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Stefan Niggemeier im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 10.08.2009
Der Journalist und Blogger Stefan Niggemeier hält es für unwahrscheinlich, dass Online-Magazine in Zukunft nur noch kostenpflichtige Inhalte anbieten. "Ich glaube, dass das nur für ganz wenige funktionieren wird", sagt Niggemeier. Wie Verlage mit ihren Angeboten im Internet Geld verdienen könnten, sei jedoch "ein ungelöstes Problem".
Klaus Pokatzky: Das Geschäftsmodell des privat-kommerziellen Journalismus, das im 19. Jahrhundert erfunden wurde, erweist sich als nicht mehr zukunftsfähig. Das sagt der Journalismusprofessor Klaus Meier. Der Verleger Hubert Burda sagt: Es geht um die Bewahrung eines Kulturguts. Es geht um unsere Zeitungen und Zeitschriften im Zeitalter des Internets, es geht darum, ob unsere Printmedien darin überleben können. Anzeigen wandern ab ins Internet und die Leser wandern ab ins Internet. Zwischen Internet und der gedruckten Zeitung steht unser Kollege Stefan Niggemeier, den ich nun im Studio begrüße. Herzlich Willkommen, Herr Niggemeier!

Stefan Niggemeier: Hallo, guten Tag!

Pokatzky: Sie waren lange Jahre Medienredakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", sind dort noch Kolumnist und Sie haben Ihren eigenen, erfolgreichen Blog im Internet. Können unsere Verleger von Ihnen lernen, wenn es um erfolgreiche Geschäftsmodelle geht?

Niggemeier: Ich fürchte, noch nicht. Ich verdiene ein bisschen Geld mit meinen Blogs, die ich im Internet mache, aber das ist zugegebenermaßen noch sehr wenig und es ist bestimmt kein Modell, was sich in irgendeiner Weise übertragen lässt auf Zeitungen.

Pokatzky: 150 Verlage haben ja nun mit ihrer Hamburger Erklärung verlangt, dass sie angemessen von der Suchmaschine Google, aber möglicherweise auch anderen entschädigt werden. Was kann das genau bedeuten dann?

Niggemeier: Das wissen, glaube ich, die Verlage selber nicht. Diese Hamburger Erklärung ist eigentlich so ein Dokument der Hilflosigkeit, dass die Verlage sagen, oh mein Gott, irgendwas muss passieren, so geht es nicht weiter, und die Verzweiflung kann man auch nachvollziehen, weil es tatsächlich so ist, dass es zu wenig Werbeeinnahmen zurzeit gibt für die Verlage oder zumindest für die meisten Verlage, um einen vernünftigen Qualitätsjournalismus sicherzustellen im Internet. Und tatsächlich ist die Frage völlig berechtigt: Wie finanzieren wir das in Zukunft? Aber irgendwie, eine Antwort kann dann auch nicht lauten, wir nehmen es jetzt von denen, die im Gegensatz zu uns gut verdienen.

Pokatzky: Wie hat Google denn darauf geantwortet? Diese Hamburger Erklärung ist ja mit einem unheimlichen medialen Brimborium, gerade natürlich auch in den Zeitungen der Verleger, verbreitet worden. Gibt es da eine Reaktion von Google?

Niggemeier: Es gibt eigentlich nur ein etwas trockenes bis pampiges Statement, wo Google sagt, dass jeder, der nicht möchte, dass er von Google erfasst wird, von der Suchmaschine, mit einem kurzen Befehl Google einfach aussperren kann. Also, es ist tatsächlich ganz leicht, zu sagen: Wir möchten nicht in diesem Suchindex auftauchen. Das stimmt, aber das löst natürlich überhaupt nicht das Problem, also wenn die Verlage das tun würden, könnte zwar Google nicht mehr Geld verdienen mit den Inhalten, es würde aber auch bis zu einer Hälfte der Leser wegbrechen, die natürlich über Google überhaupt erst diese Nachrichtenseiten finden.

Pokatzky: Also, es gibt einerseits das normale Google und dann gibt es eben Google News, wo ja Nachrichten fast schon maschinell, automatisiert, roboterhaft aufbereitet werden. Wo ist jetzt der größere Knackpunkt zu sehen, wenn es um die Verlage und Google geht?

Niggemeier: Rein praktisch ist der größere Knackpunkt nicht Google News, sondern die ganz normale Suchmaschine, über die viel mehr Traffic, also Besucher einfach, zu den verschiedenen Seiten gelangen. Google News ist vergleichsweise klein, was so die Nutzerzahlen angeht, ist aber natürlich viel näher an dem dran, was die Zeitungen selber machen und viel mehr, dass die Zeitungen sich das angucken und sagen, und dieses Gefühl haben: Oh Gott, werden da Redakteure überflüssig, wenn das Ganze wirklich maschinell passiert und Leute auf Google News gehen statt auf unsere Startseiten?

