Oberzent in Hessen

Die neu geschaffene Stadt

Eine Fahne des Bundeslands Hessen vor einem Rathaus
Ein Rathaus in Hessen: In Oberzent muss künftig nur noch ein Bürgermeister bezahlt werden. © dpa/picture-alliance/Frank Rumpenhorst
Von Ludger Fittkau  · 07.04.2017
Im Odenwald fusionieren am 1. Januar 2018 vier Gemeinden zu einer Stadt. Der Zusammenschluss wird von der Mehrheit der Bürger im betroffenen Odenwald unterstützt. Bei der Namenswahl endete die Einigkeit jedoch.
"Ich möchte mich jetzt am Ende dieser Sitzung bei allen bedanken. Bedanken möchte ich aber auch beim Sportverein Ober-Hainbrunn für die Nutzung der Halle."
Horst Schwinn ist der Vorsitzende des Ortsparlamentes der Odenwaldgemeinde Rothenberg. Er bedankt sich zu Recht dafür, dass der örtliche Sportverein seine Turnhalle für die Bürgerversammlung zur Verfügung gestellt hat. Denn es sind rund 250 Menschen gekommen- das ist jeder zehnte Einwohner der Gemeinde. Einen anderen Versammlungsort hätte es für diesen Andrang auf dem Gebiet der Kommune im südlichen hessischen Odenwald nicht gegeben. Eine Stunde lang haben die Besucher der Versammlung konzentriert zugehört, was ihnen über den Vertrag erzählt wurde, mit dem sich ihr Gemeinwesen auflösen soll.

Erste Stadtneugründung des 21. Jahrhunderts

Rothenberg wird am 1.1.2018 aufgehen in der neuen Stadt Oberzent im Odenwald. Die Fusion mit drei Nachbargemeinden führt dazu, dass sich in der Region nach Wiesbaden und Frankfurt am Main die flächenmäßig drittgrößte Stadt Hessens bilden wird. Oberzent wird die erste Stadtneugründung des 21. Jahrhunderts in diesem Bundesland sein. 2016 haben sich die Bürger auf dem Gebiet der künftigen neuen Stadt mit großer Mehrheit in einem Plebiszit für die Fusion ausgesprochen. Jetzt wurden sie von den Bürgermeistern der noch bestehenden Einzelgemeinden darüber informiert, wie der Fusionsvertrag genau aussehen wird.
"Ich danke ihnen für ihr Kommen. Für ihre doch rege Diskussion hier auch. Ich wünsche ihnen allen einen guten Nachhauseweg auch und schließe die Versammlung."
Reporter: "Darf ich Sie, bevor sie gehen, mal fragen: Zufrieden mit dem Ablauf des Abends?"
Alexander Hoffmann: "Ja, entspricht eigentlich ganz meiner Vorstellung, mit der ich hier hingekommen bin. Weil ich immer davon ausgehe, dass unsere lieben Gemeindevertreter und auch was die Bürgermeister anbelangt, so weit zukunftsorientiert entschieden haben, dass es auch Sinn für den Bürger macht. Und die Kostenseite ist dann doch das Relevante und Ausschlaggebende, was mit dazu geführt hat, dieser Fusion ohne Einschränkung auch zuzustimmen."

Statt vier, nur noch ein Bürgermeister

Rund 900.000 Euro jährlich spart die neue Stadt ab 2018 ein. Das gelingt, weil statt vier künftig nur noch ein Bürgermeister bezahlt werden muss, weil die neue Stadt Oberzent als größere Kommune auch höhere Regelzuweisungen vom Land bekommt und die Landesregierung zusätzlich Altschulden erlässt. Der dadurch gewonnene finanzielle Spielraum soll schnell dafür genutzt werden, die Versorgung mit Hausärzten im ländlichen Raum langfristig zu sichern. Das wurde bei der Versammlung in Rothenberg deutlich. Alexander Hoffmann:
"Es ist einer der brennenden Punkte, wobei man hier sicherlich zurecht sagen kann, dass hier im südlichen Odenwald die Versorgung was Ärzte oder auch Pflegedienste anbelangt, hier weiter ausgebaut werden müsste. Denn wir sehen immer mehr, dass gerade die Ärzte in den ländlichen Bereichen nicht mehr bereit sind, so ganz ohne Unterstützung auch des Gesetzgebers tätig zu werden."
Fusionsprojektleiter Christian Kehrer hatte in seinem Power-Point-Vortrag das Foto eines schicken neues Gesundheitszentrums in Walldorf bei Heidelberg als Beispiel an die Wand geworfen. Das brachte ihm milde Kritik aus dem Publikum ein, denn die Rothenberger wissen, dass dort beispielsweise der Computerkonzern SAP für deutlich höhere Gewerbesteuer-Einnahmen sorgt. Doch dass die Verwaltungsexperten der künftigen Stadt Oberzent gesundheitspolitisch nach den Sternen greifen, finden die meisten Rothenberger an diesem Abend gut:
Mann: "Ja, es muss was gemacht werden mit der Gesundheitsversorgung. Weil bei uns die Ärzte immer knapper werden auf dem Land."
Frau: "Langfristig gesehen schon. Im Moment sind wir noch versorgt, aber langfristig muss man sich schon Gedanken machen, ja."
Fusionsprojektleiter Christian Kehrer: "Ich glaube, das ist ein zentrales Thema bei uns, die Gesundheitsversorgung. Bei uns im ländlichen Raum. Mit Sicherheut ist Walldorf ein Premiumprodukt, aber es ist ein gutes Beispiel, das jetzt vor ein paar Jahren erst initiiert worden ist und wir müssen darauf aufbauen, Und entsprechend unseren Bedürfnissen hier etwas schaffen."

