NSU

"Wir haben Euch zu Tätern gemacht"

Die Keupstraße fotografiert am 02.06.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen). Am Pfingstmontag ist es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon in der Kölner Keupstraße eine Bombe explodierte.
Die Keupstraße in Köln: Am 2.6.2004 explodierte hier eine Bombe und verletzte 22 Menschen. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Barbara Schmidt-Mattern · 06.06.2014
9. Juni 2004: Eine Nagelbombe explodiert in der Kölner Keupstraße, 22 Menschen werden verletzt. Einen Tag später zitieren Zeitungen einen Oberstaatsanwalt: ein "allgemeindeliktischer Hintergrund" werde in Erwägung gezogen.
Kein Terror, kein Fremdenhass - das ist lange die Linie der Ermittlungen. Jahrelang. Schlauer ist man erst, als der Nationalsozialistische Untergrund 2011 auffliegt. Bis dahin macht man die Opfer zu Tätern - so formulierte es kürzlich Kölns Oberbürgermeister.
So klingt der Alltag von Özcan und Hasan Yildirim: Dauerwellen, Nassrasur, Fönfrisur. Ständig herrscht Krach im Friseurgeschäft der beiden Brüder auf der Kölner Keupstraße. Özcan Yildirim hat jedoch noch ein anderes Geräusch im Ohr, das er nicht vergessen kann: jenen ohrenbetäubenden Knall vom 9. Juni 2004:
"Ich möchte sehr gern, dass der 9. Juni aus meinem Kopf endlich verschwindet. Ich möchte, dass die Schuldigen gefasst werden, und dass das Ganze ein Ende hat und zwar mit einem klaren Ergebnis. Das ist mein großer Wunsch!"
Özcans Bruder Hasan und 21 weitere Menschen werden im Frühsommer 2004 teils schwer verletzt, als kurz vor 16 Uhr ein mit Zimmermannsnägeln und Schwarzpulver gefüllter Sprengsatz direkt vor dem Schaufenster des Friseurs explodiert. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft ist der Nationalsozialistische Untergrund NSU für den Anschlag verantwortlich. Zehn Jahre später wirkt alles so normal in diesem Laden.
Meral Sahin, mit elegantem curryfarbenen Kopftuch und extravagantem Augenmakeup, ist die Erste Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße. Als sie das Friseurgeschäft betritt, ahnt sie bereits, dass Hasan Yildirim nicht schon wieder über damals sprechen will:
"Er hat jetzt gerade gesagt, ich habe wirklich alle Reportagen satt. Die Leute haben einfach keine Lust, immer das gleiche zu erzählen, denn es geht um Gefühle, und nicht um etwas, das man auswendig gelernt hat."
Bombe mit 700 Zimmermannsnägeln
Den Tatort direkt vor dem Friseurladen haben die Terroristen 2004 mit Bedacht ausgewählt: Der Kuaför, so steht es mit Ö auf dem Eingangsschild, dient seit jeher als beliebter Treffpunkt. Auch die Tatzeit am Mittwochnachmittag ist kein Zufall. Viele Eltern holen zu dieser Stunde ihre Kinder aus dem nahegelegenen Kindergarten ab, erklärt Meral Sahin, während Hasan Yildirim wieder mit dem Föhnen beginnt.
"Wir lassen ihn in Ruhe. Er ist wirklich bis obenhin ..."
Die 43-Jährige flüstert fast und gibt ein Zeichen, dass es Zeit ist, den Laden zu verlassen ...
Vor diesem Frisörladen in der Keupstraße explodierte die Nagelbombe.
Keupstraße in Köln© picture-alliance/ dpa / Rolf Vennenbernd
Kaum ein Schaufenster bleibt heil am 9. Juni 2004, überall liegen Scherben. Freunde und Nachbarn eilen herbei, einige von ihnen bringen Wasser, andere schleppen schnell herbeigeschaffte Bettdecken für die Verletzten heran. Meral Sahin erzählt das alles, als sei es gestern geschehen.
"Sie sehen Blut, Sie sehen Menschen, die schreien, Angst haben ..."
Die junge Frau macht immer wieder lange Pausen beim Sprechen.
"... und totale Verzweiflung. Und kein Mensch kann es in dem Moment zuweisen, was ist passiert, was war das jetzt? Ismet, wo warst Du?"
Ein Freund schlendert auf dem schmalen Fußweg in der belebten Keupstraße vorbei, und innerhalb einer Sekunde ist Sahin zurück in der Gegenwart. Ein fröhliches Schwätzchen mit Ismet, und als der fragt, wie es ihr geht, jetzt wenige Tage vor dem zehnten Jahrestag des NSU-Anschlags, blitzt sogar Galgenhumor auf: Es gehe ihr bombig, sagt die junge Frau, lacht, und ist dann plötzlich erschrocken über ihre eigenen Worte.
"In der Tat ist doch die Frage, wieso irgendeiner in Zwickau auf die Idee kommt, gezielt in die Keupstraße nach Köln zu fahren, mit 700 zehn Zentimeter langen Zimmermannsnägeln, 5,5 Kilogramm Schwarzpulver ..."
Eine Dreiviertel-Autostunde von der Keupstraße entfernt steht Armin Laschet, der CDU-Fraktionschef, im Düsseldorfer Landtag und hantiert mit zig Seiten Papier vor den Mikrofonen.
"... gezielt in die Keupstraße. Da ist irgendeine Parkkontrolle von der Polizei. Dann sieht der die Polizei, fährt mit seinem Fahrrad noch mal quer weg, verschwindet eine Dreiviertelstunde, kommt dann wieder, stellt das Fahrrad wieder dahin, ohne irgendeinen Helfer?! Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich."
Ungeklärte Fragen
Trotz Bundestags-Untersuchungsausschuss, trotz NSU-Prozess in München: Es gebe zahllose ungeklärte Fragen zum Anschlag in der Keupstraße, sagt Laschet. Deshalb will die CDU nach der Sommerpause einen Untersuchungsausschuss im Landtag beantragen. Armin Laschet listet auf: Warum strich das Landeskriminalamt noch am selben Tag den Begriff "terroristischer Anschlag" aus dem Schriftverkehr? Wer veranlasste diese Aufforderung? Und warum rief bereits abends um 19 Uhr 53 ein Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz im