Oper

Tschaikowsky schon im Mutterleib

Die Schauspieler Rebekka Reister (l, Hester Prynne) und Marius Adam (Roger Chillingworth) stehen bei einer Fotoprobe des Stückes «Der scharlachrote Buchstabe» in der Hamburger Kammeroper in Hamburg auf der Bühne. ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Nutzung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur bei vollständiger Nennung der Quelle «Foto: Joachim Flügel/Hamburger Kammeroper/dpa»)
Die Oper "Der scharlachrote Buchstabe" in der Hamburger Kammeroper © Joachim Flügel/Hamburger Kammeroper/dpa
Von Stefanie Oswalt · 09.05.2014
Die Kammeroper Hamburg bringt Frederic Krolls "Der scharlachrote Buchstabe" auf die Bühne. Für den Literaturwissenschaftler wird damit ein Traum wahr. Die Oper ist für ihn auch Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Identität.
Hamburger Kammeroper. Uraufführung. Ein schmaler, schüchterner Mann mit schütterem Haar sitzt auf einem der 200 etwas schmuddeligen Plüschstühle im Auditorium und singt die Melodien im Stillen mit. Niemand kennt sie besser als er. Denn der 69-jährige Frederic Kroll hat sie als Schüler komponiert. Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert erfüllt sich sein Lebenstraum: Seine Oper hat es endlich auf eine Bühne geschafft.
"Ich habe den Roman als Pflichtlektüre fürs Gymnasium gelesen mit fünfzehn und habe sofort die Urfassung des Vorspiels komponiert, das habe ich dann zwei Jahre später überarbeitet. Und ich hab dann die Oper für Klavier und Gesang vollendet kurz vor meinem 20. Geburtstag... Und erst 2007 bis 2010 habe ich die Instrumentation für vollständiges Orchester geschrieben."
Die Geschichte der jungen Esther Prynne, eine verheiratete Frau, die im puritanischen Neuengland Ehebruch mit einem Priester begeht und deshalb gesellschaftlich geächtet wird, hat Kroll ein Leben lang beschäftigt.
"Ich war schon in meiner Kindheit ein Außenseiter wie Hester Prynne in meiner Oper und ich wollte es auch sein."
Von den Klassenkameraden geschnitten, flüchtet er sich in Musik und Literatur
Die Klassenkameraden verprügelten den schmächtigen, frühreifen Kroll. Er flüchtete sich in die Musik und die Literatur. Tschaikowsky wurde der Fluchtpunkt seiner eigenen Sehnsüchte und das Vorbild seiner eigenen Kompositionen.
"Tschaikowsky... Ich muss ihn schon im Mutterschoß gehört haben. Er war der Einzige, der immer da war und der mich immer verstanden hat. Der ist für mich das, was für normale Menschen Vater und Mutter sind."
Auch zu Vater und Mutter nämlich, war das Verhältnis nicht ungetrübt: Beide stammten von jüdischen Einwanderern ab, die aus Furcht vor Pogromen noch vor dem Ersten Weltkrieg aus Weißrussland und Odessa in die USA flohen und sich im New Yorker Stadtteil Brooklyn niederließen.
"Ich glaube, meine Eltern haben ihre Depressionen verdrängt und an mich delegiert, natürlich völlig unbewusst..."
Die Entwurzelung aus der europäischen Heimat hat seine Familie nie verwunden, glaubt Kroll.
"Das Wort Europa hat mich verzaubert, ohne dass ich ahnte warum"
"...als ich noch ganz klein war, da ging mein Vater mit mir an den Strand von Coney Island, was natürlich noch ganz städtisch ist und sagte – was eine bodenlose Übertreibung war: 'on a clear day you can see to Europe.' Und das war das erste Mal, dass ich das Wort 'Europa' gehört habe, und das hat mich sofort verzaubert, ohne dass ich im Geringsten ahnte, warum."
Und dann erst die europäische Opernkultur!
"Ich verkehrte damals in Brooklyn in einem Kreis von Opernliebhabern und wir haben alle auf die Metropolitan Opera geschimpft, die sei so schlecht, das Kulturleben in den USA sei überhaupt total provinziell und verarmt und wir wollten alle nach Europa. Und ich bin der Einzige, der tatsächlich gefahren und hier geblieben ist."
Umzug nach Deutschland, Studium der Literaturwissenschaften
Kroll ging Deutschland, trotz der nationalsozialistischen Vergangenheit. Und weil sich niemand für seine neoromantischen Kompositionen interessierte, studierte er in Freiburg Literaturwissenschaften.
"Ich habe mich für jüdische Gemeinden in Deutschland nicht interessiert, aber ich habe mich für die Judenverfolgung lebhaft interessiert. Die Arbeit über Klaus Mann kam auch aus diesem Interesse mit heraus..."
Dreißig Jahre lang erforschte er das Leben des Schriftstellers, schrieb dessen Biografie in acht Bänden. Dann wandte sich danach wieder seiner Oper zu.
Opernausschnitt "Kennt Ihr schon die Strafe dieser Sünderin? Sie muss ein scharlachrotes Zeichen sichtbar tragen ein Leben lang."
Das scharlachrote Zeichen tragen ein Leben lang."
"Der scharlachrote Buchstabe selbst nimmt eindeutig den Judenstern der Nazis um 300 Jahre vorweg... Hester wird angeprangert, sie wird aus der Gesellschaft ausgestoßen. Sie darf mit niemanden mehr sprechen, niemand darf mit ihr mehr sprechen. Und im Dritten Reich ging das natürlich nicht schlagartig wie es das bei Hester Prynne gab, aber die Juden wurden im Laufe der Geschichte in Deutschland von 1933 bis 1939 oder im Extremfall bis 1942 immer weiter gegen die Wand gedrängt, immer mehr Lebenssphären wurden den Juden weggenommen..."
Ausgrenzung als zeitloses Thema
Assoziationen, die sich aus der Biographie Krolls erklären. Für den normalen Opernbesucher mögen sie sich erst auf den zweiten Blick erschließen. Aber das Thema Ausgrenzung ist für Kroll ohnehin zeitlos:
"Die Menschen brauchen immer einen Sündenbock. Das hat sich bis heute gar nicht so sehr geändert."
Und wie geht es für ihn musikalisch weiter? Frederic Kroll grinst. Russisch natürlich. Er arbeitet schon an einer Vertonung von Dostojewskis Novelle „Weiße Nächte." Tschaikowsky wird sicher wieder mitklingen.