Pokatzky: Die Verlage verlangen jetzt Unterstützung des Gesetzgebers, das heißt, vom Bundestag. Sie wollen so eine Art GEMA-Abgabe, wie für Musikprodukte. Wie könnte so was denn überhaupt aussehen? Was kann ein Bundestag gegen Google unternehmen?

Niggemeier: Das ist sehr schwer zu sagen, vor allem hat natürlich erst mal der Bundestag oder auch die Verlage überhaupt keine Berechtigung, etwas gegen Google zu unternehmen. Google tut, meiner Meinung nach, nichts Unrechtmäßiges, Google ist einfach nur sehr, sehr erfolgreich in dem, was sie machen und haben dadurch eine sehr starke Stellung im Markt.

Die Verlage fordern ein Leistungsschutzrecht, das ist im Grunde so was Ähnliches wie die GEMA, das heißt, jenseits dessen, dass es ein Urheberrecht gibt, was jeder einzelne Autor natürlich hat, wollen sie, dass ihre Leistung, dass sie Dinge vermarkten, online stellen, auch gewürdigt werden. Das ist eine sehr komplexe Materie, würde im Ergebnis gegen Google vermutlich überhaupt nichts bringen und würde gar nichts ändern, weil Google nicht wirklich die Inhalte den Verlagen wegnimmt.

Pokatzky: Sie jetzt als einerseits erfolgreicher Blogger, andererseits als renommierter Printjournalist: Von Ihrem Erfolgsmodell – wenn Sie das auch nicht übertragen können auf die Verlage –, was würden Sie denn den Verlagen raten bei dieser Kernfrage: Wie können sie überhaupt im Internet heute Geld verdienen?

Niggemeier: Ich fürchte, eine wirklich umfassende Antwort hat niemand, weil das ist tatsächlich ein ungelöstes Problem für die meisten, weil so viel weniger Geld vorhanden ist zurzeit noch im Internet, das könnte sich noch ändern, aber von dem, was an Geld vorhanden ist, geht wirklich ein Großteil einfach an die Suchmaschinen.

Ich glaube, dass Verlage einfach sich unersetzlich machen müssen im Internet, dass sie wirklich Inhalte bieten, die andere nicht bieten, dass sie sie so verpacken, dass Leser zum Beispiel sagen, ich bleibe einer Seite treu, sodass ich als Verlag gar nicht so abhängig bin von Google, sondern sagen kann: Die Leute wissen, bei mir kriegen sie gute Inhalte und die kommen direkt zu mir.

Pokatzky: Murdoch, Rupert Murdoch, der Medien-Tycoon, der Internationale, mit dem "Wall Street Journal", mit der "Times" in London aber auch etlichen Schmuddelblättern, will jetzt wieder sein Zeitungsangebot im Internet kostenpflichtig machen, grundsätzlich für alle Blätter. Kann das eine Lösung sein?

Niggemeier: Ich fürchte, für die meisten nicht, oder vielleicht auch Gott sei Dank für die meisten nicht, weil es natürlich auch für die Gesellschaft, auch für Mediennutzer erst mal ein Vorteil ist, wenn ganz viel frei verfügbar ist. Ich glaube, dass das nur für ganz wenige funktionieren wird, weil alles, was Nachricht ist, wird sich verbreiten im Internet und werde ich kostenlos finden können. Ich glaube, bezahlen werden Leute höchstens für ganz spezielle Inhalte, die sie woanders nicht bekommen, für bestimmte Kolumnisten, für wirklich "Premium". Und das werden die Wenigsten zu bieten haben.

Pokatzky: Oder eben die Börsennachrichten und Hintergrundberichte im "Wall Street Journal" für die Börsentypen.

Niggemeier: Genau, das sind dann ganz, ganz spezielle Angebote.

Pokatzky: Ich spreche mit dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier über die Angst der deutschen Verleger vor Google. Herr Niggemeier, wann haben Sie denn das letzte Mal gegoogelt?

Niggemeier: Oh, ununterbrochen. Ich glaube, das könnte ich gar nicht nachhalten, wie oft ich das am Tag nutze, weil es natürlich einfach Alltag ist für mich.

Pokatzky: Können Sie sich einen Journalisten vorstellen heutzutage, der nicht googelt?

Niggemeier: Ich hoffe nicht. Ich kann ihn mir vorstellen, weil ich oft genug erlebe, dass Leute einfach wirklich nicht mal diesen Anfang einer Recherche machen, bevor sie was aufschreiben. Es wird immer kritisiert, dass Journalisten glauben, dass Google schon die Recherche ersetzt. Das ist bestimmt eine Gefahr, aber die andere ist, dass Leute nicht mal überhaupt erst bei Google nach irgendwas nachgucken.

