"Onkel Wanja" am Theater Konstanz

Tschechow goes Sixties

Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute, aufgenommen bei einer Theaterpremiere am 26.6.2013 in Los Angeles
Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute © imago / ZUMA Press
Von Elske Brault · 07.10.2016
Die sonst trägen Tschechow-Typen als reißende Wölfe: Der Regisseur Neil LaBute versetzt "Onkel Wanja" am Theater Konstanz in den Prager Frühling der späten 1960er. Das Publikum wird in seelischen Katastrophen hineingezogen - und damit bestens unterhalten.
"CSSR, 1968, Sommer" wird zu Beginn auf den Eisernen Vorhang projiziert, der hier tatsächlich im Bühnenbild von Regina Fraas ein eisernes Gefängnis darstellt oder eine alte Fabrikhalle aus Gusseisen. Damit ist das Setting von "Onkel Wanja" am Theater Konstanz vorgegeben: Wir sind im Sommer nach dem Prager Frühling, im nahe gelegenen Prag werden politische Entscheidungsschlachten geschlagen, aber die Tschechow-Figuren sind ja auf dem Land, in der Provinz, weit ab vom Geschehen. Dennoch bekommen sie vom Leben "draußen" alles mit.
Das größte Geschenk des Arztes Astrow an seinen Freund Wanja ist gleich zu Beginn eine Beatles-Platte, und die war hinter dem Eisernen Vorhang bekanntlich Gold wert. Beatles-Songs durchziehen das Stück und trennen die Szenen, vor allem das melancholische "Norwegian Wood", in dem von der Liebe nur eine schöne Geschichte übrig bleibt, ein Lied.

Landhaus-Setting mit Sperrholzmöbeln

Das Landhaus-Setting besteht aus Sperrmüllmöbeln, alten Gartenliegen und einer Leinwand im Hintergrund, auf der im Laufe des Stücks ein gemalter Wald immer weiter verfällt, bis am Ende nur ein paar kahle Stümpfe übrig sind. Hier spazieren Onkel Wanja und die von ihm angebetete Jelena, die neue Frau seines früheren Schwagers, in 60er-Jahre-Klamotten herum oder hängen – die meiste Zeit – auf Liegestuhl oder Sofa.
Die moderne Übersetzung lässt die Figuren so heutig wirken, wie auch die Kostüme (auch: Regina Fraas) von modernen Hipstern in Berlin getragen werden könnten. Vor allem aber hat Regisseur Neil LaBute so lange mit den Darstellern gefeilt an jeder Szene, lässt jede Gefühlsregung so sehr voll ausspielen, wenngleich manchmal nur durch die Mimik, (großartig: Natalie Hünig als Jelena), dass aus den stets trägen und larmoyanten Tschechow-Typen hier reißende Wölfe werden.
Ja, man meint, nicht "Onkel Wanja" zu sehen, sondern "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Denn die Trauer um die Vergangenheit, die Wut, es im eigenen Leben nicht besser hingekriegt zu haben, die lassen auch hier alle gnadenlos am anderen aus. Alle außer der jungen Sonja: Sie sieht das Gute zumindest im Arzt Astrow, in den sie unglücklich verliebt ist. Aber Sonja wird am Ende – nein, den grausamen Schluss dürfen wir hier noch nicht verraten.

Beste Theaterunterhaltung

Stattdessen lieber die Parole ausgeben: auf nach Konstanz! Der Zuschauer wird bestens unterhalten durch die Komik eines Well-made-play gemäß der angelsächsischen Theatertradition, doch zugleich hineingezogen in die hausgemachten seelischen Katastrophen der Tschechow-Stücke. Selten passierte auf dem Theater so angenehm drei Stunden lang – fast – nichts. Onkel Wanjas Gut wird nicht verkauft, der Ex-Schwager und seine verführerische zweite Frau reisen wieder ab, man könnte zur alten Routine zurückkehren. Es sind bloß alle ein bisschen kaputter als zuvor.

Onkel Wanja
Drama in vier Akten von Anton Tschechow, in einer neuen Übersetzung von Elina Finkel
Regie: Neil LaBute
Ausstattung: Regina Fraas
Theater Konstanz

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