Ökonom: Großindustrie stärker an Energiewende beteiligen

Moderation: Gabi Wuttke · 09.10.2012
Der Ökonom Uwe Leprich will die Großindustrie bei der Finanzierung der Energiewende zur Kasse bitten. Etwa 50 Prozent des Industriestromverbrauchs seien privilegiert oder vom Erneuerbare-Energien-Gesetz freigestellt, das sei nicht zu rechtfertigen.
Gabi Wuttke: Wie viel ist Ihnen sauberer Strom wert? Welchen Preis können Sie sich leisten? Hilft es, Strom zu sparen, um die Rechnung in Grenzen zu halten? Genau das will Bundesumweltminister Peter Altmaier heute den Verbraucherschützern schmackhaft machen, denn die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern, bald steht uns Verbrauchern eine weitere saftige Erhöhung der Strompreise ins Haus. Der Grund: das EEG. Andreas Baum schildert die Sachlage, bevor der Energie- und Wirtschaftswissenschaftler Uwe Leprich seine Sicht der Dinge erläutert.

(…)

Andreas Baum über die Strompreise in Deutschland, die zum allergrößten Teil nur für uns normale Verbraucher immer deftiger steigen werden durch die EEG-Umlage. Mitgehört hat Uwe Leprich. Er leitet das Saarbrücker Institut für Zukunftsenergiesysteme. Einen schönen guten Morgen!

Uwe Leprich: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Ich nehme an, kostenfreie Energieberatungsgespräche für Hunderttausende vor allem arme Verbraucher, da schütteln Sie nur gequält den Kopf, oder lachen Sie sogar?

Leprich: Nein, das ist schon ein Ansatz, der ist vernünftig, aber er wird das Problem nicht lösen. Also ich würde mir vorstellen können, dass Herr Altmaier auch mal in andere Richtungen denkt und ordnungspolitisch Dinge auf den Weg bringt, die zum Stromsparen und zur Stromeffizienz führen. Wir haben eine sehr schöne Ökodesignrichtlinie der Europäischen Union, die könnte man deutlich verschärfen und das würde viel mehr bringen unterm Strich, als wenn jetzt jeder einzeln beraten wird, was aber grundsätzlich nicht falsch ist.

Wuttke: Das heißt, was wir jetzt von Peter Altmaier hören, das halten Sie nicht für der Weisheit letzter Schluss, da sind noch Überraschungen möglich nach der Ankündigung, dass er das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren will?

Leprich: Na ja, einmal das Signal ist ja schon richtig zu sagen, die Energierechnung besteht aus Strompreisen und Strommengen. Wenn ich bei der Menge was drehe, dann sind auch die Preise nach oben flexibel, das ist sicherlich ein wichtiger Ansatzpunkt. Der zweite wird sein, dass man natürlich drüber nachdenkt, wie man das EEG – und das ist ja ein sehr, sehr erfolgreiches Gesetz – optimieren kann. Und da wird es schon ein paar Dinge geben, die man in nächster Zeit angehen wird, das wird zum Beispiel vielleicht eine schnellere Anpassung der Vergütungen sein auf der einen Seite, auf der anderen Seite möglicherweise auch eine Entschlackung des Gesetzes, weil es ist ja doch sehr, sehr breit aufgestellt. Man könnte sich schon vorstellen, dass vielleicht einzelne Energieträger auch anders geregelt werden könnten.

Wuttke: Was meinen Sie genau mit Entschlackung?

Leprich: Na, wir haben zum Beispiel den gesamten Bereich der Offshore-Windenergie drin, wo ja die Verbraucherschützer jetzt die Befürchtung haben, dass das der Kostentreiber sein wird in den nächsten Jahren. Man könnte sich auch vorstellen, dass man Offshore aus dem EEG rausnimmt und ähnlich, wie das in Frankreich gemacht wird, das über Ausschreibungsverfahren auf den Weg bringt, und diese Ausschreibungsverfahren beispielsweise dann steuerfinanziert. Das wäre eine Möglichkeit. Die zweite: Wir haben einen sehr, sehr großen Bereich der Biomasse im EEG. Ein Teil der Biomasse ist Abfallpolitik, ist Abfallrecht. Man könnte versuchen, da auch über das Abfallrecht Dinge zu regeln, dann würden wir solche Dinge auch über die Abfallgebühren bezahlen in Zukunft, also insgesamt eine sehr, sehr breite Differenzierung der Erneuerbare-Energien-Decke steht auf der Tagesordnung.

Wuttke: Und wie sieht es mit den Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie aus? Ich meine, wir haben es gerade gehört, wir normale Verbraucher zahlen vor allen Dingen und für diese Betriebe, die fast vollständig entlastet werden. Wo stimmt die Politik denn da in das Lied der Lobbyisten ein, der Wirtschaftsstandort Deutschland dürfe nicht belastet werden?

