Ohne Rechte

Vorgestellt von Alicia Rust · 12.08.2007
Betsy Udink nimmt uns mit auf eine Reise durch Pakistan. Die niederländische Schriftstellerin zeigt eine Welt der Dörfer und Provinzen, wo bereits kleine Mädchen an alte Männer verheiratet, verkauft oder eingetauscht werden: Für ein gutes Geschäft oder zum Erlass von Schulden.
Verschmutzte Großstädte, wo Töchter von ihren mittelosen Vätern zur Prostitution gezwungen werden. Vor uns entsteht ein Bild tiefster Resignation. Ein Beispiel: ein Frauengefängnis im Süden Pakistans:

"Die Frauen sitzen zum größten Teil wegen Unsittlichkeit in Haft. Afzaal Bibi, die sich zu mir gesetzt hat, ist wegen Zina inhaftiert. Die Anklage gegen siebzig der achtundsiebzig Frauen in der voll gestopften Baracke in Peschawar lautet: Zina, Ehebruch oder unsittliches Verhalten. In der Mehrheit der Fälle stammt die Anzeige von den Vätern oder Ehemännern."

Die meisten von ihnen vegetieren schon seit Jahren vor sich hin, ohne Sanitäranlagen oder medizinische Versorgung, mit dem Wissen, das sie nicht in ihr altes Leben heimkehren werden. Und wenn, dann nur um von ihren Angehörigen getötet zu werden. "Das ist bei uns so üblich", sagt die junge Afzaal Bibi resigniert.

Die Gesetze des Landes rechtfertigen die drakonischsten Strafen. Eine unsittliche Berührung, ein unkeuscher Blick, ein Verdacht reicht aus, um pakistanische Frauen den Gesetzen der Scharia auszuliefern. Fast immer geschieht die Verurteilung im Namen der Familienehre, ausgesprochen von einem traditionellen Stammesgericht, der "Jirga", mit dem Segen der Religion.

"Die Unterwerfung der Frau ist ein wesentlicher Bestandteil des Islam, daran kann keine feministische Islamische Theologie etwas ändern. Ohne Unterwerfung und Servilität bleibt von der Lehre der Muslime wenig übrig."

Betsy Udink, Mutter einer 16-jährigen Tochter und Ehefrau eines niederländischen Diplomaten, beschreibt ein Klima, in dem sich die Gewalt der Männer wie ein roter Faden durch die Gesellschaft zieht. Der Fall der ermordeten Afsheen Musarat ist keine Ausnahme:

Afsheen stammt aus einer bekannten Anwaltsfamilie. Die 21-jährige Informatikstudentin bekennt ihre Liebe zu ihrem Großcousin Hassan und möchte ihn heiraten. Doch die Familie wehrt ab, da der junge Mann einem verfeindeten Clan angehört. Andere Männer werden vom Großvater vorgeschlagen. Als die junge Frau flieht, beschließt der Familienrat ihren Tod, immerhin hat sie die Ehre der Familie verletzt. Unter falschen Versprechungen wird die Studentin von ihren Verwandten wieder nach Hause gelockt und hingerichtet.

"Ein richtiger Mann schlachtet die ungehorsame Frau in seiner Familie selbst, wie ein richtiger Mann auch am Morgen des islamischen Opferfestes, eine Ziege, ein Kamel oder einen Ochsen schlachtet. Das lässt man nicht von einem Metzger machen, das Blut muss über den Fußboden der eignen Küche oder über die Steine der eigenen Auffahrt fließen und damit die Sünden wegschwemmen."

Karo-Kari, der Ehrenmord, ist eine der häufigsten Todesursachen von Frauen in Pakistan. Verena Harpe von Amnesty International erklärt warum:
"Das Problem warum die Ehrenmorde so wahnsinnig ansteigen und auch immer mehr werden ist, dass es überhaupt nicht geahndet wird, das es klar ist: ich kann hingehen, ich kann eine Frau umbringen und mir passiert aber selber nichts. Das wird irgendwie nicht weiter verfolgt. Und warum es überhaupt kein Schuldgefühl dafür gibt, oder das eben auch alles völlig sanktioniert ist von der Gesellschaft: das ist angeblich in Ordnung, das muss man in der Familie ausmachen, es wird da schon seine Gründe geben."

Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Abtreibungen - Betsy Udink sammelt Nachrichten über die Gewalttaten aus den Zeitungen. Akribisch recherchiert sie deren Verlauf und beobachtet die Hilflosigkeit der Justiz. Verena Harpe:

Verena Harpe: "Die Regierung hat in den Gesetzen mittlerweile eine sehr hohe Strafe gegen Ehrenmorde ausgesprochen. Und es ist auch so: die Strafgesetze sind ja an die Scharia angelehnt, da sind auch da schon einige sehr schlimme frauenverachtende Passagen herausgenommen - aber was auf dem Papier steht, was aber tatsächlich passiert, ist etwas ganz anderes und das wird nicht umgesetzt."

Ein weiteres Tabuthema: die "fehlenden" Frauen im Lande. Bereits heute gibt es einen Überschuss von rund acht Millionen Männern. Männer, die nicht heiraten und folglich auch keine eigene Familie gründen können. Eine tickende Zeitbombe:

"In Pakistan fehlen Millionen von Frauen: Frauen, die nie geboren wurden, weil sie als Föten abgetrieben oder gleich nach der Geburt getötet wurden oder infolge von Diskriminierung und Vernachlässigung gestorben sind."

Schonungslos berichtet die Journalistin auch über die Vergewaltigung von Knaben. In den Schulen, auf der Straße und sogar in den Gebetshäusern. Der Menschenrechtsorganisation Sahil zufolge sind selbst Polizisten und Lehrer beteiligt. Homosexualität ist im Islam zwar verboten, dennoch ist die "Knabenliebe" in Pakistan verbreitet.

Fast beiläufig erfahren wir von Betsy Udinks eigenem Leben. Von ihrem Anwesen in Islamabad, der Schönheit der Landschaft, von den alltäglichen Widrigkeiten wie zum Beispiel ständige Stromausfälle. Aber auch von dem Willen einzelner Politiker, Menschenrechtsvertreter und einem katholischen Bischof, der allen Widrigkeiten zum trotz seinen Sinn für Humor nicht verliert.

Es sind die kleinen und skurrilen Geschichten, welche die Autorin wunderbar lakonisch zu erzählen versteht. Die einzelnen Reportagen lesen sich zuweilen wie ein Reisebericht. Verwoben zu einem Ganzen ergeben sie das vielschichtige Bild eines Landes im Umbruch. Pakistan hat trotz aller Beteuerungen den Rückwärtsgang der Geschichte eingelegt. Es ist, daran lässt Betsy Udink keinen Zweifel, das gefährlichste Land der Welt- für Frauen.

Betsy Udink: Allah & Eva. Der Islam und die Frauen
Aus dem Niederländischen von Anna Berger
C.H. Beck Verlag, München 2007
Betsy Udink: "Allah & Eva"
Betsy Udink: "Allah & Eva"© C.H. Beck Verlag