Omas Plätzchen sind die besten!

Von Udo Pollmer · 11.12.2011
Die Verbraucherzentrale Niedersachsen warnt vor Omas Weihnachtsplätzchen: Zu hohe Backtemperaturen seien schädlich. Omas Kekse dürfen nicht miesgemacht werden, findet dagegen Udo Pollmer - und bricht eine Lanze für Hirschhornsalz in Lebkuchen.
Die niedersächsische Verbraucherzentrale hat den Backofen als Gefahrenherd erkannt und die Bürger gerade noch rechtzeitig vor dem Fest vor Omas Plätzchen gewarnt. Denn Omas Backtemperaturen würden, ich zitiere unsere Schützer "die Entstehung von gesundheitsschädlichem Acrylamid begünstigen." Deshalb raten die Verbraucherexperten, "die Temperaturangaben für `Omas Plätzchen´ zu korrigieren".

Nach unten natürlich, denn je kühler der Ofen, desto besser. Weihnachtsgebäck wie Lebkuchen und Spekulatius enthält bekanntlich Acrylamid, so wie auch Oliven, grüner Tee, Sesamknäcke, löslicher Kaffee, Vollkornprodukte wie Müsli und viele andere Lebensmittel auch. Die mit Abstand höchsten Gehalte finden sich im Muckefuck - ein Kindergetränk. Aber davor warnt uns keine Verbraucherzentrale.

Natürlich fehlt nicht der Hinweis, Acrylamid habe sich im Tierversuch als krebserzeugend erwiesen. Eine viel wichtigere Tatsache wird unterschlagen: Beim Menschen ist der Stoff gerade nicht krebserzeugend. Einfach deshalb, weil wir Menschen das Feuer zur Herstellung unserer Nahrung seit Hunderttausenden von Jahren tagtäglich nutzen - im Gegensatz zu Nagetieren in freier Wildbahn. Der Darmkrebs nahm mit steigenden Acrylamidgehalten sogar ab. Nicht weil Acrylamid vor Krebs schützt, sondern weil die dunklen - nicht die hellen - Röststoffe das Krebsrisiko mindern! Backen Sie also so, wie Sie es gewohnt sind. Omas Backrezepte sind nun mal die besten!

Es gibt noch einen Grund, Plätzchen wieder selbst zu backen: Denn klammheimlich werden ihnen bei der industriellen Produktion neue Zusatzstoffe zugesetzt. Nein, nicht aus Profitgier sondern im Sinne des Verbraucherschutzes. Die Backindustrie versucht mit ungewöhnlichen Zusätzen den Acrylamidgehalt zu vermindern. So hofft sie, bei Warentests besser abzuschneiden. Zu diesen Zusätzen gehören bei Weihnachtsgebäck Stoffe wie Cystein, Glycin, oder Asparaginase. Das hilft zwar nur begrenzt, gibt aber das gute Gefühl, endlich auf Wunsch von Foodwatch und Co. Zusätze gentechnischen Ursprungs reinpacken zu dürfen.

Eine weitere Maßnahme, um die Qualität unserer Lebkuchen zu unterlaufen, ist der Verzicht auf Hirschhornsalz. Bisher war dieses Triebmittel eine traditionelle Zutat echter Lebkuchen. Nun wird stattdessen Backpulver verwendet, ebenfalls um den Acrylamidgehalt ein klein wenig zu senken. Das Endergebnis schmeckt zwar genauso, aber die Wirkung ist eine andere. Denn die Lebkuchengewürze reagieren mit dem Hirschhornsalz und bilden im Backofen Amphetamine, also Stoffe, die unsere Stimmung aufhellen. Das ist das Geheimnis echter Lebkuchen. Die Amphetamine tragen übrigens nichts zum Aroma bei, aber sie sind für die Beliebtheit dieser uralten Spezialität verantwortlich.

Viel wichtiger als die Verfolgung von Lebkuchen oder Zimtplätzchen, nur weil sie theoretisch für Ratten schädlich sein könnten, wäre es, Risiken zu minimieren, die für den Menschen gefährlich sind, wie Verfälschungen von chinesischem Sternanis mit dem giftigen japanischen Sternanis. Da kommt es namentlich bei Kindern immer wieder zu Vergiftungen. Beide Sternanisarten sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Wie wäre es mit einem Warentest auf den Weihnachtsmärkten, auf denen es ja nicht an exotischen Produkten aus ebensolchen Quellen mangelt? Statt Omas Plätzchen mies zu machen.

Riskant sind nicht traditionelle Rezepturen oder gar der heimische Herd sondern Verfälschungen, Betrügereien und - neuerdings auch Verbrauchertipps. Liebe Omas, backt Euren Enkeln wie immer leckere Weihnachtsplätzchen und schützt sie vor jenen bösen Geistern, die den Menschen die Freude am Fest verleiden wollen. Mahlzeit!


Literatur:
Verbraucherzentrale Niedersachsen: Omas Plätzchen häufig zu heiß gebacken. Weihnachtsbäckerei: zuviel Hitze schadet. Meldung v. 24.11. 2011
EFSA: Results on acrylamide levels in food from monitoring years 2007-2009. EFSA Journal 2011; 9: e2133
Blank I: Current status of acrylamide research in food: measurement, safety assessment, and formation. Annals of the New York Academy of Sciences 2005; 1043: 30-40
Habermeyer M et al: Einfluss von Maillard-Reaktionsprodukten auf das Wachstum humaner Tumorzel-len. Lebensmittelchemie 2003; 57: 111
Idle JR: Christman gingerbread (Lebkuchen) and Christmas cheer – review of the potential role of mood elevating amphetamine-lime compounds formed in vivo and in furno. Prague Medical Journal 2005; 106: 27-38
Mucci LA et al: Dietary acrylamide and cancer of the large bowel, kidney, and bladder: Absence of an association in a population-based study in Sweden. British Journal of Cancer 2003; 88: 84-89
Kettlitz B: Food Drink Europe Acrylamide Toolbox 2011. FoodDrinkEurope Brüssel 2011
Mizukami Y et al.: Analysis of acrylamide in green tea by gas chromatography-mass spectrometry. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2006; 54: 7370-7377
Perret C et al: Malaise du nourrisson pensez à une intoxication à l’anis étoilé. Archives de Pédiatrie 2011; 18: 750-753
De la Rubia Fernández L et al: Intoxicación por anis astrellado star anise poisopning. Revista chilena de pediatria. 2003; 74: 411-414
Ize-Ludlow D et al: Neurotoxicities in infants seen with the consumption of star anise tea. Pediatrics 2004; 114: e653