Ökonom zur anhaltenden Eurokrise

Ist die Europäische Union ein Auslaufmodell?

Henrik Enderlein im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.04.2016
Man könne sich in der Eurokrise nicht in die Nationalstaaten zurückziehen und wieder Gartenzwerge in Bonner Vorgärten aufstellen, sagt der Ökonom Henrik Enderlein. Es gebe keine Alternative zur EU und zum Euro.
Die Euro-Krise dauert seit sechs Jahren an - und Besserung ist nicht in Sicht. Bricht die Euro-Zone auseinander und kehren alle zurück zu ihren alten Währungen? Für Henrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie an der Berliner Hertie School of Governance, sind die Bedingungen derzeit denkbar schlecht. Im Deutschlandradio Kultur sagte der Wissenschaftler:
"Der Euroraum ist immer noch dieses sehr heterogene Konstrukt, wo sich die Länder – die einen in Krisen, die anderen in Booms – entwickeln und man am Ende die EZB hat, die das versucht, irgendwie zusammenzuhalten, aber nichts Wirkliches entsteht. Und das macht mir sehr, sehr große Sorgen."

Ernst zu nehmende Europafeindlichkeit

Das Euro-Problem habe Europa viel zu lange politisch beschäftigt und zerrieben. Dies sende verheerende Signale in die EU-Länder aus: In fast allen Ländern der EU seien derzeit europafeindliche Parteien auf dem Vormarsch – "weil man weiß, mit Europa ist heute politisch kein Blumentopf zu gewinnen. Und das ist ja nicht nur in Deutschland der Fall, sondern Frankreich, in Griechenland, in Spanien merken wir, in Österreich haben wir es gerade gesehen, dass die euroskeptischen Parteien, die Extreme dann genau auch diesen Grundton in der Bevölkerung aufgreifen, Stimmung gegen Europa machen. Und damit genau das Gegenteil, was eigentlich nötig wäre."
Nach Meinung Enderleins sollte die EU am Euro festhalten - denn er sei das Ergebnis eines langen Einigungsprozesses, der eigentlich zu einem stärkeren Zusammenwachsen führen sollte.
"Europa ist die Antwort auf immer stärker globalisierte Wirtschaftsprozesse, auf Herausforderungen, auch Klimawandel oder Terrorismus, die global sind. Und da kann man nicht drauf reagieren, indem man die Grenzen schließt und sagt, wir ziehen uns in die kleinen Nationalstaaten zurück und stellen wieder Gartenzwerge in Bonner Vorgärten."
Euro wie Europäische Union seien alternativlos für den Zusammenhalt Europas.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Zum Monatsende, also jetzt quasi, demnächst, sofort, unverzüglich soll die aktuelle Prüfung der griechischen Reformschritte abgeschlossen sein. Doch in Brüssel mehren sich die Zweifel an der Wirksamkeit des sogenannten Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, zumal ja die extremen Sparvorhaben nicht mit Investitionen flankiert sind. Henrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie und Vizerektor an der Hertie School of Governance, hatte in einem "FAZ"-Text analysiert, dass wir in der EU eine Haftungsgemeinschaft haben, die demokratisch nicht legitimiert ist und auch politisch nicht untermauert, und er fordert deshalb eine Generalüberholung für den Euro. Er ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen, Herr Enderlein!
Henrik Enderlein: Guten Morgen!
von Billerbeck: Ihre zentrale These lautet ja: So wie der Euro jetzt ausgestaltet ist, ist er nicht überlebensfähig. Warum denn?
Enderlein: Ja, wir haben heute eine Haftungsgemeinschaft, Sie haben das ja gerade schon angedeutet, die über die Europäische Zentralbank erfolgt und die uns nur Zeit kauft, die aber nicht dafür sorgt, dass die Mitgliedstaaten, die Teil des Euros sind, sich heute anders verhalten, dass sie Reformen machen, dass sie investieren, dass ihre Konjunkturzyklen näher aneinandergeführt werden. Das heißt, der Euroraum ist immer noch dieses sehr heterogene Konstrukt, wo sich die Länder … die einen in Krisen, die anderen in Booms entwickeln und man am Ende die EZB hat, die das versucht, irgendwie zusammenzuhalten, aber nichts Wirkliches entsteht. Und das macht mir sehr, sehr große Sorgen.
von Billerbeck: Das heißt, wenn der nächste Sturm aufzieht, könnte die EZB sehr wehrlos sein. Wie könnte denn dieser Sturm aussehen?

