Ökolandbau auf dem Prüfstand

Von Udo Pollmer · 07.08.2011
Viele Menschen kaufen "Bio", weil sie dabei ein besseres Gewissen haben. Sie glauben, den Biotieren gehe es besser als den konventionellen und Bioeier seien von glücklicheren Hühnern. In der Fachpresse der Biobranche regt sich allerdings Selbstkritik an der Tierhaltung in Biobetrieben.
Jede Branche hat ihre Insiderpresse. Das gilt auch für den Biolandbau. Hier heißt das Leib- und Magenblatt für den Biobauern "Ökologie & Landbau". Während die Beiträge von den Funktionären den Bioanbau über den grünen Klee loben, mangelt es nicht an Hinweisen von Praktikern und Wissenschaftlern, die ganze sachte die Defizite beklagen.

Anlass für die vorsichtige Selbstkritik ist die Tatsache, dass zahlreiche Biolandwirte wieder auf konventionell umstellen. In einigen Ländern der EU wechselten zeitweise mehr Biobauern wieder zurück zur bewährten Praxis als umgekehrt. Etwa ein Dutzend wissenschaftlicher Studien versuchte, die Gründe dafür zu ermitteln. Die sind allerdings ganz simpel: Wenn die Förderung wegfällt, rechnet sich das Ganze nicht mehr. Dann baut man lieber eine Biogasanlage. Das bringt mehr Subventionen.

Ein zweiter und nicht minder wichtiger Grund ist die Tierhaltung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass so manch einem Landwirt nach der Umstellung auf Bio sein Vieh leidtut und er deshalb wieder zu konventioneller Haltung und Fütterung zurückkehrt. Ich hätte es wohl nicht gewagt, diese vermeintlich ungeheuerliche Tatsache auszusprechen, wenn nicht in "Ökologie & Landbau" wiederholt Klage über die Missstände in der Biotierhaltung geführt worden wäre. Es geht dabei nicht um die berühmten Schwarzen Schafe, sondern um Zustände, die ebenso unerfreulich wie legal sind.

Sachdienliche Hinweise gibt ein aktueller Beitrag von Ute Knierim von der Uni Kassel, sie ist dort Professorin im Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften. Sie schreibt, es gäbe Betriebe, die ganz legal ihren Kühen den Weidegang verweigern, ja sogar die Anbindehaltung würde noch praktiziert. Sie beklagt "die Mast schnell wachsender Puten, die Ferkelkastration oder das Ausbrennen der Hornanlagen bei Kälbern ohne Betäubung." Alles ganz legal – denn auch der Biolandbau hat seine juristischen Schlupflöcher. Das hilft, die Preise für Bioprodukte niedrig zu halten.

Nicht viel besser geht es den Ökohühnern. Ute Knierim fragt, was der Kunde wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass in Biobetrieben Ställe mit 3000 Legehennen stehen. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, würde sie nicht Biobetriebe erwähnen, in denen die Anzahl der Hennen "noch viel höher liegt". Wie hoch, darüber schweigt der Dichterin Höflichkeit. Nun wäre auch das nicht wirklich kritikwürdig, wenn es nicht gerade bei den angeblich glücklichen Hennen zu Federpicken und Kannibalismus käme, zu gebrochenen Brustbeinen und zu erhöhten Sterblichkeitsraten – höher als bei konventioneller Haltung.

Rainer Oppermann vom Johann Heinrich von Thünen-Institut für Ökologischen Landbau fordert in derselben Ausgabe von "Ökologie & Landbau" die Biobauern deshalb auf, sich nicht vor der "Bewältigung der Defizite zu drücken", sie müssten endlich "Verantwortung übernehmen". Es ginge einfach nicht, wenn Missstände "bewusst verschwiegen" würden. Damit entpuppen sich die hübschen Filmchen im Fernsehen über Biomilch und Ökoeier als wohlfeile Propaganda, und auf lange Sicht als Bärendienst für den Öko-Landbau.

Die Lösung soll nun ein neues Tierschutzlabel bringen. Damit der Kunde endlich auch Ökoprodukte aus nachweislich tierfreundlicher Haltung erwerben kann. Als Vorbild für den Stall schlägt Frau Prof. Knierim die Hotelklassifikation vor, also die mit den fünf Sternchen. Hübsche Idee. Wie wär's mit fünf Schweinchen für den Luxussaustall mit täglicher Kobenpflege, Duschgelegenheit und am Futtertrog all inclusive? In idyllischer Lage mit kurzem Weg zum Schlachthof. Da schmeckt der Schweinebraten doch gleich viel besser. Mahlzeit!

Literatur:
Behrens G. et al: "Der unbekannte Aussteiger", Ökologie & Landbau 2011; H.159: 43-46
Knierim, U.: "Tierschutzlabel: Alles spricht dafür", Ökologie & Landbau 2011; H.159: 34-36
Oppermann, R.: "Mut zur politischen Debatte", Ökologie & Landbau 2011; H.159: 50-52
Die Zeitschrift "Ökologie & Landbau" wird von der Stiftung Ökologie & Landbau herausgegeben. Sie erscheint im oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH.
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