Online-Portal Uebermedien.de

Mehr als ein schnell geschriebener Medien-Blog

Screenshot des neuen Online-Portals uebermedien.de
Screenshot des neuen Online-Portals uebermedien.de © Screenshot uebermedien.de, 14.01.2016
Von Stefan Keim · 13.01.2016
Das neue Online-Portal Uebermedien.de von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz entlarvt Journalismus der peinlichsten Machart - meinungsfreudig und pointiert. Aber auch positive Phänomene werden von den Medienjournalisten beleuchtet.
"Nach Medienberichten haben unabhängige Redakteure ein eigenes Medienportal ins Internet gestellt."
"Wichtige Nachricht" steht als erstes auf der Webseite: "Übermedien gestartet." Der Link führt zu einem Zusammenschnitt verschiedener Sendungen der Tagesschau.
"Dabei geht es inbesondere um Zeitungen, Fernsehen, Blogs, Youtuber, Facebook, Radiowellen und ihre Arbeit und Kritik an Journalisten bis an ihre Schmerzgrenze."
Der Opener setzt das Signal: Auf dieser Seite geht es meinungsfreudig zu, manchmal auch satirisch und sogar selbstironisch.
"Dazu werden Hunderttausende Besucher erwartet."
Kein Verschweigen, aber ein Abwägen
Uebermedien.de macht an seinem Starttag die Berichterstattung über Verbrechen in und nach der Silvesternacht in Köln zum wichtigsten Thema. Stefan Niggemeier, einer der beiden Herausgeber, kritisiert, dass viele Medien nun bei Straftaten die Nationalität der Täter erwähnen. Obwohl sie mit der Sache selbst – auch nach Meinung der Polizei – überhaupt nichts zu tun hat.
Innenminister Thomas de Maizière hat gefordert, die Herkunft von Tätern zu benennen – als Reaktion auf das zeitweilige Herunterspielen der Gewalt gegen Frauen durch Migranten. Das widerspricht aber den Richtlinien des deutschen Pressekodex. Der verlangt einen "begründeten Sachbezug", wenn erwähnt wird, dass Verdächtige zu einer religiösen oder ethnischen Minderheit gehören. Kein Verschweigen, aber ein Abwägen, ob die Information wirklich sinnvoll ist.
Das ist klassische Medienkritik, ein Erinnern an ethische Grundsätze des Journalismus in einer Zeit der Aufregung. Für diese Arbeit wurde Niggemeier unter anderem als früherer Herausgeber von "Bildblog" bekannt. Uebermedien.de, das Niggemeier nun zusammen mit Boris Rosenkranz betreibt, ist ein richtiges Onlinemagazin und rückt alle medialen Formen in den Fokus.
Extrem billig und etwas schmierig
"Sind Ihnen schon mal diese Videos aufgefallen bei Focus online? Pornos zum Beispiel üben da eine gewisse Faszination aus. – Pornos üben eine gewisse Faszination aus, auf Männer und Frauen. Vor allem aber vermitteln sie falsche Vorstellungen davon, wie es im Sexleben wirklich zugeht."
Die Bilder zeigen Werbespots für Erotikanbieter, wie man sie nachts im Privatfernsehen sieht. Und zwei Puppen in Beischlafposition wie aus einem Aufklärungsfilm der 70er-Jahre. Extrem billig und etwas schmierig sieht dieses Video aus, mit dem eine aktuelle Meldung illustriert wird. Boris Rosenkranz beschreibt, wie die Redakteure von Focus Online arbeiten.
"Das ist so ein webbasiertes Programm, mit dem jeder Videos machen können soll. Grundlage ist ein Text, den gibt man da ein, und dann gibt Wochit Videos, Fotos und Grafiken vor, alles aus Agenturmaterial. Redakteure können auch selbst Material einspeisen, und dann wählen sie aus, legen alles hintereinander, Text einsprechen, ein bisschen Gewummer drunter – und voilá, Video fertig."
Journalismus der peinlichsten Machart
36 Millionen Menschen klicken diese Videos jeden Monat an. Focus macht damit Werbung, verkauft es als Riesenerfolg. Dabei handelt es sich um Journalismus der peinlichsten Machart. Solche Entwicklungen öffentlich zu geißeln, ist ein starkes Argument für das neue Portal übermedien.de.
Niggemeier und Rosenkranz arbeiten meinungsfreudig und pointiert, von Lust an der Aufklärung beseelt. Sie lassen aber auch Gegenmeinungen zu. In einem langen Interview erläutert Zeit-Herausgeber Giovanni di Lorenzo seine Skepsis gegenüber aggressiven Formen der Medienkritik. Er findet, dass die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Dingen abgelenkt wird, wenn sich die Medien zu sehr mit sich selbst beschäftigen.
Immerhin hat Übermedien.de auch eine Rubrik für positive Phänomene eingerichtet. Gelobt wird der Youtuber Patrick Wollny und die satirische Live-Reportage von Sandro Zahlemann in der ARD live vom Leipziger Hauptbahnhof. Das WDR-Fernsehen hingegen bekommt heftige Haue von Stefan Niggemeier:
"Das lief Weihnachten im WDR-Fernsehen. Historische Schlagerschnipsel, von Experten fachkundig kommentiert."
"Wie schön die aussieht!"
"Hat immer schön lange, glatte Haare und war immer irgendwas ganz Natürliches."
"Je oller, je doller."
"Diese Frisur früher, schrecklich, haha."
"Das ist keine normale Schnipselshow. Das ist ein Rankingshow-Zombie. Zusammen gelötet aus zwei Sendungen von 2011, 'Die 25 beliebtesten Schlagerstars der Nordrhein-Westfalen' und 'Die 15 beliebtesten Schlagerstars aus Nordrhein-Westfalen.'"
Mehr als ein schnell geschriebener Blog
Bislang bezieht sich das Portal nur auf Deutschland. Ein Kommentar zur gefährdeten Pressefreiheit in Polen und Ungarn wäre ein wichtiges Zeichen gewesen. Aber das ist der einzige Kritikpunkt. Uebermedien.de will mehr als ein schnell geschriebener Blog sein und ist es auch. Mit vielen journalistischen Formen – von der Karikatur über die klassische Kritik bis hin zum Interview.
Einige Inhalte werden weiterhin kostenlos sein, den ganzen Umfang bekommen nur die Abonnenten. 3,99 Euro kostet das im Monat, die Herausgeber wollen für ihre Arbeit bezahlt werden. Und es ist kaum anzunehmen, dass die selten gelobten und viel gescholtenen Medien auf dieser Seite Werbespots schalten.
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