Obdachlose in Prag

Ein Bett für den Winter

Ein Bettler sitzt bei Minusgraden in gebückter Haltung auf seinen Knien auf der Karlsbrücke in Prag.
Ein Bettler sitzt bei Minusgraden in gebückter Haltung auf seinen Knien auf der Karlsbrücke in Prag. © dpa / Bodo Marks
Von Stefan Heinlein · 26.11.2013
Prag ist ein hartes Pflaster für Obdachlose. Jeden Winter erfrieren Menschen, weil es an Notunterkünften und Betreuungseinrichtungen fehlt. Der Stadtrat hat zögerlich reagiert und mehr Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen. Hilfsorganisationen reagieren skeptisch, sie fordern ein langfristiges Konzept.
Warten auf die Essensausgabe in Prager Asylhaus. Seit dem Mittag haben sich die Obdachlosen in die lange Schlange eingereiht. Doch erst um 14 Uhr öffnet der Schalter. Dort gibt es eine warme Suppe und zwei weiche Weißbrotstangen. Wenn es kalt wird steigt die Zahl der Gäste. Wer zu spät kommt kann sich nur bei Tee und Kaffee aufwärmen. Auch Kveta hat sich deshalb schon früh auf den weiten Weg gemacht:
Kveta: "Jeden Tag bekomme ich hier mein Essen. Ich habe keine Wohnung weil ich ohne Arbeit meine Miete nicht mehr bezahlen konnte. Jetzt lebe ich auf der Straße. Man kann das nicht beschreiben. Es ist einfach schrecklich."
Das Prager Asylhaus der Heilsarmee liegt am Stadtrand in einem verfallenen Industriegebiet. Im Sozialismus war der billige Plattenbau eine Wäscherei. Heute ist der schmutzig-graue Linoleumfußboden verschließen. Wände und Fenster ungestrichen und braun. Es stinkt erbärmlich nach Schweiß, Urin und Alkohol. Und doch, so Direktor Miloslav Pipal, ist das Asylhaus das einzige Zuhause für immer mehr Menschen:
Miloslav Pipal: "Wir haben 200 Betten für Obdachlose die länger bei uns wohnen. Außerdem noch einmal 50 Notunterkünfte für ein paar Nächte. Wir sind immer voll belegt. Im Winter mussten wir viele Menschen wegschicken- wir konnten ihnen keine Wärme und kein Brot anbieten."
23 Menschen erfroren im vergangenen Jahr
In den bitterkalten Nächten des letzten Jahres starben 23 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt. Seit Jahren fehlt es in Prag an Übernachtungsmöglichkeiten. Die Zahl der Obdachlosen liegt nach Schätzungen bei rund 4000. Doch nur etwa vierte findet bisher ein Dach über dem Kopf in den wenigen öffentlichen Heimen. Der neue Bürgermeister Tomas Hudececk will das nun ändern:
"Die Situation der Obdachlosen in Prag ist unerträglich. Sie ist eine Folge der massiven Sparpolitik. Wir haben deshalb grundsätzliche Verbesserungen beschlossen."
Zwei neue Wohnheime mit zusätzlich 200 Betten werden ab Anfang Dezember die bisherigen Zeltlager am Moldauufer ersetzen. Außerdem sollen erstmals Streetworker als Ansprechpartner für die Obdachlosen bereit stehen. Trotz leerer Kassen werde die Stadt die Kosten von umgerechnet rund 1 Millionen Euro übernehmen, so Ratsherr Martin Dlouhy:
"Jedes Jahr haben wir bisher nur provisorisch auf die angekündigte Katastrophe reagiert. Jetzt werden mobile Einsatzteams die Obdachlosen betreuen. Ihnen Unterkunft, eine Dusche und Essen vermitteln."
Ein Konzept das nicht alle Kritiker überzeugt. Jahrelang hat die Stadt die Obdachlosen vor allem schikaniert, meint Miloslav Pipal von der Heilsarmee. Statt zu helfen sei versucht worden mit immer neuen Vorschriften die Probleme vor den Augen der Öffentlichkeit zu verstecken. Auch aktuell gebe es einen Plan den öffentlichen Nahverkehr für Obdachlose zum Sperrbezirk zu erklären.
Miloslav Pipal: "Die neuen Ankündigungen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man kann nur hoffen. Diese Pläne verschwinden nicht wieder rasch in der Schublade. Es wird aber viele Jahre brauchen um die Probleme wirklich zu lösen."
Interesse für Schicksal der Obdachlosen wecken
Probe im Theater Divadno. Jeden Dienstag treffen sich die 20 Schauspieler um ihr Stück einzustudieren. Eine private Hilfsorganisation hat den Raum gemietet. Ein Versuch den Obdachlosen mehr Selbstvertrauen zu geben, erzählt Regisseur Jan Malec. Auch bei den Zuschauern soll sich etwas ändern. Kaum jemand in Tschechien interessiere sich für das tragische Schicksal der Männer und Frauen auf der Straße:
Jan Malec: "Die Obdachlosen sind bei uns ganz am Rande der Gesellschaft. Für die meisten einfach der letzte Dreck Wir wollen aber zeigen das es ganz normale Menschen sind. Vielleicht hilft unser Theater die Vorurteile zu beseitigen."
Dass sich in Tschechien wirklich etwas ändert, daran zweifelt Tonda. Seit fünf Jahren lebt der ehemalige Bauingenieur auf der Straße. Von den neuen Plänen der Stadt hat er gehört. Doch den Ankündigungen könne man nicht trauen. Sein Schicksal bleibe auch in Zukunft ein mühsamer Kampf um das tägliche Überleben.
Tonda: "Wo bekomme ich was zu essen, wo kann ich schlafen oder meine Sachen waschen. Das sind meine Probleme. Aber niemand hilft mir dabei. Seit Jahren ist es dasselbe Spiel. Es wird immer nur geredet – aber in Wirklichkeit funktioniert gar nichts."
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