"Nun ist Kunst einfach nicht messbar"

Johannes Moser im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.09.2010
Etliche junge Musiker verwenden viel Energie auf hart umkämpfte Wettbewerbe - und erhoffen sich davon den großen Karriereschub. Die eigentliche Arbeit beginne aber erst nach einem Wettbewerb, sagt der erfolgreiche Cellist Johannes Moser.
Liane von Billerbeck: Derzeit findet er wieder statt, noch bis zum 5. September einer der international wichtigsten Wettbewerbe für Nachwuchsmusiker: der ARD-Musikwettbewerb. Wer dort in München teilnimmt, der will nicht nur gewinnen, er erhofft sich vom Wettbewerb auch einen Karriereschub als Musiker. Ob diese Hoffnungen realistisch sind, das wollen wir in Kürze von dem Cellisten Johannes Moser erfahren. Der hat mehrere Wettbewerbe im Fach Cello gewonnen.

Der heute 31-Jährige siegte 2002 beim renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau wie schon zuvor beim internationalen Karl-Davidoff-Wettbewerb und beim Mendelssohn-Wettbewerb. Er kann zudem zwei Echo-Klassik-Ehrungen sein eigen nennen. Obwohl in seinem Fall die Wettbewerbssiege seiner musikalischen Karriere genutzt haben, werden solche Konkurrenzen zunehmend hinterfragt. Bevor wir darüber mit Johannes Moser sprechen, liefert Elena Gorgis eine kleine Einführung in den gerade laufenden ARD-Musikwettbewerb .

Bei einem Musikwettbewerb kann man nicht verlieren, nur gewinnen. Der Cellist Johannes Moser wird uns jetzt sagen, ob das so ist. 1979 geboren, hat er 2002 den renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau in seinem Fach, im Cello, gewonnen. Ich grüße Sie!

Johannes Moser: Hallo, grüß Sie!

von Billerbeck: Nicht verlieren, nur gewinnen bei einem solchen Wettbewerb, stimmt das?

Moser: Das stimmt zum Teil. Also ich kenne einige Kollegen, die schon 20, 30 Wettbewerbe hinter sich gebracht haben, und so eine Folge von Wettbewerben, die wirkt sich durchaus negativ auf die Außenwirkung hin aus. Man muss sich das so vorstellen: Es besteht ja ein großer künstlerischer Unterschied zwischen einem Wettbewerb und dem Konzertleben. Nun ist Kunst einfach nicht messbar, ja, das ist also sozusagen schon der Widerspruch in sich in einem Wettbewerb.

von Billerbeck: Worin besteht der Unterschied? Beide sind doch extreme Konkurrenzsituationen und auch nervlich sehr anspannend. Also wenn man vor einem großen Publikum steht doch genauso, wie wenn man vor einer Jury steht. Was unterscheidet einen Wettbewerb von einem großen Konzert?

Moser: Nun, im Konzert versuche ich natürlich, künstlerische Inhalte zu vermitteln und Menschen auf einer emotionalen und intellektuellen Weise zu erreichen. In einem Wettbewerb muss ich versuchen, die Jury möglichst wenig zu verärgern. Also es gewinnt ja beim Wettbewerb, der nun mal auf einem demokratischen Prinzip basiert, ja nicht unbedingt derjenige, der am künstlerischsten sich darzustellen weiß, sondern es gewinnt meistens derjenige, der eben nicht so sehr aneckt. Und deswegen muss man versuchen, einen Wettbewerb in einem Moment stattfinden zu lassen in der Biografie, wo man eben künstlerisch vielleicht noch nicht ganz so weit ist, aber dafür schon technisch ganz weit fortgeschritten ist. Also da hat man meistens die besten Chancen.

von Billerbeck: Das heißt ja, solche Wettbewerbe sind eigentlich kontraproduktiv für einen Musiker.

