Obskure Heilmethoden auf dem Prüfstand

Rezensiert von Justin Westhoff · 22.08.2010
Vom "Entgiftungsfußbad" bis zu körperreinigenden "Hopi-Ohrkerzen": Der Arzt Ben Goldacre entlarvt die Tricks, mit denen Geschäftemacher den weit verbreiteten Gesundheitswahn der Menschen ausnutzen - und ihnen dabei das Geld aus der Tasche ziehen.
Furios und vergnüglich ist die erste Hälfte des Buches, nämlich da, wo es um alternativ genannte, obskure, dennoch von erstaunlich vielen Menschen akzeptierte Heilmethoden geht. Goldacre, Arzt und Medizinjournalist, widmet sich zunächst der populären Vorstellung, man könne und müsse ab und zu seinen Körper "entgiften". "Aqua Detox", ein "Entgiftungsfußbad", zeigt seine Wirkung dadurch, dass das Wasser braun wird – allerdings auch, wenn niemand seine Füße 'reinstellt. Die Verfärbung ist einzig auf rostende Eisen-Elektroden zurückzuführen.

"Hopi-Ohrkerzen" sollen nicht nur das Ohr säubern, sondern den Körper reinigen, denn, so die Verfechter dieser schmalzigen Angelegenheit: "Das Ohr ist das Tor zur Seele". In Wirklichkeit ist allenfalls die Chance groß, sich ernsthaft zu verletzen. Und so weiter. Übertragbar sind solche Beispiele auf alle Diäten und Maschinen zur Entschlackung: Der menschliche Körper macht dies nämlich ganz alleine, und es gibt keinerlei spezifische Rückstände, die irgendwelcher Reinigungs-Rituale bedürfen.

Viele der Beispiele für gekauften und verkäuflichen Blödsinn stammen halt aus Großbritannien und sind in Deutschland kaum bekannt. Wer sich hierzulande über "Vorurteile, Halbwahrheiten und fragwürdige Behandlungen" informieren will, ist mit Werner Bartens "Lexika der Medizinirrtümer" besser bedient. Ben Goldacre geht es ohnehin mehr darum, die Tricks zu entlarven, mit denen uns Gesundheits-Geschäftemacher hinters Licht führen. Das gilt auch für Kosmetika- und Nahrungsergänzungsmittelhersteller:

"Sie verkaufen die Vorstellung, dass körperliche Gesundheit mittels teurer Zaubertränke erreicht werden könne, statt mit altmodischen Turnübungen und Grünzeug."

Mit den Ernährungsberatern und -moden geht der Autor hart ins Gericht – offenbar sind wir nicht die Einzigen, die Essen nicht als Genuss betrachten, sondern als gefährliche Notwendigkeit. Damit nerven inzwischen ja sogar Spitzen-Bruzzler in deutschen Fernseh-Kochshows.

Am Beispiel der Homöopathie kommt der Autor zum Kern seines Anliegens: Wer Gesundheitsversprechen macht, muss die Wirksamkeit mit modernen, nachvollziehbaren wissenschaftlichen Methoden beweisen. Lektionen darüber, wie mit Statistiken Schindluder getrieben wird, ziehen sich durch Goldacres gesamtes Werk. Wer da noch tiefer einsteigen möchte, dem sei das Buch des deutschen Forschers Gerd Gigerenzer empfohlen: "Das Einmaleins der Skepsis – Über den richtigen Umgang mit Zahlen".

Goldacre seinerseits macht nicht bei alternativen Heilmethoden halt, sondern befasst sich auch mit der so genannten "Schulmedizin". Er kritisiert beispielsweise die "Medikalisierung" unseres Lebens, die Erfindung von Krankheiten, um Pillen dagegen verkaufen zu können. Der Rezensent lernt aber auch: Wer als "Pharmaknecht" beschimpft wird, geht mit den Segnungen moderner Heilmittel vielleicht tatsächlich zu unkritisch um. Fast noch wahrscheinlicher ist aber, dass er es mit einem Adepten des skrupellosen Mathias Rath zu tun hat, der Medikamente gegen schwere Krankheiten verteufelt, um seine eigenen Vitamin-Cocktails zu puschen.

"Nur weil Pharmariesen sich schlecht benehmen können, heißt das noch lange nicht, dass Zuckerpillen besser wirken als Placebos."

Und: Weil sich viele Medien auf Pseudoskandale stürzen, ist die Öffentlichkeit ...

"… abgelenkt von anderen, weitaus komplexeren und realeren Themen, die mit dem Pharmageschäft in Verbindung stehen und seiner unzulänglichen Regulierung."

Überhaupt ist dies Goldacres zweites Hauptanliegen: die Ahnungslosigkeit, mangelnde Sorgfalt und zum Teil Käuflichkeit der Journaille. Er beschreibt mediale Panikmache an mehreren Beispielen. Recht hat er, der Kollege, nur befasst er sich an diesen Stellen zu viel mit den Boten und zu wenig mit den Urhebern, nämlich dummen oder unseriösen Wissenschaftlern.

Trotz einiger weiterer Mängel ist das Buch: lesenswert, verständlich geschrieben, unterhaltsam, zum Teil sehr witzig. Den reißerischen und weitgehend unzutreffenden Untertitel aber hat offenbar der deutsche Verlag hinzugefügt. Im Original heißt das Buch schlicht: "Bad Science", schlechte Forschung, und die macht Goldacre eben an jenem Wissenschaftsthema beispielhaft deutlich, welches die größte öffentliche Aufmerksamkeit genießt: der Medizin. Dazu gibt es übrigens auch eine vergnügliche Internetseite, allerdings auf Englisch: www.badscience.net

Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge. Die pseudo-wissenschaftlichen Versprechungen von Medizin, Homöopathie, Pharma- und Kosmetikindustrie
Fischer TB, Frankfurt/M. 2010
Cover: "Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge"
Cover: "Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge"© Fischer Verlag