Der Name Oberzent ist seit dem Mittelalter bekannt

Neu geschaffen werden musste auch der Name für das neue, größere Gemeinwesen – das war nicht unumstritten. Noch am Abend der Bürgerversammlung in Rothenberg wird von Einzelnen Unmut über die Namenswahl Oberzent geübt. Zuvor hatte der SPD-Ortsverein der Nachbarstadt Beerfelden vorgeschlagen, doch den Namen der größten Gemeinde der neuen Stadt – Beerfelden nämlich – für das künftige Gemeinwesen zu wählen. Doch in Rothenberg stößt diese Idee auf wenig Gegenliebe. Der Name Oberzent ist in der Region seit dem Mittelalter bekannt und diente bereits in der Vergangenheit zur Benennung von Einrichtungen, die über die Einzelgemeinde hinaus von Bedeutung sind:
Mann 1: "Wir haben eine Oberzentschule, wir haben eine Oberzent-Halle, wir haben einen Tennisverein, der sich Tennisverein Oberzent-Beerfelden nennt, von daher ist die Namensgebung so in Ordnung."
Mann 2: "Die Oberzent ist bekannt auch weit über den Odenwaldkreis hinaus."
Frau 1: "Es gibt nichts anderes, was jetzt wirklich schlüssig ist, für die ganze Region, für den ganzen Bezirk."
Mann 3: "Es ist sicherlich sehr schwierig, jedem gerecht zu werden, was diese Namensvergabe anbelangt. Ich sehe diesen Namen eigentlich positiv. Weil wir haben ihn schon in dem sogenannten "Ortsblatt", was sich "Oberzent aktuell" nennt. Und einfach auch, weil die Rahmen-Voraussetzung war, dass man gesagt hat: Wir wollen keine bestehenden Namen irgendwo mit einbinden, um eine gewisse Neutralität zu gewährleisten. Es wird eine Zeit dauern, zwei, drei Jahre, dann redet da keiner mehr drüber."
Geredet wird aber auch in drei Jahren noch über die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs auf dem Gebiet der neuen Stadt. Denn da sie flächenmäßig nach Wiesbaden und Frankfurt am Main die größte Stadt sein wird, ist es umso wichtiger, die insgesamt 19 Stadtteile gut zu verbinden. Ebenso müssen die Bahnstationen der Odenwaldbahn gut mit dem Bus oder Sammeltaxis erreichbar sein. Denn mit der Odenwaldbahn erreichen in den letzten Jahren immer mehr Menschen aus der Oberzent ihre Arbeitsplätze in den Ballungsräumen Rhein-Main oder auch im Neckartal. Doch in der neuen Stadt sollen künftig auch mehr eigene Gewerbeflächen ausgewiesen werden. Thomas Ihrig, der Noch-Bürgermeiste des künftigen Stadtteils Hesseneck:
"In Beerfelden, in der Kernstadt, wird jetzt gerade auch ein neues Gewerbegebiet entwickelt. Sowas kann man aber auch nicht in allen Ortsteilen machen, denn da sind wir dann auch teilweise wieder von der Erschließung, von den Kreisstraßen , den Landstraßen die hinführen – sind wir ohnehin ja in gewisser Weise abgehängt. Weil wir zu allen Seiten mindestens eine Stunde brauchen, bis wir auf der Autobahn sind."

Künftige Kernstadt ist Beerfelden

Die künftige Kernstadt Beerfelden ist zumindest von den Nachbarstädten im Odenwald wie Erbach oder Michelstadt aus gut zu erreichen. Doch auch sie hat in den letzten Jahren über einen gewissen Bevölkerungsrückgang zu klagen, einige Ladenlokale und Wohnungen im Ortskern stehen leer. Nicht nur das künftige neue Gesundheitszentrum soll zur Wiederbelebung der Kernstadt beitragen, sondern auch ein neues Tourismuskonzept für die neue Stadt Oberzent. Denn sie liegt in einem landschaftlich äußerst reizvollen Gebiet. Das Datum der Stadtgründung am 1.1.2018 soll bundesweit auch dazu genutzt werden, die Schönheiten des südlichen Odenwaldes ins Bewusstsein zu rücken, betont Fusionsprojektleiter Christian Kehrer während der Bürgerversammlung in Rothenberg.
Die Bürger jedenfalls vertrauen ihren Fusionsmanagern:
Mann 1: "Sie versuchen etwas zu machen. Ob man es hinbekommt, das ist sehr, sehr schwierig. Allein schon wegen dem Finanziellen. Das muss man mal abwarten. Aber zumindest wird mal was versucht."
Frau 1: "Wie wir es hier gemacht haben, das war vorbildlich in Sachen Demokratie. Auf lokaler Ebene gut vorbereitet, Bürger mit einbezogen. Es war phantastisch. Und deswegen haben sie es geschafft."
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