"Oase in einer ziemlich wüsten Landschaft"

Niels Kadritzke im Gespräch mit Frank Mayer · 12.07.2011
Die Griechen seien dankbar für jeden, der jetzt bei ihnen Urlaub mache, meint der Journalist Niels Kadritzke. Das Land profitiere in diesem Sommer von vielen Besuchern, die Tunesien oder Zypern mieden. Allerdings sei die Laune im Keller: "Die Griechen singen nicht mehr."
Frank Mayer: Bei den Urlaubsflügen auf griechische Inseln nach Rhodos, Kreta oder Korfu, da gibt es Zuwächse von 30 Prozent etwa. Ganz im Gegensatz zu den Reisen nach Athen, da sind die Buchungen stark zurückgegangen. Insgesamt läuft das Geschäft aber sogar besser als in den Vorjahren, sagen Reiseveranstalter – obwohl sie angesichts der Krise dort das Gegenteil befürchtet hatten. Über den Tourismus im Krisenland Griechenland wollen wir reden mit dem Journalisten Niels Kadritzke, der sich in Griechenland bestens auskennt. Seien Sie uns willkommen!

Niels Kadritzke: Danke!

Mayer: Also, nach Athen – bleiben wir erst mal da – kommen weniger Touristen. Das liegt sicher an den Bildern, die man von dort oft gesehen hat in den letzten Monaten: Brennende Barrikaden, Unruhen immer wieder …

Kadritzke: Das sollte man denken, allerdings sagen griechische Beobachter, dass sich das kaum ausgewirkt hat. Ich meine, im Hochsommer ist Athen sowieso nicht die attraktivste Stadt, sie ist heiß, und man umgeht Athen weiträumig, wenn man es irgendwie einrichten kann. Ich glaube, dass die Bilder deswegen auch irreführend sind, weil jetzt natürlich im Sommer auch die Demonstranten zuhause bleiben oder auch in Ferien fahren. Nach wie vor ist Athen eigentlich im Sommer – jetzt von den Temperaturen abgesehen – eine sehr angenehme Stadt, weil sie leer ist, und vor allem, weil auch die Museen leerer sind. Und zum Beispiel das Akropolis-Museum in Athen ist nach wie vor eine Attraktion ersten Grades.

Mayer: Die meisten Touristen reisen jetzt auf die großen Urlaubsinseln, die ich genannt hatte. Was haben Sie da für Kenntnisse, sind das vor allem die Pauschaltouristen, die jetzt da unterwegs sind?

Kadritzke: Ja, es ist auffällig, dass die Inseln, die vor allem vom Pauschaltourismus leben – das sind also die großen Inseln Rhodos und Kos, aber auch Kerkyra oder Zakynthos im Westen, die haben die höchsten Zuwachsraten, da sind die Einkünfte aus dem Ausland im Fall von Rhodos um 33 Prozent gestiegen, während sie auf anderen Inseln eher gesunken sind. Bei den Zahlen insgesamt muss man ganz klar hervorheben, selbst wenn es bei dem Zuwachs von 16 Prozent bleibt, die das erste Halbjahr jetzt ausweist, hat Griechenland erst den Stand von 2009 erreicht. Es heißt also, das letzte Jahr, die Saison 2010 war katastrophal, schon davor ging es ein bisschen runter, und das Niveau vor der Krise wird erst erreicht, wenn Griechenland noch einen zweiten Sommer mit Zuwachs, mit einer zweistelligen Zuwachsrate erzielt.

Mayer: Woher kam diese Delle in den letzten Jahren, hatte das auch schon etwas mit der Krise zu tun?

Kadritzke: Selbstverständlich! Das hatte sehr mit der Krise zu tun. Ich meine, das Jahr 2010 war ja zum ersten Mal geprägt von diesen Bildern, über die wir gesprochen haben; es gab am Anfang der Saison Streiks gegen den Schiffsverkehr zu den Inseln, es gab Fluglotsenstreiks – das waren alles Faktoren, die die Reisetätigkeit stark beeinträchtigt haben vom Ausland, die aber den Tourismus insgesamt vor allem deswegen beeinträchtigt haben, weil die Griechen selbst, die auch in Urlaub fahren, zuhause geblieben sind oder viel kürzere Ferien gemacht haben.

Mayer: Der Zuwachs jetzt, der hat vielleicht ja auch zu tun mit der Situation in anderen Ländern. Wir haben gestern hier im "Radiofeuilleton" ein Gespräch gehabt über die Lage in Tunesien, wo die Urlauber jetzt wegbleiben. Viele weichen vielleicht nach Griechenland aus?

