Nur mal kurz die Welt retten

Christian Rhode im Gespräch mit Joachim Scholl · 04.09.2013
Vor allem Abiturienten, Menschen im Sabbatjahr oder Rentner zieht es als so genannte "Volunteers" in die Welt - sie wollen in fremden Ländern Hilfsprojekte unterstützen. Christian Rhode vom Portal freiwilligenarbeit.de rät dazu, einen solchen Aufenthalt gut vorzubereiten.
Joachim Scholl: Es ist nicht nur als Wort eine interessante Neuschöpfung, der Voluntourismus. Gebildet aus Englisch Volunteering, also Freiwilligenarbeit, und Tourismus. Es ist ein Angebot, das immer mehr touristische Veranstalter anbieten: Urlaub plus soziales Engagement im Gesamtpaket, wobei beide Teile wohlgemerkt vom Reisenden selbst finanziert werden. - Was es da alles gibt, wie es funktioniert und wer auf solche Reisen geht, das wollen wir jetzt von Christian Rhode genauer wissen vom Infoportal freiwilligenarbeit.de. Christian Rhode ist jetzt am Telefon, guten Tag!

Christian Rhode: Ja, schönen guten Tag!

Scholl: Dass man als sozial engagierter Mensch in fremde Länder reist, Herr Rhode, um nicht nur am Strand zu liegen, sondern etwas Gutes zu tun in einem Waisen- oder Krankenhaus, in einer Organisation Freiwilligendienst leistet, das gibt es ja schon lange. Was ist denn da der große Unterschied zum Voluntourismus?

Rhode: Ja, der Unterschied liegt einfach darin, neben der Tatsache, dass es heute viel mehr Leute machen als früher, dass beim Voluntourismus keine Institutionalisierung dahintersteht, also es gibt keine Entsendeorganisation, zum Beispiel kirchlicher Art, es wird nicht staatlich gefördert, zum Beispiel über das Programm Weltwärts, was bei den Freiwilligendiensten eben oft dahinter steht als finanzielle Förderung auch. Beim Voluntourismus ist es halt so, dass man also die Freiwilligenarbeit im Ausland wie eine ganz normale Reise bucht bei Organisationen Schrägstrich Veranstaltern, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben.

Scholl: Was wird denn da kommerziell so angeboten? Geben Sie uns vielleicht mal eine kleine Auswahl.

Rhode: Das ist sehr umfangreich, also es gibt viele, viele Länder, in denen man sich freiwillig engagieren kann, es ist in Südamerika möglich, in Asien und in Afrika auch sehr stark, aber auch zum Beispiel in Europa. Beispiel wären zum Beispiel, dass man in Argentinien in einem Kinderheim arbeitet, sich um Kinder kümmert oder auch ein bisschen unterrichtet, man kann beispielsweise in Südafrika in einem Projekt arbeiten mit Löwen oder auch mit Delfinen oder Walen, also im Wildlife-Bereich, es gibt in den unterschiedlichsten Ländern unterschiedliche Tätigkeitsbereiche, also zum Beispiel neben dem Wildlife oder dem Kinder-Betreuen auch Bildungsprojekte, wo man mit Erwachsenen in Bildungsprojekten arbeitet, im medizinischen Bereich, wo man dann beispielsweise gleichzeitig auch ein medizinisches Praktikum macht oder eine Famulatur. Das ist also sehr, sehr vielfältig.

Scholl: Was muss man denn dafür ausgeben, wie ist denn hier so die Spanne?

Rhode: Ja, da muss man sagen, es hängt natürlich davon ab, in welches Land geht man, wie lange geht man ins Ausland, was für eine Art des Projektes ist es, aber ganz grob gesagt, fängt es bei einigen Hundert Euro an und geht wirklich bist zu mehreren Tausend Euro. Dann sprechen wir aber – und das sind dann die Ausnahmen, also bei den mehreren Tausend Euro – von langfristigen Aufenthalten, wo ich vielleicht in Ostasien, Neuseeland, also auch weit weg bin, und wo ich mich in Projekten engagiere, wo die Betreuung auch recht aufwändig ist. Also zum Beispiel ist auch der Faktor, wie aufwändig ist die Betreuung, auch wiederum ein Faktor, der sich auf den Preis auch auswirkt.

Scholl: Ich meine, dass man für seinen Urlaubsspaß Geld bezahlt, das ist ja logisch, warum aber dann also für diese zusätzliche soziale Arbeit noch bezahlen, wofür denn dieses Geld eigentlich?

