Ohne erhobenen Zeigefinger

Von Blanka Weber · 18.09.2011
In Weimar ist jetzt der jährliche Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung verliehen worden: Der Preisträger ist Arno Geiger. Das derzeit bekannteste Buch des 43-Jährigen ist wohl "Der alte König in seinem Exil" - ein Werk über die Alzheimer-Erkrankung seines Vaters.
"Also ich schreib ein bisschen intuitiver. Aber, bei der Laudatio hab’ ich mir gedacht: Ach ja, das hab’ ich geschrieben. Schön!"

Die Schlange am Büchertisch von Arno Geiger reißt nicht ab. Mehr als hundert Mal schreibt er geduldig das Signet in seine Bücher und reicht sie zurück. Aus Berlin ist eine ältere Dame extra angereist:

"Bin angelockt worden durch das letzte Buch. Das wusste ich alles gar nicht. Schön, dass ich jetzt Herrn Geiger in einer längeren Zeitspanne kennengelernt habe."

Die Zeitspanne begann spätestens 1996. Damals wurde Wolfgang Matz - Lektor beim Hanser Verlag - auf ihn aufmerksam.

"Ich hab’ ihn auf einer Lesung kennengelernt. Er hat aus einer unveröffentlichten Erzählung gelesen. Dass man sich dort getroffen hat - der Zufall war eben ein sehr, sehr glücklicher Zufall. Arno Geiger ist mit Sicherheit kein Vielschreiber und er hat für jeden seiner Romane sehr lange gebraucht. Dass jetzt hier zwei Romane relativ kurzfristig hintereinanderkamen, lag daran, dass das Buch über seinen Vater eine sehr lange Arbeit gewesen ist."

"Der alte König in seinem Exil" beschreibt den Umgang mit seinem Vater, dem die Erinnerungen abhandenkommen, der die Orientierung der Gedanken verliert und ein Leben jenseits der Selbständigkeit führen kann. Zehn Jahre habe sich Arno Geiger damit auseinandergesetzt und mit dem Vater mehr Zeit verbracht als vorher.

"Mir war klar", sagt er in einem Interview, "ich darf das Buch schreiben, wenn es ein gutes Buch wird. Ein schlechtes über den eigenen Vater wäre unverzeihlich."

Es wurde ein gutes mit bislang etwa 300.000 verkauften Exemplaren.
Die innige Sicht auf das neue Kennenlernen eines alternden Menschen, nicht bedrückend sondern neugierig, sogar heiter. Es ist ein Blick auf das Leben an sich, sagt der Lektor Wolfgang Matz:

"Ja für mich ist 'Der alte König in seinem Exil' gar kein Buch einfach über Demenz. Die Demenz ist hier die Erkrankung des Vaters, ein Auslöser für eine Erzählung, die sich viel grundlegender mit der Vergangenheit, mit der Erinnerung mit dem beschäftigt, was das menschliche Leben ausmacht. Die Demenzerkrankung des Vaters spielt zwar eine große Rolle, ist aber eigentlich nur der Auslöser dafür, dass der Sohn sich diese Fragen stellt."
Er musste dieses Buch so schreiben, sagt Arno Geiger, erzählen, ohne zu belehren, ohne es besser zu wissen, als andere oder Ratschläge zu geben. Das nebeneinander leben mit seinem demenzkranken Vater hat ihn auch verändert. Er sehe ihn oft, auch heute noch, obwohl er mittlerweile in einem Heim lebe.

"Aber letztlich ist es auch ein tiefes menschliches, allgemeines Bedürfnis mit dieser Situation auf eine Art umzugehen, die einen nicht verzweifeln lässt. Und da ist natürlich alles Schöne, alles Lichte besonders viel wert. Und das Schreckliche, das nehme ich zur Kenntnis, aber daran kann ich mich nicht festhalten."

"Ich bin Glückskind", sagt er. Es sei noch gar nicht so lange her, da habe er Existenzängste gehabt. Nun sei er unabhängig, ein Schriftsteller und schreibe über das, was ihm wichtig ist.

Was es momentan sei, darüber muss er schweigen, das habe er immer so gemacht, sagt Arno Geiger. Sonst könne es gut sein, dass er dem eigenen Anspruch nicht gerecht werde.

Am liebsten ist es ihm, wenn seine Bücher dreidimensional betrachtet werden, wenn die Personen einen Pulsschlag bekommen und die Leser seine Figuren mögen oder eben nicht mögen. Er will beobachten und erzählen dürfen, ohne erhobenen Zeigefinger – "dem Ganzen im Schreiben einen Sinn geben", sagt er:

"So bin ich natürlich einer, einfach auch von meinem Naturell her, der immer links und rechts schaut. Ich bin irgendwie ein bisschen auch ein Fluchttier, also dass ich immer schaue was passiert hier und dort und das gepaart mit einer unglaublichen Neugier für die Menschen und den Menschen."
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