Moser: Nein, so kann man das auch nicht sagen, denn um auf sich aufmerksam zu machen, braucht man einen Wettbewerb. Es ist ganz schwierig, in den Zirkel von konzertierenden Musikern eingeladen zu werden ohne einen Wettbewerb. Letztendlich ist aber der Wettbewerb nur ein Türöffner, die eigentliche Arbeit beginnt, nachdem man einen Wettbewerb gewonnen hat. Also das heißt, der Preis bei einem Wettbewerb ist also nicht das Endziel, sondern es ist eigentlich der Startpunkt.

von Billerbeck: Um einen Preis zu gewinnen, braucht man aber eine lange Vorbereitung. Vielleicht können Sie uns das mal schildern, wie das war – Sie haben ja den Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen 2002 in Moskau –, wie lange dauert das, bis man so das Repertoire für so einen Wettbewerb drauf hat, macht man das nebenbei oder ist dann nur noch Wettbewerb angesagt und man kann nichts anderes mehr üben beispielsweise oder spielen?

Moser: Na ja, das Repertoire rekrutiert sich natürlich aus Stücken, die man über Jahre hinweg gelernt hat, und Stücke, die man also solide am Anfang einstudiert hat, die kann man dann auch schnell wieder griffbereit aufpolieren. Also ich erinnere mich, dass ich damals, glaube ich, elf verschiedene Stücke vorbereiten musste …

von Billerbeck: Ist das viel, ist das wenig?

Moser: Das ist schon viel für einen Studenten, aber das ist wenig für einen Solisten. Also im Grunde ist das Repertoire, was man vorbereiten muss, und die Menge an Repertoire ist eigentlich gemessen an dem, was einen dann später im Berufsalltag erwartet hat, gar nicht so wahnsinnig viel. Aber letztendlich, das, was man als Student schaffen muss, das ist – also es gibt Studenten, die schaffen vielleicht zwei Stücke im Jahr. Ja, dann muss man eben mit elf Stücken punktgenau zu dem Wettbewerb eben aufwarten.

von Billerbeck: Das waren Sie ja offenbar, denn Sie haben den Wettbewerb gewonnen.

Moser: Ja, das hat dann funktioniert. Ich hatte Glück, dass ich viele Stücke in diesem Repertoire schon öfters im Konzert gespielt hatte und schon in den Fingern hatte.

von Billerbeck: Wie ist denn eigentlich die Stimmung bei so einem Wettbewerb, wie müssen wir uns das vorstellen? Ist da ganz harte Konkurrenz, man redet nicht miteinander, mit denen, die da sich auch bewerben um diese Preise, oder – wie ist die Atmosphäre?

Moser: Na ja, der Tschaikowsky-Wettbewerb ist natürlich ein Sonderfall, weil man in Doppelzimmern untergebracht ist. Das heißt, man muss drei Wochen mit dem Zimmernachbarn auskommen.

von Billerbeck: Den man sich auch nicht aussuchen kann.

Moser: Den man sich nicht aussuchen kann. Also ich hatte Glück, ich war da mit so einem sehr netten Franzosen auf dem Zimmer, und wir sind auch beide ins Finale gekommen, was natürlich dann irgendwie am Ende ein bisschen pikant war, weil ich dann den Preis mit nach Hause genommen habe. Aber der hat das sehr sportlich genommen, und da bin ich ihm sehr dankbar, und wir sind auch heute noch in Kontakt. Es besteht natürlich ein großes Konkurrenzbewusstsein, auf der anderen Seite ist sich, glaube ich, jeder bewusst, dass man ja nicht gegeneinander spielt, sondern jeder spielt ja sozusagen für die Jury, und die Jury entscheidet dann. Also im Grunde ist das ja nicht wie beim Fußball oder beim Tennis, wo man nach Punkten siegen kann oder genau weiß, ich schieße jetzt mit meinem Haydn-Konzert ein Tor, sondern man ist ja doch, wie wir das eingangs gesagt haben, auf die subjektive Meinung der Jurymitglieder angewiesen.

von Billerbeck: Nun werben ja viele Wettbewerbe, auch der derzeit laufenden ARD-Musikwettbewerb, damit, dass sie Talente entdecken und besonders fördern. Und wenn man den ARD-Musikwettbewerb sich mal anguckt in seiner Geschichte, dann sind da durchaus prominente Namen gewesen, also Thomas Quasthoff, Jessy Norman, Christoph Eschenbach, Heinz Holliger oder das Trio Wanderer. Ist das heute auch noch so, dass man durch so einen Wettbewerb tatsächlich eine internationale Karriere als junges Talent oder als junger Spitzennachwuchsmusiker starten kann?

