Österreichische Webserie "Endzeit"

Ein Rucksack voller Erfolg

Ein dichte Wolkendecke ist am 27.06.2014 über dem Tiroler Plansee bei Reutte (Österreich) zu sehen.
Ein dichte Wolkendecke über dem Tiroler Plansee bei Reutte in Österreich. © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Jan und Anna Groos im Gespräch mit Patrick Wellinski · 02.04.2016
Was macht ein erfolgloser Künstler und Familienvater, der einen Keller voller Notfallrucksäcke erbt? Er beginnt diese zu verkaufen - und aus der Endzeitstimmung ein Geschäft zu machen! So zu sehen in "Endzeit" - einer außergewöhnlichen Webserie aus Österreich.
Patrick Wellinski: In unserer Serie "Film im Netz" schauen wir diesmal auf "Endzeit". So heißt eine recht außergewöhnliche Webserie aus Österreich, von der bislang ganze sieben Folgen erschienen sind. Im Zentrum der Geschichte steht Daniel, ein junger Familienvater und Künstler, der von seiner Kunst aber nicht wirklich leben kann, und nachdem er von seinem Onkel einen Keller vollgepackt mit Notfallrucksäcken erbt, kommt er auf die tolle Idee, die allgemeine Endzeitstimmung zu nutzen und ein Geschäft draus zu machen. Doch das bringt nicht nur ihn, sondern auch seine Beziehung ins Wanken.
Ein Ausschnitt aus der österreichischen Webserie "Endzeit", die jeder im Netz unter endzeit.at finden kann. Zudem werden die ersten sieben Folgen zurzeit gebündelt auf einigen Filmfestivals gezeigt, erst diese Woche auf dem Lichter Filmfest in Frankfurt am Main. Und genau dort konnte ich vor der Sendung die beiden Schöpfer der "Endzeit" sprechen, die Geschwister Anna und Jan Groos. Herzlich willkommen!
Jan Groos: Hallo
Anna Groos: Danke schön!
Wellinski: Vielleicht bleiben wir ja mal kurz bei dieser Kinoauswertung: Eine Webserie auf der großen Leinwand, ist das etwas, das Sie von vornherein so geplant hatten?

"Als Webserie geplant – aber nicht für die Kinos"

Jan Groos: Nein, eigentlich nicht. Wir hatten zwar mit der ersten Folge Premiere bei der Diagonale 2015, aber diese gebündelte Fassung, die wir jetzt dann eigentlich bei den Festivals zeigen, die war vorher eigentlich nicht so angedacht – wobei wir gemerkt haben, dass das eigentlich dem Format sehr zugute kommt.
Wellinski: Wieso? Wieso zugute?
Jan Groos: Na ja, wir haben halt eine sehr horizontale Art des Erzählens. Klassischerweise sind Webserien eher auf so One-Liner ausgelegt, da gibt es dann irgendwie zwei, drei Witze, die Folge dauert vielleicht nur fünf Minuten und dann ist schon aus. Und wir sind da ein bisschen anders drangegangen, also bei uns spannt sich wirklich ein Handlungsbogen über die gesamte erste Staffel, und das lässt sich dann in den Erzählbögen besser nachvollziehen, wenn man es gebündelt im Kino sieht.
Wellinski: Und die Idee der "Endzeit", auf die wir jetzt gleich konkreter zu sprechen kommen, war von vornherein als Webserie konzipiert?
Anna Groos: Ja. Also wir sind beide Serienfans, schon lange und schon immer, und hatten einfach Lust, selber eine Serie zu machen. Und da ist für uns natürlich, mit unseren Produktionsmöglichkeiten, die größtmögliche Freiheit, eine Webserie zu machen, weil man da halt dann mit der Förderung, die wir erreichen können, sich mit niemandem einlassen muss, der in irgendeiner Form da noch mitspricht, sondern wirklich genau das, was wir machen wollen, auch machen können.
Wellinski: Freiheit auch, was zum Beispiel die Länge einzelner Folgen betrifft – also die dauern ungefähr so zwölf Minuten, aber manchmal gibt es auch eine längere, eine kürzere –, war das auch so eine gewisse Art von Freiheit, die Sie genossen haben, dass Sie sich einfach auch die Zeit nehmen konnten?

