Nürnbergs Oberbürgermeister: Wasserversorgung gehört in öffentliche Hand

24.04.2013
Der designierte Städtetagspräsident Ulrich Maly hält das Modell der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand für eine "wunderbare" deutsche Tradition. Bei der Rekommunalisierung von Stadtwerken müsse jedoch darauf geachtet werden, dass man auf den Märkten der Zukunft bestehen könne.
Jan-Christoph Kitzler: In vielen deutschen Städten und Gemeinden gibt es Bürger, die wollen das Rad der Privatisierung wieder zurückdrehen. Wasser, Strom und Gas sollen wieder in öffentliche Hand kommen, am besten auch Teile des Städtebaus und des Verkehrs. Und weil die Kommunen eben aus Bürgern bestehen und von Bürgern regiert werden, gibt es nun einen entsprechenden Trend, der da heißt Rekommunalisierung.

Das ist eines der Themen, wenn heute die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Frankfurt am Main beginnt. Dort wird übrigens morgen auch ein neuer Präsident gewählt, und zwar Ulrich Maly. Der SPD-Politiker ist seit 2002 Oberbürgermeister von Nürnberg, und ich habe ihn gefragt, für wie wichtig er denn die Debatte um die Rekommunalisierung hält.

Ulrich Maly: Das ist ein wichtiges Thema geworden in den letzten, ich würde mal sagen, drei, vier, fünf Jahren, weil durch die Entwicklungen auf den Energiemärkten jetzt auch noch verstärkt durch die Energiewende, die ja auch ein kleines bisschen die Macht der vier Großen gebrochen hat, sich viele, viele Gemeinden, die vorher privatisiert hatten, überlegt haben, zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung zu rekommunalisieren, Netze zurückzukaufen, neue Stadtwerke zu gründen. Da sind kleine, ländlich geprägte Gemeinden dabei, da ist aber auch Berlin dabei mit der Gasversorgung, da ist Stuttgart dabei, die neue Stadtwerke gründen wollen. Also es gibt einen Trend zurück zur Daseinsvorsorge auch in der Energieversorgung.

Kitzler: Energieversorgung ist das Thema, in vielen Kommunen gibt es diese Pläne, das wieder in öffentliche Hand zu legen, die Gelegenheit ist günstig, wenn die Konzessionsverträge auslaufen. Mit der Privatisierung sind ja überall die Preise gestiegen, das ist ein Effekt für die Bürger. Aber welche Folgen hätte denn die Rekommunalisierung für die Kommunen?

Maly: Also ich würde ja jetzt gerne mit Ihnen ein bisschen auf die Privaten schimpfen, aber an der Privatisierung lag die Preissteigerung nicht. Im Energiebereich ist es tatsächlich so, dass die Erzeuger- und Vertriebspreise in den letzten zehn Jahren nahezu stabil gewesen sind, es ist der staatlich verordnete Anteil auf den Preisen, der die Teuerung verursacht hat. Das muss man ehrlicherweise auch so zugeben, also Stromsteuerumlagen und Ähnliches mehr. Der Reiz der Rekommunalisierung liegt darin, dass Energieversorgung Daseinsvorsorge ist, Sie brauchen es für die Menschen, Sie brauchen es aber auch für die heimische Wirtschaft, und dass viele erkannt haben, dass man damals in der Anfangsphase der Liberalisierung vielleicht gelockt vom großen Geld zu schnell seine Anteile aufgegeben hat, seine Firmen verkauft hat. Wir haben ja auch die Thüga rekommunalisiert, früher eine Tochter der E.on – die Thüga ist mittlerweile die, wenn man so will, Deutsche Stadtwerke GmbH mit mehreren Dutzend Minderheitsbeteiligungen. Also es gibt auch ein starkes Band, ein Netzwerk dieser einzelnen Stadtwerke untereinander, nur dann werden wir auch auf den Märkten der Zukunft bestehen können, wenn wir nicht nur jeder vor sich hin rekommunalisieren, sondern auch zusammenarbeiten.

Kitzler: Problem ist ja auch, dass sich da kein rechter Wettbewerb durchgesetzt hat. Das heißt, es steht sozusagen ein Monopol gegen ein am Ende Staatsmonopol – ist dann vielleicht das Staatsmonopol, Energie in staatlicher Hand, die bessere Lösung?

Maly: Nein, das ist nicht so. Also erstens sind die Netze zwar hochreguliert, das ist richtig, aber sie verdienen mit den Netzen jetzt auch keine goldene Nase mehr, sondern sie müssen hier nach ganz strengen Regeln die Kostenrechnungen durchführen. Da geht es nicht drum, neue Monopole zu kreieren, weil die Stromerzeugung ist ein echter Markt, der Strom wird heute auf Börsen gehandelt – Sie kaufen Versorgungsbänder, Sie kaufen Versorgungssicherheit, sie kaufen physische Strommengen, da gibt es einen echten Markt. Und wer glaubt, dass er über die Kommunalisierung sich die Haushaltskasse sanieren kann, der irrt sich. Das ist schon eine strategische Entscheidung: Welche Leistungen möchte ich als Kommune öffentlich anbieten, und da haben die Deutschen eigentlich, wie ich finde, eine wunderbare Tradition der Daseinsvorsorge, die alles umfasst: das Wasser, den Strom, das Gas, den öffentlichen Verkehr, die Wohnungsversorgung. Und viele erkennen eben jetzt die Lücken, die die Privatisierungswelle vor 10, 15 Jahren gerissen hat.