Rhode: Genau das ist natürlich auch eine Frage, die oft kommt von den Usern bei uns auf freiwilligenarbeit.de, dass die sagen, ja, wieso kostet das denn Geld, weil ich engagiere mich ja freiwillig. Und da ist es einfach so, das natürlich die Projekte niemandem Geld zahlen können – logisch –, aber die Organisationen, die sagen: Okay, ich plane für dich diesen Auslandsaufenthalt, ich organisiere das alles für dich, ich betreue dich die ganze Zeit, ich sorge dafür, dass du vor Ort eine Unterkunft hast und eine Verpflegung bekommst, all das ist in diesem Preis, den man dann bezahlt, mit drin, und natürlich oft auch, weil wir dafür eine Spende, also dass in diesem Preis eine mit drin ist, die dann an das Freiwilligenprojekt noch abgeführt wird.

Scholl: Gibt es da von der Anbieterseite große Unterschiede so Ihrem Einblick nach? Woran erkenne ich also einen seriösen Anbieter, oder von welchem sollte man da die Finger lassen? Auf was muss man achten?

Rhode: Also zur ersten Frage muss ich sagen, es ist sehr, sehr differenziert, also es gibt sehr viele unterschiedliche Arten von Anbietern in diesem Bereich, die wirklich von sehr, sehr großen Veranstaltern gehen, die neben Freiwilligenarbeit auch andere Formen des Auslandsaufenthaltes anbieten, wie zum Beispiel Work and Travel, Farmarbeit im Ausland oder auch High-School-Aufenthalte, die dann wiederum auch in sehr, sehr vielen Ländern Projekte anbieten, in sehr vielen Tätigkeitsbereichen, das ist so das eine Ende.

Und an dem anderen Ende sind Veranstalter, die nur Freiwilligenarbeit anbieten, und vielleicht auch nur in einem Land, und wiederum Projekte vor Ort mitentwickeln, also sehr stark involviert sind in diese Projekte, und aufgrund der Tatsache, dass sie Freiwillige benötigen, um diese Projekte voranzutreiben, dann auch zu einer Art Veranstalter geworden sind. Also da ist das sehr differenziert. Und zur zweiten Frage, wo es ja darum geht, okay, worauf kann ich achten, damit ich ein seriöses Angebot buche, da muss man sagen, es gibt noch nicht viele Kriterien, nicht viele Bewertungskriterien, weil dieser Markt sich gerade entwickelt.

Wir von freiwilligenarbeit.de sind auch dabei, Bewertungskriterien zu entwickeln, vielleicht in Richtung Bewertungsportal zu gehen, aber was man machen kann, ist auf jeden Fall, dass man schaut, okay, inwiefern fragen die mich vorher, was hast du denn schon gemacht, wo möchtest du arbeiten, also dass man eben guckt auch, werde ich da irgendwo eingesetzt, wo es auch möglichst viel Sinn macht.

Man sollte auf jeden Fall viele Fragen stellen, wie sieht es vor Ort aus, kann ich da Bilder sehen, wie ist die Betreuung und so weiter, und natürlich, dass man sagt, okay, man googelt ganz klassisch und guckt, gibt es schon irgendwelche Erfahrungsberichte im Internet über diesen Veranstalter. Das sind so die Möglichkeiten, die es aktuell gibt.

Es wird hoffentlich – und da sind wir auch wie gesagt mit dran – in Zukunft mehr Möglichkeiten geben, also vielleicht auch Gütesiegel, da gibt es verschiedene wissenschaftliche Arbeiten, die gerade entstehen zu dem Thema, Bachelor-/Masterarbeiten, wo wir bei einer auch beteiligt sind, und die geht genau in diese Richtung, kann man vielleicht ein Gütesiegel entwickeln anhand von Bewertungskriterien?

Scholl: Voluntourismus, der neue Trend – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Christian Rhode vom Infoportal freiwilligenarbeit.de. Dass das Angebot jetzt immer größer wird, liegt natürlich einfach auch am steigenden Interesse der Touristen. Wer macht da eigentlich mit, Herr Rhode? Gibt es schon den typischen Voluntouristen?

Rhode: Also da muss man ganz klar sagen, auch bei den Angeboten, die man auf unserer Website findet, das sind also Projektangebote verschiedenster Veranstalter, so aus allen Bereichen, da ist es schon so, dass der klassische Teilnehmer weiblich ist und gerade Abitur gemacht hat. Aber man merkt sehr, sehr deutlich in den letzten Monaten und Jahren, dass sich das weiter ausdifferenziert, also dass man das auch nach dem Studium macht, aber auch, wenn man im Berufsleben steht, so als klassische Auszeit oder als Alternative zu diesem Sabbatjahr - oder als eine Form des Sabbatjahrs.