"Freiheit auf allen Ebenen: künstlerisch, inhaltlich, zeitlich"

Anna Groos: Auf jeden Fall, also Freiheit ist da wirklich auf allen Ebenen: künstlerisch, inhaltlich, Zeit, wann es veröffentlicht wird, wie es veröffentlicht wird, wo es veröffentlicht wird, alles.
Wellinski: Im Kern geht es in "Endzeit" um ein Gefühl, würde ich erst mal so sagen, das Gefühl, dass das Ende nah ist, dass alles den Bach runtergeht und jedes Nachrichtenbild irgendwie bereits ein Vorbote der ganz großen Katastrophe ist. Wie kam es denn überhaupt zur inhaltlichen Idee der "Endzeit"? Wollten Sie eine Serie über dieses Endzeitgefühl machen?
Jan Groos: Na ja, indirekt würde ich sagen, es ist ja dieses Gefühl eigentlich nur, sozusagen eine Spiegelung, also es ging uns eigentlich eher darum, zu gucken, aha, woher kommt das eigentlich, wofür ist das ein Symptom. Und dieses Gefühl der nahenden Katastrophe oder der Bedrohtheit, auch des drohenden Abstiegs, des sozialen Abstiegs zum Beispiel, ist eher was, was wir interpretiert haben als ein Symptom für tiefer liegende Missstände innerhalb der gesellschaftlichen Konfiguration.
Anna Groos: Vielleicht in kürzerer Version: Also was uns auch interessiert hat, war einfach, dass wir das Gefühl hatten, es gibt eine Art von Krisenpermanenz, und die ist nicht mehr abstrakt und die spürt jeder. Nach der Finanzkrise und diese ganze Entwicklung der letzten Jahre hat man das Gefühl. Es ist einfach immer da. Und das hat uns interessiert, und gleichzeitig das Gefühl von einer Art Ohnmacht, was kann ich tun, gibt es überhaupt noch die Möglichkeit, etwas zu tun. Demos passieren wieder, aber sind eigentlich out – was könnte ein neuer Weg sein. Oder muss man halt tatsächlich überlegen, ein neues Gesellschaftssystem zu konzipieren oder zu versuchen oder geht das und wie geht das wenn und so weiter.
Wellinski: Das muss ja der Daniel machen, das ist ja die Hauptfigur. Familienvater und Künstler, gewinnt auch am Anfang gleich einen Preis, aber so richtig funktioniert das nicht, wie er sich das vorstellt, dieses Künstlerdasein. Jan Groos, Sie spielen ihn – was ist denn die Krise dieses Daniels?

"Die Krise ist ein Zustand der Verzweiflung"

Jan Groos: Ja, ich würde sagen, die Krise ist eigentlich eben auch ein Zustand, auf eine Art ein Zustand der Verzweiflung, könnte man sagen, ein Zustand der suchenden Verzweiflung vielleicht. Also er stellt für sich fest, dass sozusagen innerhalb der Systeme, die er da vorfindet – und das Kunstsystem ist eben das, in dem er sich da bewegt –, innerhalb dieses Systems, wenn er sich da hineinbegibt, dann ist er zwangsläufig eben auch gewissen Mechanismen ausgesetzt, ökonomischen Mechanismen vor allem, denen er sich eben eigentlich nicht aussetzen will, aber sozusagen gezwungenermaßen es tun muss. Und jetzt geht er eben hin und sagt, alles klar, ich mag mich eigentlich in dieser Form, dem Kunstmarkt zum Beispiel, nicht aussetzen, was kann ich denn für Wege finden, ein anderes sinnstiftendes Leben zu führen.
Wellinski: Hat das auch was mit Erfolg zu tun? Es ist ja im Prinzip auch eine Serie über die Illusionen des Künstlerdaseins heute.
Jan Groos: Ja, absolut. Ich würde halt sagen, dass der Erfolg da dann nicht im Vordergrund steht, weil so, wie wir die Figur jetzt angelegt haben, ist es nicht so, dass er jetzt nur aufgrund dessen, dass er keinen Erfolg hat, da keinen Bock mehr drauf hat, sondern dass die Frustrationen eigentlich woanders liegen, eigentlich eher in so einer Art Idealismus oder einer Desillusion sozusagen. Also quasi, man geht da rein in die Kunst und glaubt, aha, es ist dem Schönen, Wahren, Guten verhaftet, und dann stellt man aber mit der Zeit eigentlich fest, dass die Mechanismen, die da am Werk sind, eigentlich total artverwandt sind mit denen, wie sie in anderen gesellschaftlichen Subsektoren auch am Werken sind.
Anna Groos: Und ich glaube schon auch, was uns einfach generell interessiert, bisher bei allem, was wir gemacht haben, ist so eine Art eben Frage nach der Sinnstiftung und nach, wie kann ich mein Leben gestalten, so, dass ich das Gefühl habe, es macht einen Sinn, da zu sein, bis zu einem gewissen Grad. Und auch beim letzten Film – das ist das, was immer mit den Menschen los und mit den Tieren nicht los ist – ging es darum. Und das ist auch auf eine Art das, was den Daniel umtreibt.
Wellinski: In der Beschreibung des Projektes "Endzeit" stellen Sie auch so eine sehr gegenwärtige Frage: Formt der Mensch die Arbeit oder die Arbeit den Menschen? Haben Sie denn durch die Arbeit an der Serie jetzt auch eine Antwort auf diese Frage gefunden?
Jan Groos: Ja, also ich bin eigentlich fest davon überzeugt, dass die Arbeit den Menschen formt, weswegen ich es ja auch als ganz wichtig empfinde, dass man sich Rahmenbedingungen schafft, die man selber als richtig und gut empfindet, und dass das leider viel zu selten der Fall ist, dass man so was vorfindet.
Anna Groos: Weil es aber auch einfach nicht leicht ist, finde ich. Es ist einfach eine Riesenaufgabe, vor der man da steht, zwangsläufig. Ja, wie lebt man sein Leben und wie stellt man es an, dass man in einen Zustand kommt, mit dem man sich wohlfühlt.
Wellinski: Daniel setzt da ja so richtig auf diesen authentischen Lebenswandel. Also er erbt den Keller seines Onkels, und dann findet er diese Survival Bags, die er verkauft, das ist ja seine Geschäftsidee, er geht aber auch dann in den Wald, bietet Willigen einen Kurs an, wie man mit wenig im Wald überleben kann, schlachtet ein Huhn. Ich habe mich durch die Serie hinweg ehrlich gesagt gefragt, ob das nicht auch wieder so eine Art Pose ist, weil man am Ende eben aus allem ein Geschäft machen kann. Geht es Daniel denn wirklich um die Sache, oder agiert er plötzlich zur Abwechslung einfach mal sehr marktkonform?