Pokatzky: Wir müssen also damit rechnen, dass nahezu sämtliche Journalisten der 150 Verlage, die nun also von Google Geld haben möchten, dass die alle selber auch googeln. Ist das dann nicht irgendwie doch eine ziemliche Heuchelei, wenn wir uns überlegen, dass heute weitgehend auch der Qualitätsjournalismus in den Qualitätsprintmedien - und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", wo Sie Ihre Kolumne haben, gehört ja nun wirklich zur Elite der Qualitätsblätter … Ist da dann nicht doch eine Heuchelei bei den Verlagen dahinter, auf der einen Seite jetzt gegen Google so zu stänkern und auf der anderen Seite zu wissen: Unsere Art Journalismus, auch guten Journalismus, könnten wir heute ohne Google gar nicht machen?

Niggemeier: Es ist bestimmt eine Heuchelei dabei und ich finde auch diese Forderung, wir müssen da Geld von abkriegen, unberechtigt. Die Sorge dahinter ist aber natürlich eine berechtigte, zu sagen: Wie schaffen wir es denn, dass wir auch in Zukunft sicherstellen, dass Leute gut informiert werden und gute Informationen kriegen und dass das irgendwie bezahlt wird? Das ist eine ganz berechtigte Sorge. Ich glaube nur, dass die Antwort darauf nicht sein kann: Jetzt nehmen wir es doch mal von Google, weil die haben ja genug.

Pokatzky: Aber Sie haben keine Patentantwort darauf, aber Sie haben vielleicht eine Antwort darauf: Was bekommen eigentlich Journalisten, deren Produkte dann ja von den Verlagen ins Internet gestellt werden, also zweit- und mithilfe von Google dann sozusagen multipel verwendet? Kriegen die denn dann ausreichend zusätzliches Honorar dann noch da drauf?

Niggemeier: Nein, an der Stelle sind die Verlage natürlich wirklich heuchlerisch, weil sie seit Jahren darauf hinarbeiten, dass sie alle Rechte bekommen, im Grunde die freien Journalisten komplett auch enteignen. Das ist genau der Begriff, den die Verlage Google vorwerfen und sagen, wir werden von Google enteignet. Genau das machen sie im Grunde mit den freien Journalisten und sagen, ihr müsst uns alle Rechte abgeben, damit wir an allen Zweit-, Dritt- und Viertverwertungen irgendwie verdienen.

Pokatzky: Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes hat gesagt, nur zehn Prozent aller Freien in Printmedien werden regelmäßig für Onlinenutzung bezahlt und rund die Hälfte erhält nie Zahlungen. Wenn wir jetzt also schon kein Patentrezept haben, wie die Verlage im Internet überleben können – haben wir hier vielleicht ein Rezept?

Niggemeier: Auch nicht. Ich glaube aber im Grunde, die Strategie muss die gleiche sein. Die Strategie muss einfach sein für Verlage, Qualität zu bieten und dann Journalisten, die gut arbeiten, auch entsprechend zu bezahlen. Dass das kurzfristig sehr, sehr schwierig ist, ist keine Frage, aber langfristig ist das die einzige Lösung, zu sagen: Was wir bieten mit unseren guten freien Mitarbeitern, die wir entsprechend bezahlen, das schafft niemand sonst und das kann auch nicht irgendjemand schnell abschreiben oder bei Google dann woanders hinstellen.

Pokatzky: Glauben Sie, dass es die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" in, sagen wir mal, 30 Jahren in gedruckter Form noch gibt?

Niggemeier: Ich weiß es nicht. Im Moment sieht man, dass gerade so die großen Qualitätszeitungen, auch Wochenzeitungen, sich sehr gut behaupten und dass die relativ wenig unter dem Internet leiden. Insofern kann ich es mir vorstellen. Ich würde mich freuen, weil ich Dinge gerne auf Papier lese, aber wenn es die gleiche Qualität im Internet in anderer Form gibt, bin ich auch froh.

Pokatzky: Kann es sein, dass Qualitätszeitungen, nennen wir sie mal Intelligenzblätter, eine größere Chance haben, auch in Zeiten des Internets zu überleben, als Boulevardblätter, oder wir könnten auch sagen, Primatenmedien?

Niggemeier: Ich glaube, Qualitätsblätter haben eine sehr gute Chance und bestimmt gibt es am anderen Ende des Spektrums auch jemanden, der einfach mit der größten Wucht Trash und reine Unterhaltung bietet, der hat bestimmt auch eine Chance. Dazwischen wird es sehr, sehr schwer, für jeden, der nicht wirklich an diesen beiden Polen sitzt.

Pokatzky: Wir bleiben an dem einen Pol gemeinsam sitzen, danke an Stefan Niggemeier, meinen Kollegen von der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und Blogger im Internet.