Moser: Also man muss sagen, dass im Vergleich zu früher es sehr, sehr viel mehr Wettbewerbe gibt. Es gibt eigentlich an jeder Ecke inzwischen einen Musikwettbewerb.

von Billerbeck: Na ja, wir reden von den richtig großen Wettbewerben, die also wirklich internationales Renommee haben.

Moser: Ja, aber die haben natürlich auch in der Zahl zugenommen, finde ich schon. Ich denke, heute ist es so, dass eigentlich viel mehr das sogenannte Package zählt. Also heutzutage reicht es ja nicht nur, dass man sein Instrument beherrscht, sondern man muss einigermaßen gut aussehen und man muss wirklich körperlich fit sein, man muss mit Jetlag spielen können, man …

von Billerbeck: Sie kommen gerade aus den USA und sitzen hier ganz entspannt.

Moser: Also man muss eine gewisse Robustheit mitbringen. All diese Dinge gehören dazu, wenn man eine Konzertkarriere starten will. Der Wettbewerb hilft sozusagen, dass man auf einen aufmerksam gemacht wird. Was tatsächlich eine Karriere in Schwung bringt, ist, wenn man Dirigenten findet, die einen unterstützen und die einen mit zu den großen Orchestern nehmen – das ist eigentlich das, was eine Karriere ausmacht. Aber natürlich hören die Dirigenten erst auf einen, wenn man einen Wettbewerb gewonnen hat. Also das heißt, der Wettbewerb ist schon irgendwie eine Bedingung, um in diesen Zirkel aufgenommen zu werden.

von Billerbeck: All das, was Sie gerade geschildert haben, also neben hervorragender musikalischer Fähigkeit, gutes Aussehen, Robustheit, das braucht man eigentlich auch, wenn man die Kriterien anlegt, die die Musikindustrie immer so für ihre Talente anlegt. Denn wenn man sich anguckt, gerade bei Sängern, wo das ja ganz drastisch ist, Anna Netrebko, wo so alles dazukam, eine Legende, eine schöne, junge Frau und dann noch eine Stimme, die hat also viele hinter sich gelassen, die durchaus genauso gut singen konnten. Wie stark spielen solche Dinge eine Rolle derzeit, bei Wettbewerben und auch bei der Vermarktung eines klassischen jungen Musikers?

Moser: Nun, ich weiß nicht, wie sehr sie bei Wettbewerben eine Rolle spielen, aber bei der Vermarktung ist es ganz klar: Wir leben in einer unglaublich stark visualisierten Welt, das Fernsehen ist omnipräsent, das Visuelle hat eine sehr viel stärkere Komponente in unserem Leben als jetzt das Hörbare und ist auch sehr viel leichter in Kriterien einzuordnen. Das heißt, wenn Sie zehn verschiedene Stimmen haben und jetzt jemanden nehmen, der sich vielleicht nicht so wahnsinnig gut mit Musik auskennt, ist es natürlich für den leichter festzustellen, welche von diesen zehn im Grunde gleich klingenden Stimmen jetzt am besten aussieht und damit sozusagen attraktiver ist sich anzusehen und natürlich anzuhören. Also das Auge hört durchaus mit.

von Billerbeck: Über die Bedeutung großer Musikwettbewerbe für die Karriere junger Musiker sprachen wir mit dem ausgezeichneten Cellisten Johannes Moser. Danke fürs Kommen nach einem Atlantikflug! Und wenn Sie wissen wollen, wer die diesjährigen Preisträger des ARD-Wettbewerbes, des ARD-Musikwettbewerbes sind, dann hören Sie unsere Sendung "Fazit" am Sonntagabend und am Montagvormittag: das "Radiofeuilleton".