Und darüber hinaus bekommen wir auch immer mehr Anfragen von Rentnern, die sagen, ich habe jetzt Zeit, ich habe vielleicht auch ein bisschen Geld, um eine solche Reise zu bezahlen, um das zu finanzieren, und ich möchte halt im Ausland helfen, ein bisschen Gutes tun. Das ist zum Beispiel noch eine Form des Angebots für ältere Leute, es gibt auch so etwas, das nennt sich Granny au Pair, wo dann halt ältere Frauen, Rentnerinnen ins Ausland gehen und da einen klassischen Au-Pair-Job übernehmen, also die Mobilität ins Ausland auch dieser älteren Generation wächst ständig, muss man sagen.

Scholl: Bleiben wir gerade vielleicht mal bei dem Beispiel Granny au Pair, das ist, glaube ich, ganz schön, weil Hilfsorganisationen in den Ländern kritisieren dieses Engagement auch dahingehend, weil sie sagen, es ist einfach oft zu kurzfristig, ja? Also man bucht sechs Wochen Urlaub, drei Wochen liegt man am Strand, dann geht man drei Wochen ins Waisenhaus oder macht Granny au Pair, das bringt den vermeintlichen Kindern doch eher Kummer und Tränen, weil sich ein Kind vielleicht gerade an den Besucher, die Besucherin gewöhnt hat, dann ist er oder sie plötzlich wieder weg.

Rhode: Das ist auf jeden Fall einer der typischen Kritikpunkte, den ich oder wir auch sehr kritisch sehen, denn es ist einfach so, klar, wenn man mit Kleinkindern zum Beispiel arbeitet, und da kommt jetzt alle drei Wochen ein neuer Freiwilliger, tja, das kann nicht sinnvoll sein im Sinne von emotionaler Bindung, die aufgebaut wird, die Kinder sind natürlich irgendwann verwirrt dadurch, aber man muss natürlich differenzieren: In einer solchen Art von Projekten, wo es darum geht, Kinder zu betreuen, muss man darüber nachdenken zu sagen, okay, da muss ich eine Mindestteilnahmedauer einfach haben.

Was anderes ist es natürlich, wenn ich sage, ich gehe für zwei bis drei Wochen in ein Naturschutzprojekt, wo ich nur Daten erfasse, Beobachtungen mache und so weiter, da kann ich in diesen drei Wochen weiterhelfen, und es tut auch keinem weh, um das mal so zu formulieren, wenn ich nach drei Wochen schon wieder weg bin.

Scholl: Dem Löwen ist es wahrscheinlich dann egal. Schärfere Kritiker sagen noch, kurz noch vielleicht, Herr Rhode, Voluntourismus, das sei so ein Egotrip ins Elend, ein Ausflug in den Menschenzoo. Wann, sagen Sie, ist Voluntourismus wirklich nützlich und gut Ihrer Meinung nach?

Rhode: Wie gesagt, die Bewertungskriterien fehlen noch ein bisschen, aber ich bin der Meinung, dass man es differenziert betrachten muss, aber dass man natürlich sehen muss, okay, ich muss eine gewisse Aufenthaltsdauer einfach schon mitbringen, ich muss zusehen, dass ich wirklich vor Ort helfen kann. Natürlich kann man nicht erwarten, dass ich auf einer solchen Reise nachhaltige Entwicklungsarbeit mache. Aber ich finde, man sollte auf jeden Fall einfach sehen, dass ich auch nicht schade, also dass ich nicht wieder nach Hause fahre und sagen muss, okay, ich habe meinen Egotrip gemacht, aber vor Ort habe ich nicht nur nichts bewegt, sondern vielleicht auch noch geschadet. Also es sollte einfach schon so sein, dass alle Beteiligten, sowohl der Freiwillige, der ins Ausland geht, aber auch die Menschen vor Ort oder das Projekt auch davon profitiert und wie gesagt niemand zu Schaden kommt.

Scholl: Nur mal kurz die Welt retten – der Boom des Voluntourismus. Das war Christian Rhode, auf seinem Infoportal freiwilligenarbeit.de kann man sich darüber informieren. Vielen Dank, Herr Rhode, für das Gespräch!

Rhode: Ich danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.