeza und ihren beiden Brüdern mehrmals um, immer auf der Suche nach einem Job.
"Ich erinnere mich, wie die Schwarzen auf die Straße gingen mit großen Plakaten, die Nelson Mandelas Gesicht zeigten. 'Befreit Nelson Mandela', riefen sie. Dann kam die Polizei dazwischen, sie riefen in die Lautsprecher, sie benutzten Tränengas, sie schossen in die Luft. Und wenn die trotzdem weitermarschierten, schossen sie direkt auf die Menschen."
Wenn Pumeza Matshikiza über Musik spricht, taut sie auf. Dann fließen die Sätze aus ihr heraus. Musik, das ist eine Konstante in ihrer Kindheit: Die Mutter, die damals als Putzfrau arbeitet, singt viel mit den Kindern. Pumeza besucht die Schule und den Kirchenchor. Schule, Kirche, Chor, Schule, Kirche, Chor - das ist der Rhythmus ihrer Tage. Sie ist 14 oder 15, als sie mit dem Radio herumspielt und auf eine Oper von Wolfgang Amadeus Mozart stößt.
"Ich hörte diese wunderschöne Musik und dachte, mein Gott, ich möchte so singen können! Wie machen sie das bloß?"
Oper als Leidenschaft
Sie geht in die Bücherei und hört sich jede Platte mit klassischer Musik an, die sie finden kann. In den Townships gibt es niemanden, mit dem sie über ihre Leidenschaft reden kann. Es gibt sonst niemanden, der Opernarien kennt.
Pumeza ist gut in Mathe, ein Lehrer empfiehlt ihr, Vermessungswesen zu studieren. Sie leiht sich Geld, beginnt das Studium - aber kann die Musik nicht loslassen. Sie wagt es: Sie macht die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Kapstadt - und besteht. Aber einmal von klassischer Musik zu leben, in Südafrika und als schwarze Sopranistin dazu?
"Es ist unheimlich. Ich bin eigentlich nicht mutig. Oft habe ich große Zweifel und Angst, Angst vor mir selbst. Trotzdem: ein Teil von mir, der zieht mich in eine Richtung, der muss einfach machen. Ich musste das tun."
Was dann kommt, klingt wie ein Märchen. Ein südafrikanischer Komponist spricht sie an, sie touren mit seinem Stück in Europa. Pumeza singt an der Royal Academy of Music in London vor - und erhält ein Vollstipendium.
Britische Journalisten schreiben, sie habe eine der aufregendsten neuen Opernstimmen. Sie sagen ihr eine große Karriere voraus. Und jetzt hat Pumeza Matshikiza einen Dreijahresvertrag an der Staatsoper Stuttgart.
"Es ist seltsam. Vor allem dann, wenn mich andere Leute daran erinnern und sagen, mein Gott, Pumeza, woher du kommst, und wo du jetzt bist, du hast so hart gearbeitet. Habe ich das? Ja stimmt, denke ich, das ist wirklich erstaunlich. Aber ich fühle das nicht wirklich. Es ist einfach so passiert."
Einfach so passiert, sagt sie. Es sieht aber auch so aus, als hätte Pumeza Matshikiza ihre Bestimmung gefunden - und machte ihrem Namen alle Ehre. Pumeza - in ihrer Muttersprache Xhosa, erzählt sie, bedeute der Name: Erfüllung.
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