Nur was verwelkt gewährte Lust

Rezensent: Michael Opitz · 08.03.2005
"Ein Freudenelend/Ist das Leben." - lautet das Fazit einer Existenz, die aufgeladen ist mit Erfahrungen "aus einem rostigen Zeitalter". Diese Lebensbilanz richtet sich an den Enkel, die Zukunft allerdings bleibt ungewiss. "Auf die schönen Possen" heißt der neue Gedichtband von Volker Braun.
Volker Braun findet Gefallen daran, wenn ihm oder Dichterkollegen ein Wortspiel gelingt, in dem ein "Wort auf höchster grinsender Ebene" vorkommt, wie er es in der Büchnerpreisrede Die Verhältnisse zerbrechen (2000) formuliert hat. Das grínsende Wort schillert in vielen Bedeutungsfacetten, es bewegt sich jenseits der faktischen Gewissheiten und gibt sich uneindeutig. Wer wissen will, was es meint, muss sich durch verschiedene Bedeutungsnuancen hindurcharbeiten und wird am Ende doch nicht mit der einen belohnt werden – ein grinsender, unaufgelöster Rest wird bleiben. Solche Komik ist nach dem Geschmack von Volker Braun, dessen neuer Gedichtband "Auf die schönen Possen" der Spaßgesellschaft mit trotzig-heiterem Ernst begegnet, um die Verhältnisse zum Taumeln zu bringen.

Von einem "Luftkoffer" spricht Volker Braun in dem Text "3. Oktober 1990", der "Erinnerungen und Erwartungen unkontrolliert und subversiv" enthält, "schwer zu tragen, aber die Schritte treibend". An einigen Gedichten aus dem neuen Lyrikband ist im Unterschied zu dem 15 Jahre älteren Text auffällig, dass es inzwischen einige Schwierigkeiten bereitet, die Schritte zu setzen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten - das lyrische Ich in dem gleichnamigen Gedicht verliert das Gleichgewicht und neben der Selbstkontrolle auch einstige Gewissheiten.

Anzeichen dafür, dass scheinbar Festgefügtes ins Rutschen geraten ist, findet Braun nicht allein im Untergang von Staaten, sondern auch in den Reaktionen der Natur, die mit Katastrophen auf die ihr zugemuteten Vergewaltigungen antwortet. Dem "Lidschlag der Geschichte" ebenso ausgesetzt wie dem "Schulterzucken Stärke neun" der Natur, von dem das Gedicht "Die Gezeiten" handelt, gilt es für den einzelnen, nicht nur in der Spur zu bleiben, sondern Hindernisse möglichst mit Grazie zu nehmen. Denn er muß Geschick zeigen, wenn es ihm anders ergehen soll, als dem Aktivist Hennecke, der einst die Stütze des Neuen war und nun "von der Stütze" lebt. "Ein Freudenelend / Ist das Leben."

Gespenstisch und im höchsten Grade doppeldeutig mutet auch das Szenario an, das Volker Braun in dem Zyklus "Totentänze" aus dem neuen Gedichtband entwirft. Die sieben, die sich da zu einem Gesellschaftstanz einstellen, sind keine Vertreter der Stände, sondern Braun ruft so genannte Stützen von Zuständen in Erinnerung, die seit 1989 unter die Räder der Geschichte gekommenen sind. Der Dichter spielt zu einem Reigen auf und schon drehen sich "Die Utopie", "Der Kommunismus" und "Das Volkseigentum". Wenn auch nur schemenhaft, "Die Ideologie", "Der Klassenkampf" und "Die Solidarität" lassen sich blicken. Sie sind scheu geworden und haben ganz erheblich an Anmut verloren - selbstverliebt schleppen sie sich über den Friedhof, auf dem die letzten kühnen Fortschrittsideen begraben liegen. Eine Schar von Bleichgesichtigen zitiert Volker Braun vors Angesicht des Sensenmannes und bringt sieben Todgeweihte zueinander, auf dass es danach in die Grube geht. Ein letztes Mal gehen sie nebeneinander und fassen sich mit knochigen Fingern bei der Hand.

Ganz zum Schluss dieses Zyklus’, kommt Braun auf "Die Kunst" zu sprechen, die nicht nur einen frischeren Eindruck erweckt als ihre Partner, wenn sie "auf den Gräbern mit Grazie" tanzt, sondern die mit ihrem "wilden Gedächtnis" auch Einspruch gegen eine um sich greifende Amnesie erhebt. Während die anderen zum Tode Verurteilten nichts behalten und nur mit sich selbst beschäftigt sind, vermag die Kunst, die in ihren Gräbern liegenden "Verreckten" und "Vergessenen" wieder zu erwecken. "Wie, ist es möglich? daß die Verhältnisse tanzen", fragt Braun in der letzten Zeile des "Kunst"-Gedichts, und lässt die Frage, die auch eine nach dem Gleichgewicht ist, offen.

Es hat den Anschein, als würden wir in dem neuen Gedichtband einem Volker Braun begegnen, der gelassener geworden ist, der in dem Gedicht "Auf die schönen Possen" zu einer Haltung rät, die Enttäuschungsresistent ist: "An Liebe halt dich, die vergeht. / Nach Höhrem nicht verrenk den Geist". Doch aus dieser Position heraus, die frei von Erwartungen und Verpflichtungen ist, vermag er Vergangenes und Gegenwärtiges wie nebenbei umso schärfer zu hinterfragen.




Volker Braun: Auf die schönen Possen. Gedichte.
Suhrkamp. Frankfurt am Main 2005.