Der Wachstumsmotor stottert überall

Enderlein: Sehen Sie, wir merken heute schon, dass in den USA das Wachstum nicht anzieht, wie wir das erwartet hätten. China ist sehr zerbrechlich, weltweit in den Entwicklungsländern oder in den aufstrebenden Volkswirtschaften gibt es Probleme. Das ist nach den zehn Jahren, die die letzte Krise jetzt schon fast wieder zurückliegt, auch ganz normal. Aber dann kommt eben noch mal so ein Konjunktureinbruch und dann ist die Frage: Wie reagiert man darauf? Schauen Sie sich Europa heute an, die Euroländer sind überschuldet, viele von unseren Euroländern haben keinen finanziellen Spielraum. Gleichzeitig hat die EZB ihr Pulver komplett verschossen, wir merken schon jetzt, dass sie an die Grenzen ihres Mandats gelangt.
Und die Politik schaut zu. Ich kenne wenige Vorschläge im Augenblick, die sich konkret damit auseinandersetzen, wie man dieses Problem angehen kann, falls es auftritt. Dabei brauchen wir genau das: Wir müssen weiterarbeiten an mehr Risikoteilung im Euroraum, das ist für Deutschland nicht ganz leicht zu akzeptieren, aber auch mehr Souveränitätsteilung. Das ist für Länder wie Frankreich oder auch Italien nicht leicht zu akzeptieren, wenn man dann sagt, es müssen bestimmte Reformen oder Schritte durchgeführt werden in den Nationalstaaten, die für den Euro nötig sind, selbst wenn das diese Länder nicht wollen.
von Billerbeck: Nun erleben wir gerade in Debatten um den Euro, dass da gern sehr verschwiemelt geredet wird, nicht klargemacht wird, wie die Lage wirklich ist. Das kann doch nicht gut sein, oder?
Enderlein: Sehen Sie, das Europroblem hat Europa viel zu lange politisch beschäftigt. Wir sind jetzt im Jahr sechs der Krise, der Auslöser in Griechenland war im Frühjahr 2010. Und das politische Kapital, was eingesetzt worden ist, ist natürlich schwierig gewesen für die Bundeskanzlerin, aber auch in allen anderen Ländern. Wir wissen von Griechenland, wie viele Regierungen dort mit der Eurogruppe oder in den europäischen Instanzen gekämpft haben. Das heißt, heute hat niemand mehr Lust auf diese Eurothemen.

EU-Gegner auf dem Vormarsch

Wir merken, dass der Aufstieg der AfD dann auch noch dazu führt, dass sich eine neue Partei bildet, die antieuropäisch positioniert ist, dass auch die Fragen an die EZB immer lauter werden. Und dann ist man in so einer ganz schwierigen Gratwanderung, wo man sagt auf der einen Seite, wir müssten eigentlich mehr für Europa machen, das wird hinter verschlossenen Türen auch immer wieder gefordert, ja, es muss weitergehen; und auf der anderen Seite steht der politische Wille, weil man weiß, mit Europa ist heute politisch kein Blumentopf zu gewinnen. Und das ist ja nicht nur in Deutschland der Fall, sondern Frankreich, in Griechenland, in Spanien merken wir, in Österreich haben wir es gerade gesehen, dass die euroskeptischen Parteien, die Extreme dann genau auch diesen Grundton in der Bevölkerung aufgreifen, Stimmung gegen Europa machen. Und damit genau das Gegenteil, was eigentlich nötig wäre.
von Billerbeck: Nun kennen wir den Satz von Angela Merkel: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Aber es gibt ja durchaus Menschen, die sagen: Warum nicht eigentlich wieder weg mit dem Euro? Ich vermute, das ist nicht Ihre Position, was fordern Sie?
Enderlein: Man vergisst dann immer, dass der Euro Teil einer langen Konstruktion ist, die zu mehr politischer Integration in Europa führt. Und ich will das gar nicht mal an dieser Friedensidee festmachen, zu sagen, wir brauchen Europa, damit wir keinen Krieg mehr führen, nein: Europa ist die Antwort auf immer stärker globalisierte Wirtschaftsprozesse, auf Herausforderungen, auch Klimawandel oder Terrorismus, die global sind.
Und da kann man nicht drauf reagieren, indem man die Grenzen schließt und sagt, wir ziehen uns in die kleinen Nationalstaaten zurück und stellen wieder Gartenzwerge in Bonner Vorgärten. Sondern wir müssen uns öffnen, wir müssen gemeinsam in einem regionalen Raum diese Probleme angehen. Und das führt dann über den Freihandel innerhalb des Euros über die offenen Grenzen, wie wir sie mit Schengen haben, bis hin zur gemeinsamen Währung. Denn ein Freihandelssystem aufrechtzuerhalten, wenn die Länder immer wieder ihre eigene Währung abwerten können, wenn man sich gegeneinander in einen Währungswettlauf stellt, das kann nicht funktionieren.
Und deshalb ist der Euro ein wichtiger, ein ganz zentraler Baustein in diesem europäischen Projekt. Und da hat die Bundeskanzlerin recht: Wenn dieses Europrojekt scheitert, dann steht es nicht gut um Europa. Dann wird man, glaube ich, anfangen, die Grenzen wieder zuzumachen, dann werden die Extreme stärker. Und das können wir uns heute weder wirtschaftlich noch politisch leisten.
von Billerbeck: Einschätzungen von Henrik Enderlein, Ökonom von der Hertie School of Governance, hier im Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen!
Enderlein: Ich danke Ihnen, schönen Tag!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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