Offene Fragen

Rezensiert von Michael Laages · 03.08.2006
Mit dem Buch "Die Fußspur der Götter - Auf der Suche nach Wagners Ring" versucht der Regisseur Tankred Dorst seine Inszenierung von "Götterdämmerung" für die diesjährigen Bayreuther Festspiele näher zu erklären. Doch ebenso wie beim Stück selbst bleiben einige Fragen offen.
Mit der "Götterdämmerung” ist zu Beginn der Woche die Neuinszenierung von Richard Wagners Opern-Tetralogie "Der Ring des Nibelungen” bei den Bayreuther Festspielen zu Ende gegangen, und als Erfolg gilt die Regie-Arbeit des Dramatikers Tankred Dorst durchweg nicht.

Im Gegenteil: Vertrauenswürdige Beobachter der Bayreuther Premieren (und Kenner des Werkes) beklagen vor allem die mangelnde Professionalität der Inszenierung, die an einem normalen Stadttheater in derart unausgegorenem Zustand nicht zur Premiere kommen dürfte. Sie bleiben ratlos angesichts der Frage, was denn wohl den Bayreuther Patriarchen und Festspielleiter Wolfgang Wagner dazu gebracht habe, ausgerechnet Dorst den "Ring” anzutragen, nachdem ihm der Filmregisseur Lars von Trier vor zwei Jahren abgesagt hatte.

Was übrigens von Trier mit Wagner hätte anstellen wollen, das steht neuerdings auf von Triers Website im Internet, was Dorst wollte und offenkundig in nur sehr eingeschränktem Maße verwirklichen konnte, steht in "Die Fußspur der Götter”.

Das ist ein ziemlich sonderbares Buch.

Warum? Weil es abseits der komplett Wagner-Texte zu allen vier Teilen der Oper nicht viel mehr hergibt als einen halbwegs ordentlich sortierten Zettelkasten. Hier ist nicht etwa ein kompaktes Probenprotokoll nachzulesen, sondern in Bruchstücken zu ahnen, in welche szenische Auseinandersetzung Dorst den musikalischen Marathon stellen wollte.

Schon angesichts des originalen Wagner-Textes und speziell für den, der das Buch nicht "geradeaus”, also von vorn nach hinten, sondern abschnittsweise im direkten Gegenüber von Wagner-Text und Dorst-Kommentar liest, muss der gedankliche Horizont des Regie-Interpreten einigermaßen eng erscheinen; Augen- und Ohrenzeugen bestätigen übrigens obendrein, dass selbst von dem geringen Interpretationsvolumen nur Ansätze übrig blieben in der tatsächlichen Inszenierung.

Insofern hat sich vor Ort wohl durchaus zu Recht die Frage gestellt, ob das Buch erst durch die Inszenierungen oder nicht doch die Inszenierungen erst durch das Buch verständlich würden. Beides wäre nicht nur in Bayreuth kein sonderlich überzeugendes Ergebnis.

Unstreitig verfügte und verfügt der bald 81-jährige Autor Dorst über ausgeprägtes Übersetzer-Talent. Er wusste stets die zentralen Fragestellungen der Überlieferungen aus der Götter- und Sagen-Welt, also die auch jenseits von Glauben und Religionen so genannten "ewigen Fragen” nach Bestimmung und Schicksal in der Geschichte des selbstverantwortlichen Menschen, in die eigene theatralische Phantasie zu binden, speziell im immer noch herausragenden "Merlin”-Opus. Insofern - und das zeigen auch die nachlesbaren Ideen zur Interpretation - ist Dorst Wagner durchaus nah, der das auch tat für seine Zeit.

Die stärksten, weil grundsätzlichsten Gedanken zur Inszenierung sind denn auch unübersehbar die des Dramatikers Dorst, wie etwa, wenn sich das komplette "Ring” - Konvolut szenisch entwickeln ließe in immer ein und demselben bürgerlichen Wohnzimmer? Tolle Idee!

Oder wie, wenn all die vier langen Abende aussähen wie eine einzige, nicht enden wollende Bauprobe, mit immer neuen Requisiten und Ausstattungsteilen, herein geschleppt und wieder hinaus, ohne dass jemals ganz klar würde, um welches Stück es eigentlich geht. Auch das ist ein potenziell dramatisch starker Gedanke!

Aber von Musik ist da noch nicht die Rede und auf Seite 81, einer der ganz in Rheingold-Gelb gedruckten Seiten (andere sind blau oder schwarz: das soll wahrscheinlich künstlerisch wirken!), auf dieser gelben Seite 81 also steht auch ganz klein und verräterisch der Satz "Dieses Stück aber wäre neu zu schreiben”.

Genau.

Was Dorst zu suchen vorgab, und was folglich das ganze halbe Buch als zentraler Gedanke durchzieht, ist dies: Einen szenischen Kommentar der Gegenwart zu gestalten zum langsam unausweichlichen Untergang der Götter, und das heißt ja immerhin: der Werte und Normen von größtmöglicher Gültigkeit.

Darum eine halbfertige Autobahnbrücke über den geheimnisvollen Wäldern am Rhein, darum alltägliche Bilder, darum immer wieder Hans, das Kind, das (wie der Erstleser der Wagner-Texte) naiv und gierig auf das Monstrum namens "Ring” schaut, und dem am Ende Goldstaub durch die Finger rinnt. Doch nicht mal das, sagen die, die dabei waren, sei klar erkennbar gewesen im Praxis-Test.

So liest sich "Die Fußspur der Götter” noch wie ein nicht eben überwältigender, aber allemal achtbarer Versuch, dem Mythos näher zu kommen. Ob aber dieses wirklich sehr überschaubare Material, genug für ein gutes Programmheft, allerdings unbedingt zum Premieren-Begleitbuch geplustert werden musste mit reichlich grafischem Schnickschnack und lasch redigiert (immerhin wird zwei Seiten lang Siegmund mit Siegfried verwechselt!), und ob gar der Herr Dorst obendrein auch noch eine Doppel-CD als Hörbuch aufnehmen musste, das wollen wir hier dann doch mal sehr stark bezweifeln.


Tankred Dorst: Die Fußspur der Götter - Auf der Suche nach Wagners Ring
Süddeutsche Zeitung Edition
232 Seiten, 24,90 Euro