Kadritzke: Ganz sicher! Das ist sogar von den griechischen Tourismusbehörden statistisch erfasst, es gibt einen ganz klaren "Gewinn" von Touristen, die Nordafrika abgebucht haben. Es könnte jetzt sogar – da muss ich leider sagen – einen enormen Zuwachs geben von Touristen, die eventuell Zypern meiden, wenn in Zypern aufgrund der letzten Explosion sich rausstellt, dass die Stromversorgung beeinträchtigt ist – also, Griechenland ist in gewisser Weise Krisengewinnler.

Mayer: Wir haben in den letzten Wochen oft gelesen, dass viele Griechen auf die Deutschen schlecht zu sprechen sind wegen der harten Haltung der deutschen Regierung bei der Unterstützung für Griechenland. Was werden die Touristen davon merken?

Kadritzke: Ich glaube, sie werden ganz wenig davon merken auf den Inseln, die wir genannt haben, wo sie sowieso ein Pauschalarrangement treffen und wo sie in großen Hotels untergebracht sind. Differenzierter muss man es auf kleinen Inseln sehen oder da, wo sie als Einzeltouristen erkennbar sind. Da wird es unglaublich davon abhängen, wie die Deutschen selbst sich darstellen. ich glaube, dass die Griechen generell unglaublich dankbar sind, diesen Sommer, für jeden, der kommt. Natürlich werden sie ab und zu jemand auf Frau Merkel ansprechen, und wenn man dazu eine begründete Meinung hat, wird man auch angehört, aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass die Griechen ausgerechnet über die Deutschen herziehen, die sie diesen Sommer noch besuchen.

Mayer: Aber man sollte sich dann auf Diskussionen einlassen, das kann man …

Kadritzke: Das durchaus! Und man tut gut daran, zum Beispiel im Kopf zu haben, was bestimmte Presseorgane in Deutschland geschrieben haben, das wurde in Griechenland aufmerksam registriert und oft als sehr ungerecht empfunden, und wenn man da mitdiskutieren kann mit begründeten Meinungen, ist man wahrscheinlich besser dran, als wenn man, sagen wir, die Vorurteile der "BILD"-Zeitung wiedergibt.

Mayer: Auf welche Stimmung wird man überhaupt stoßen in Griechenland? Man fährt ja auch ungern in ein deprimiertes Krisenland?

Kadritzke: Das ist ein Riesenproblem: Eine griechische Freundin hat mir jetzt gerade geschrieben: Die Griechen singen nicht mehr! Und das ist wirklich im Alltag stark zu spüren. Allerdings dort, wo die Griechen halt ihren Alltag verbringen. Ich glaube, dass es in den Ferienorten weniger zu merken sein wird. Die Griechen genießen jetzt auch mal ein, zwei Wochen jenseits der Krise, wollen auch nicht mehr dran denken und werden ganz sicher nicht mit Trauermiene am Strand rumlaufen. Was sicher ein Faktor ist, und das wird wiederum die Wirtschaft beeinträchtigen: Die Griechen, die in Urlaub fahren, machen einen kürzeren Urlaub und sie gehen vor allem nicht mehr groß aus! Früher war es ja klar, dass man jeden zweiten Abend in eine Taverne geht – das wird jetzt bei dem reduzierten Familieneinkommen überhaupt nicht mehr möglich sein. Man könnte zynisch sagen: in den Tavernen wird man eher Plätze kriegen als vor zwei Jahren – selbst in der Hochsaison!

Mayer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Journalisten und Griechenlandkenner Niels Kadritzke über den Tourismus im krisengeschüttelten Griechenland. Wenn wir uns das noch mal praktisch anschauen: Dieses drastische Sparprogramm der griechischen Regierung hat ja natürlich auch Auswirkungen auf touristische Stätten, Museen und so weiter. Muss man sich da auf Einschränkungen gefasst machen?

Kadritzke: Diesen Sommer nicht. Das, was ich am Anfang des Jahres noch befürchtet habe, wird wahrscheinlich nicht eintreten. Die Fluglotsen haben ausdrücklich erklärt, dass sie diesen Sommer nicht streiken werden, obwohl sie eigentlich ebenso beeinträchtigt sind wie andere, die Schiffe werden sicher pünktlich fahren, da werden die Reedereien schon großen Wert drauf legen, die im Defizit sind und sich von diesem Sommer eigentlich eine Erholung ihrer Geschäfte versprechen. Ein Problem könnte sein – das sehe ich aber auch nicht mehr so kritisch – die Stromversorgung, es gab ja Warnstreiks der Elektrizitätswerker, die umschichtig bestimmte Gegenden Griechenlands mit Strom unterversorgt haben. Das wird im Sommer sicher auch nicht stattfinden, weil auch die Stromwerker wissen, dass das Land im Sommer wirklich als einzige Hoffnung auf den Tourismus setzen kann.

