Ohne Jugend ist kein Staat zu machen

Von Beate Krol · 25.10.2011
Diesen Alptraum wünsche ich jedem deutschen Politiker: Er kommt an die Himmelspforte und wird gefragt, was er für die Jugend getan hat. Ich bin mir sicher, dass die meisten schweißgebadet aus dem Schlaf erwachen würden.
Die Politiker tun für die jungen Menschen nämlich nichts. Und das seit vielen Jahren. Das jüngste Beispiel ist das Schicksal des doppelten Abiturjahrgangs. Erst reduziert die Politik die Zeit bis zum Abitur, ohne vorher den Unterrichtsstoff zu entschlacken, dann versäumt sie es, die Studienplätze aufzustocken, bedenkt ferner nicht, dass sie gleichzeitig die Wehrpflicht abschafft. Das Ergebnis: überfüllte Hörsäle, jahrelange Wartezeiten und jede Menge geplatzte Berufsträume.

Auch sonst ist den Politikern das Wohlergehen der Jungen ziemlich egal. Die Budgets für Jugendräume und Sozialarbeit schrumpfen weitaus stärker, als es der demografischen Entwicklung entspricht. Die Zahl der jungen Menschen ohne Schulabschluss stagniert auf hohem Niveau. Und in der Armutsstatistik liegen die 16- bis 24-Jährigen seit Jahren unangefochten auf Platz eins. Gleichzeitig sollen die Jungen als Bundesfreiwillige oder in einem freiwilligen Jahr der Gesellschaft dienen - Vollzeit für 330 Euro im Monat.

Um diese Missstände zu beseitigen, braucht es endlich eine moderne Jugendpolitik. Konzipiert ist sie, sie wird nur nicht umgesetzt.

Ein erster entscheidender Schritt wäre, dass Kristina Schröder als Bundesjugendministerin in Erscheinung tritt und eine eigenständige Jugendpolitik macht - so wie es im Koalitionsvertrag steht. Daraus folgte der zweite Schritt, für mehr zuständig sein zu wollen als nur für Jugendhilfepolitik. Schröders Ministerium müsste eine Querschnittsaufgabe erhalten, in andere Ressorts hinein regieren können, wenn junge Menschen von Entscheidungen betroffen sind, also besonders in die Bereiche Bildung, Arbeit und Soziales.

Das letzte Bundesjugendkuratorium, ein Expertengremium, das dem "Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend" zur Seite steht, hat dringend geraten, die Geschäftsordnung der Bundesregierung entsprechend zu ändern. Geschehen ist bis heute nichts - zumindest nichts, was über die Bildung einer Arbeitsgruppe hinausgeht.

Auch andere Experten-Vorschläge harren der Umsetzung. Wichtig wäre es, das Kindergeld in ein sogenanntes Jugend- und Ausbildungsgeld umzuformen. Dies würde nämlich nicht auf das Konto der Eltern, sondern an die Jugendlichen selbst gezahlt werden. Erfahrungen aus Schweden und Norwegen zeigen, dass Jugendliche schneller selbständig und erwachsen werden, wenn sie von ihren Eltern wirtschaftlich unabhängig sind. Außerdem ließe sich vermeiden, dass junge Menschen in der Ausbildungsphase zu Hartz IV-Empfängern werden.

Und dann steht noch die Senkung des Wahlalters auf der Experten-Agenda. Dieser Schritt würde den jungen Menschen ein stärkeres politisches Gewicht verschaffen. Die Politik kann ein Wahlrecht ab 16 ablehnen, nicht aber die Antwort auf die Frage, was sie den Jungen stattdessen zu bieten hat.

Es gilt: Ohne junge Menschen ist kein Staat zu machen. Nur, wenn sie respektiert und ernst genommen werden, entwickeln sich aus ihnen starke Erwachsene. Und die braucht das Land. Die Jungen von heute müssen mit den Folgen des Klimawandels umgehen, die alternde Gesellschaft finanzieren und möglicherweise sogar das Wirtschaftssystem umbauen. Diese Aufgaben hat ihnen eine Politik eingebrockt, die vergessen hat, an die Zukunft zu denken, und eben auch an die, welche die Hoffnungsträger von morgen sein sollen.

Deshalb möge der Alptraum vom Himmelstor die Politiker erwischen und hartnäckig verfolgen. Sobald sie eine glaubwürdige Jugendpolitik machen, können nicht nur sie wieder gut schlafen, sondern wir alle.

Beate Krol, Journalistin, geboren 1968 in Osnabrück, arbeitet von Berlin aus als Journalistin und Dozentin, unter anderem in der journalistischen Ausbildung. Jugend- und Bildungsthemen sind einer ihrer Arbeitsschwerpunkte. Für die Bundeszentrale für politische Bildung gab sie die Publikation "Zukunft der Wirtschaft - Zukunftsaussichten Jugendlicher" heraus. Außerdem erschien bei dtv junior das Jugendsachbuch "Zu zwei, zu dritt, zusammen - Freundschaft" (2003).
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