Entrepreneurship erscheint der Hauptfigur plötzlich opportun

Jan Groos: Ja, absolut, das ist ganz richtig erkannt, so ist es auch angelegt. Es ist definitiv so, dass die Figur da auch Irrwege beschreitet, also es ist überhaupt nicht so, dass wir jetzt als Filmemacher sagen würden, das ist der richtige Weg, sondern es beschreibt eigentlich eben eher sozusagen diese verzweifelte Suche, die durchaus ihre Irrwege kennt, und einer davon ist eben eine Art von opportunistischer Anpassung an diese Systemlogik in Form von Entrepreneurship oder wie das heißt, also er macht sich halt dann eben zum selbst zum Unternehmer und das ist ja auch einer der Fallstricke. Und es ist ja dann innerhalb der Erzählung, der Serie durchaus so, dass er das dann auch bis zu einem gewissen Grad erkennt. Also er merkt dann schon, aha, okay, jetzt irgendwie Kohle zu machen mit dieser Geschäftsidee, das kann's eigentlich auch nicht sein, weswegen er dann wieder um die nächste Überhöhung kommt, hin zu einer Art von gesellschaftspolitischem Projekt.
Wellinski: Wie wichtig sind Ihnen denn so Spielereien? Wenn jetzt zum Beispiel ein YouTube-Video auftaucht in der Serie – ich will auch nicht zu viel verraten –, dann findet man natürlich auch das YouTube-Video auf YouTube, das sind dann so Metaspielereien, so Texte und Seiten, die dann auch im Internet wiedergefunden werden können. Gehören die dann auch so mitgedacht zu dem Projekt "Endzeit"?
Anna Groos: Auf jeden Fall. Wir interessieren uns grundsätzlich auch für Medienverstrickungen, das eine findet sich hier, das andere dort. Das heißt, wir haben die Figur des Daniel auch ins Internet verlängert. Also der hat einen eigenen Blog, in dem er jetzt die Recherche betreibt, die für uns aktuell für die nächste Staffel dann wichtig wird. Aber die Figur Daniel unterhält sich auf Reddit mit anderen Usern über eben die Sachen, die für ihn gerade jetzt wichtig werden in seiner Entwicklung zur nächsten Staffel.
Wellinski: Jetzt habe ich schon so ein bisschen die Antwort auf meine nächste Frage gehört. Wie geht es denn weiter mit der "Endzeit"? Also diese sieben Folgen sind eine Staffel, ja?
Anna Groos: Ja!
Jan Groos: Genau, absolut. Vielleicht, um das noch fertig zu sagen: Die Seite, die wir für den Daniel angelegt haben, ist www.aufzuneuenwelten.info, also wenn es interessiert, der kann da eben auch mal reinschauen und gucken, was unserem Protagonisten da jetzt gerade so umtreibt. Wir können jetzt nicht so fix sagen, wie es alles weitergeht, weil sich das jetzt auch noch herauskristallisieren wird in Bezug auf die Produktionsprozesse, aber definitiv wird es Anfang 2017 ein "Endzeit"-Special geben, 20 Minuten im ORF III – im Februar 2017 ist das, glaube ich –, wo wie so ein Zwischenstand abgerufen wird. Und dann werden wir in einem größeren Projekt die Erzählung abschließen. Welche Form das annimmt, wird sich noch in Kürze zeigen.
Anna Groos: Das bleibt spannend!
Wellinski: Und wir sind wirklich gespannt. Anna und Jan Groos, das Kreativteam hinter der österreichischen Webserie "Endzeit". Die ersten sieben Folgen, die erste Staffel, können online gesehen werden unter endzeit.at. Vielen Dank für Ihre Zeit!
Jan Groos: Ja, danke auch!
Anna Groos: Wir danken! Vielen Dank, dass wir da sein durften!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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