Oper

Totalschaden mit "Tosca"

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Michael Volle (Scarpia) und Anja Kampe (Floria Tosca) im Schiller Theater in Berlin. © © HERMANN UND CLÄRCHEN BAUS / Staatsoper im Schiller Theater
Von Uwe Friedrich · 03.10.2014
Eigentlich bietet Puccinis spektakuläre Oper ausreichend Stoff für einen spannenden Abend. Die Inszenierung von Alvis Hermanis an der Berliner Staatsoper ist allerdings "nichts als mit vollen Händen herausgeworfenes Geld", findet unser Kritiker.
Eifersucht, Folter, Vergewaltigung, Erschießung und ein spektakulärer Suizid als handlungstreibende Element zeugen von der Herkunft dieser Oper vom blutrünstigen Boulevardtheater, wie es im 19. Jahrhundert vor allem in Paris gepflegt wurde. Mit großem Gespür für Theaterwirkungen hat Giacomo Puccini das Schauspiel um die impulsive Opernsängerin Tosca zu einem schnellen Musikdrama mit hoher Ariendichte umgearbeitet.
Von alledem will Alvis Hermanis jedoch nichts wissen. Er lässt die Sänger an der Rampe agieren, als hätten sie bloß eine Verständigungsprobe ohne Regisseur gehabt – man fragt sich wirklich, ob die Beteiligten sich vor der Premiere überhaupt gemeinsame Zeit auf der Probebühne verbracht haben.
Deprimierender szenischer Totalschaden
Ein Regisseur darf fast alles mit einer Oper machen, zumal auf deutschen Bühnen. Zeitlich verlegen, bearbeiten, intakt lassen, nur vollkommen lustlos ignorieren sollte er sie nicht. Allerdings passiert ein derart deprimierender szenischer Totalschaden wie nun im Berliner Schillertheater zu besichtigen ist, nicht zufällig. In einem künstlerisch intakten Opernhaus müssen Regisseure und Bühnenbildner ihre Konzepte mit zeitlichem Sicherheitsabstand vorstellen, mit dem Intendanten, dem Dirigenten und der Dramaturgie besprechen, so dass die künstlerische Leitung des Hauses gegebenenfalls früh genug eingreifen kann. Das ist an der Berliner Staatsoper entweder nicht geschehen oder Intendant, Generalmusikdirektor und Dramaturgie haben jegliches Interesse daran verloren, was bei ihnen auf die Bühne kommt.
Dieses szenische Arrangement zum Nationalfeiertag ist jedenfalls nichts anderes als mit vollen Händen herausgeworfenes Geld (über das die Berliner Staatsoper offenbar noch immer in beträchtlichen Mengen verfügt), zumal noch bis vor kurzem eine uralte aber immer noch funktionstüchtige Inszenierung des Werks gespielt wurde, die dieser Neuproduktion in jeder Hinsicht überlegen war.
Hilflose Doppelung
Das Bühnenbild von Kristine Jurjane besteht im Wesentlichen aus einer zweiteiligen Wand mit Barockdekor. Unten werden die Schauplätze (Kirche, Palast, Burg) mit einigen Requisiten aufgebaut, während oben scherzhaft „Graphic Novel“ genannte Bildchen derselben Geschichte gezeigt werden. Unten agieren die Sänger unbeholfen in Kostümen der Entstehungszeit der Oper um 1900, während die gezeichneten Akteure oben in Kostümen der Zeit der Handlung hundert Jahre früher zu sehen sind. Das ist nichts anderes als eine hilflose Doppelung, denn auf beiden Ebenen dominieren gereckte Arme, barmende Hände und weit aufgerissene Augen, auf den Bildern ist alles vielleicht etwas dramatischer.
Kostümiertes Konzert also, das jedoch durch die musikalische Leitung des Generalmusikdirektors Daniel Barenboim sehr leidet. Der hat für seine erste Puccini-Oper die stilistische Entscheidung getroffen, alle Effekte so langsam und so laut wie möglich zu zelebrieren. So sentimentalisiert er die Partitur und zelebriert jeden der genau kalkulierten Effekte in ermüdender Weise. Während die Partitur schon immer unter Kitschverdacht stand, weil jeder Musik die Stellen ankreuzen an, an denen das Publikum weinen soll, kommt nun ein neuer Verdacht dazu, nämlich dass Puccinis Musik billig und abgeschmackt ist.
Der Zauber entwickelt sich nicht
Zudem ist das Werk in dieser Sichtweise extrem sängerunfreundlich. Der wackere Tenor Fabio Sartori als freiheitsliebender Maler Mario Cavaradossi versucht immer wieder, den Maestro zu einer schnelleren Gangart zu bewegen, hat jedoch keinerlei Erfolg.So bröckeln ihm die Linien weg, verdorren die Töne, kann der Schmelz von Puccinis Melodien nie seinen Zauber entwickeln.
Anja Kampe, gefeierte Sängerin des deutschen dramatischen Repertoires, versucht das erst gar nicht, sondern freut sich schon, wenn sie die richtigen Töne erreicht. Eine aufblühende Höhe, berührende Klänge der verzweifelt liebenden Opernsängerin Floria Tosca, wie sie gerade diese Oper dringend braucht, bleiben ein Wunschtraum. Der Bariton Michael Volle, gerade zum „Sänger des Jahres“ gewählt, geht durch die Partie des furchteinflößenden Polizeichefs wie ein experimentierfreudiger Schlachter durch den Ochsen. Er findet mal hier ein Filetstück, mal dort eine Sehne, weiß aber nicht so recht, was er mit den Einzelteilen anfangen soll und lässt auch das Publikum einigermaßen ratlos zurück. Der Mann hat eine großartige Stimme und kann zweifellos etwas damit anfangen, so aber weiß niemand, wozu das gut sein soll. Auf traurige Weise fügt sich diese Ratlosigkeit in den Gesamteindruck der quälenden Premiere.