Leprich: Die ursprüngliche Regelung im Jahre 2004 war ja in Ordnung, zu sagen: Wir haben bestimmte Branchen, die sind sehr, sehr sensitiv im Hinblick auf Strompreiserhöhungen, die müssen wir schützen, weil sonst gehen die aus Deutschland weg. Das sind Branchen wie Primäraluminiumherstellung, Chlorelektrolyse und so weiter. Mittlerweile muss man aber sehen, dass etwa 50 Prozent des gesamten Industriestromverbrauchs entweder privilegiert ist oder völlig freigestellt ist vom EEG, und das kann man nicht mehr mit Wettbewerbsgründen rechtfertigen. Also diese Regelung ist deutlich über das Ufer getreten, und man muss noch mal sehr viel genauer hingucken, welche Branchen wirklich im harten globalen Wettbewerb stehen, und dann dementsprechend auch privilegiert werden müssen.

Wuttke: Und warum wird dann weiterhin so laut gejammert, was Sie nervt?

Leprich: Ja, das verstehe ich zum Teil überhaupt nicht. Die Großindustrie hat ja nicht nur eine weitgehende Befreiung von der Erneuerbaren-Energien-Umlage, sie profitiert auch von den sinkenden Strompreisen an der Börse. Durch die erneuerbaren Energien sinkt der Preis an der Börse – selbst seit Fukushima sind die Preise um rund zehn Prozent an der Börse gesunken, davon profitiert die Industrie unmittelbar, also insofern verstehe ich das zum Teil überhaupt nicht, warum da immer so stark gegen erneuerbare Energien sich aufgestellt wird.

Wuttke: Und was erwarten Sie, oder worauf hoffen Sie oder was befürchten Sie im Bezug auf den Bundesumweltminister bei dieser Frage?

Leprich: Ich denke, er ist noch dabei, sich ein Bild zu machen, wie das Zukunftsenergiesystem finanziert werden soll. Und da sind diese Vorschläge, die ich vorhin gerade schon angedeutet habe, sicherlich ganz oben auf der Agenda, und ich bin da gar nicht so pessimistisch, dass ihm da nichts einfällt. Andererseits, denke ich, ist er auch jemand, der sagt, das ist die größte Herausforderung Deutschlands seit der Wiedervereinigung. Das heißt, das kostet auch Geld, das ist eine Sache, da müssen alle zusammenstehen, das auch stemmen, und insofern wird es auch darauf ankommen, mit welchem Geist und welchem Spirit man dieses Projekt in Deutschland angeht, und ich denke, da kann man schon noch einiges auch verbessern und steigern, dass alle das Gefühl haben, jawohl, wir leisten hier was Großes, und das kostet aber auch was.

Wuttke:Nun haben wir Sie als Fachmann an der Strippe, und da will ich natürlich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um mir mal von Ihnen erklären zu lassen, wie das denn derzeit mit den Preisen an den Strombörsen aussieht, um zu verstehen, wie unfair die Verteilung der EEG-Umlage derzeit ist.

Leprich: Die Preise an der Börse werden letztlich gebildet durch das letzte Kraftwerk, was wir benötigen, um unseren Strom bereitzustellen, und da auch nur die Brennstoffkosten dieses Kraftwerkes, und insofern ist das ein System, was den optimalen Einsatz bestehender Kraftwerke leistet, und das macht es auch hervorragend. Das Problem ist nur, dass dadurch, dass wir sehr viele sogenannte grenzkostenfreie, also brennstofffreie Anlagen in das System bekommen, also die erneuerbaren Energien, schiebt sich diese sogenannte Angebotskurve der Kraftwerke immer weiter nach rechts, und die Preise sinken. Und mit diesen gesunkenen Preisen kann ich keine neuen Kraftwerke mehr finanzieren. Das trifft selbst für Gaskraftwerke zu, auch die kann ich nicht mehr finanzieren über die Börse, trifft aber erst recht für die Erneuerbaren zu. Insofern muss ich das System erweitern, um diese Börse, diesen Großhandelsmarkt zu flankieren durch ein EEG beispielsweise, aber in Zukunft auch durch sogenannte Kapazitätszahlungen für die Vorhaltung von Kraftwerken.

Wuttke: Noch ein kurzes Wort: Warum sind Sie eigentlich der Meinung, die Strompreise hätten mit der Energiewende nichts zu tun?

Leprich: Der Meinung bin ich nicht, die Strompreise sind schon …

Wuttke: Habe ich falsch gelesen?

Leprich: Ja, also die Strompreise sind schon ein Indikator dafür, was wir uns beim Umbau des Stromsystems leisten können und wollen, man darf aber nicht den Fehler machen und sie immer nur absolut betrachten und darüber zu jammern, dass sie steigen, weil was wäre denn die Alternative? Die Alternative wäre, dass wir beim heutigen System bleiben, also weiterhin fossile Kraftwerke, Kernkraftwerke bauen, und am Ende des Tages ist ein solches System deutlich, deutlich teurer, als wenn wir jetzt das Erneuerbare-Energien-System aufbauen und davon in 20, 30 Jahren erheblich profitieren.

Wuttke: Sagt Uwe Leprich, der Leiter des Instituts für Zukunftsenergiesysteme im Interview der "Ortszeit" vom Deutschlandradio Kultur, bevor der Bundesumweltminister heute das Stromsparen zum Thema eines runden Tischs macht. Herr Leprich, vielen Dank und schönen Tag!

Leprich: Sehr gerne, Ihnen auch, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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