Mayer: Die griechische Regierung soll auch einiges dafür getan haben, damit das Tourismusgeschäft wieder besser läuft und gesichert wird. Was zum Beispiel?

Kadritzke: Sie hätte noch mehr tun können! Es wird sehr kritisiert, dass im letzten Sparpaket von vor 14 Tagen zum Beispiel die Mehrwertsteuer für Restaurants ausgerechnet kurz vor der Touristensaison von dreizehn auf 23 Prozent hochgesetzt wurde. Das wird viele Griechen abschrecken. Die aus dem Ausland kommenden Touristen werden diesen Preisaufschlag kaum merken, aber das war sicher eine Notmaßnahme, die im Bezug auf den Tourismus nicht günstig war. Ansonsten tut die griechische Regierung alles, um Störungen zu vermeiden, und was ich erwähnt habe mit den Stromarbeitern: Sie hat die ganzen Privatisierungsdiskussionen über die Elektrizitätswerke auf den Herbst verschoben, um sozusagen keine Angriffsfläche auf diesem Feld zu bieten.

Mayer: Manchmal sind ja auch Krisensituationen Möglichkeiten, neue Dinge auszuprobieren, auch unter dem Zwang der Situation, in dem man ist. Passiert so etwas in Griechenland? Gibt es neuartige Angebote, gerade im Tourismusbereich?

Kadritzke: Es passiert was, aber vieles passiert nur auf dem Papier. Ich meine, der berühmte Ökotourismus oder Alternativtourismus wird seit Jahren diskutiert. Es gibt auch auf bestimmten Inseln und in ganz bestimmten, eher entfernten Gegenden wunderbare Angebote, aber die Informationen darüber sind spärlich und man könnte da noch viel mehr tun. Es gab nicht den großen Schub, der jetzt diese Chance angepackt hätte. Das hängt damit zusammen, dass nach wie vor die große Tourismusindustrie, also die großen Hotels, eher auf den Ausbau des Luxustourismus setzen. Das heißt, sie wollen mehr Fünf-Sterne-Hotels, was ich für problematisch halte, weil die vielleicht preislich doch nicht mit anderen Ländern wie Türkei mithalten können.

Mayer: Weil es dort das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis gibt?

Kadritzke: … das noch günstigere Preis-Leistungsverhältnis, zweifellos! Andererseits muss man eines sagen – das ist, finde ich, sehr interessant: Es kommen inzwischen immer mehr türkische Touristen auf die griechischen Inseln, weil sie sehen, dass ihre eigenen Küsten vollgebaut wurden. Für die sind griechische Inseln geradezu ein Paradies, weil sie da noch die unberührten Küsten finden, die sie gegenüber an der anderen Seite der Ägäis nicht mehr antreffen. Und im Übrigen – das ist ganz interessant zu sehen – die türkischen Touristen sind höchst willkommen, weil sie wahnsinnig viel Geld ausgeben. Das sind diejenigen, die am meisten Ausgaben pro verbrachtem Tag in Griechenland machen, sind also deswegen ein guter Botschafter zwischen den beiden Völkern, so gesehen.

Mayer: Trotz der historischen Animositäten?

Kadritzke: Die sowieso unglaublich nachgelassen hat, weil inzwischen auch sehr, sehr viele Griechen nach Istanbul Reisen machen. In Istanbul ist jeder vierte Auslandstourist aus Griechenland inzwischen. Und auch die türkischen Küsten werden zunehmend von griechischen Touristen aufgesucht. Wir haben also einen Austausch von reichen Türken, die nach Griechenland fahren, und von griechischen Familien, die sparen müssen und sehen, dass an der türkischen Küste vielleicht das günstigere Angebot ist.

Mayer: Die Tourismusindustrie – Sie haben es mehrfach gesagt – ist ja ein ganz entscheidendes Standbein für die griechische Wirtschaft: 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes kommen aus dem Tourismus. Also, wenn man jetzt diesen Sommer anschaut, haben Sie den Eindruck, zumindest dieser Teil der griechischen Wirtschaft ist einigermaßen gesichert?

Kadritzke: Ja, und ist auch unglaublich wichtig, weil der Tourismus wirklich eine Oase in einer ziemlich wüsten Landschaft ist. Selbst die Regierung rechnet inzwischen mit vier Prozent wiederum Minuswachstum der Gesamtwirtschaft. Da ist natürlich eine Branche, die jetzt auf 16 bis 20 Prozent Zuwachs zusteuert, ein einziges Versprechen. Und wenn das einbrechen würde, würde es für die Wirtschaft noch viel schlechter aussehen.

Mayer: Der Tourismus in Griechenland wächst trotz der Unruhe im Land. Niels Kadritzke, Journalist und Griechenland-Kenner, hat uns darüber informiert. Ganz herzlichen Dank!

Kadritzke: Bitte schön!

Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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