Kitzler: Wasser ist ein Thema auch in der öffentlichen Daseinsvorsorge, Sie haben es angesprochen. Gehört das für Sie unbedingt in öffentliche Hand, die Wasserversorgung?

Maly: Ja, also da gibt es eine deutsche Tradition, um die uns eigentlich der Rest Europas beneidet. Sie ist kleinteilig, es gibt in Deutschland, glaube ich, 6000 Wasserversorger, die sind alle öffentlich, kann man sagen, 99,99 Prozent, kein einziger ist der Gewinnerzielung verpflichtet, alle sind der Wasserqualität und der Versorgungssicherheit verpflichtet, und das ist exakt genau das, was die Menschen sich wünschen – am Wasser, am Trinkwasser, muss keiner Geld verdienen, da darf kein Shareholder Value bedient werden, das ist ein öffentliches Gut, und öffentliche Güter sind eigentlich in der öffentlichen Hand in der besten Hand.

Kitzler: Über Wasser haben wir gesprochen, über Energie, man könnte auch noch über Wohnraum zum Beispiel sprechen. Die Frage ist ja, was muss unbedingt in kommunaler Hand sein, was können vielleicht private Unternehmen dann grundsätzlich auch besser? Ziehen Sie da eine klare Grenze?

Maly: Nein, die Grenze ist fließend. Natürlich hat keiner den Anspruch, dass die Wohnraumversorgung in der Bundesrepublik ein öffentliches Thema ist. Nur wissen wir, dass die Märkte bestimmte Wohnformen nicht anbieten. Was mache ich mit der Familie mit geringem Einkommen, aber fünf oder sechs Kindern? Die bezahlbare Siebenzimmerwohnung baut Ihnen kein Marktteilnehmer auf den Wohnungsmärkten, die müssen Sie mithilfe staatlicher Förderung, mithilfe auch von runtersubventionierten Bodenpreisen, mithilfe von Wohngeld oder Kosten der Unterkunft dazu bringen, dass Sie dieses Grundrecht auf Wohnen, das es trotzdem gibt, dass Sie dieses Grundrecht auch ausüben können. Also wir sind gefragt als Akteure auf dem Wohnungsmarkt, Akteure beim Ausweisen neuer Wohnbaugebiete, um die Märkte zu entspannen, und mit unseren Wohnungsbauunternehmen natürlich auch als Akteure beim Neubau. Aber wir haben nicht den Anspruch, den Markt alleine zu regeln – um Gottes willen.

Kitzler: Viele Kommunen sind arm, aber viele stehen auch finanziell gut da, es gibt neue Einnahmerekorde, zum Beispiel durch die Gewerbesteuer. Heißt das, grundsätzlich gibt es jetzt auch den Spielraum für solche langfristigen Investitionen, für Rekommunalisierung?

Maly: Ja, das ist immer das Problem mit der Durchschnittsbetrachtung, Herr Kitzler. Also im Durchschnitt ist die kommunale Finanzsituation tatsächlich ein bisschen besser geworden, da haben Sie recht. Aber bei uns in Nürnberg hat es eine Jahresdurchschnittstemperatur von 9,4 Grad und trotzdem haben wir alle eine Heizung und einen Kühlschrank. Also wir müssen sozusagen die Extreme betrachten: Es gibt Kommunen, die sind noch immer so arm, dass sie eben im kommunalen Wettbewerb nicht den Hauch einer Chance haben gegen Städte wie München, Düsseldorf oder Köln. Aber auch die haben letztlich eine Bevölkerung, die erwartet, dass eine moderne Dienstleistungsgesellschaft und die damit verbundenen Einrichtungen angeboten wird.

Das heißt, auch wenn es in den Kassen im Durchschnitt etwas besser geworden ist, ist das Thema Schere zwischen armen und reichen Kommunen weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung, und wir müssen uns vor allem um die kümmern, die ja noch nicht mal mehr die Basiserwartungen in ihrer Bürgerschaft befriedigen können, wo Theater geschlossen werden, wo Schwimmbäder geschlossen werden müssen, das generiert nämlich Politikverdrossenheit, wenn diese Grundansprüche nicht mehr befriedigt werden.

Kitzler: Und das heißt, Rekommunalisierung ist dann für diese ganz armen Kommunen auch überhaupt kein Thema.

Maly: Also im Moment realistisch gesehen nein. Man muss sich auch Rekommunalisierung leisten können. Da, glaube ich, sind Hilfen an anderer Stelle gefragt, Entschuldungspakete, wie es sie in Nordrhein-Westfalen oder Hessen gegeben hat, aber auch Investitionshilfen und eine Entlastung bei den Sozialausgaben, was wir vom Bund seit Langem fordern.

Kitzler: Ulrich Maly, Oberbürgermeister von Nürnberg und designierter Vorsitzender des Deutschen Städtetages. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Maly: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Nürnberger Oberbürgermeister, Ulrich Maly (SPD) während einer Pressekonferenz des Bayerischen Städtetages
Ulrich Maly (SPD)© picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Mehr zum Thema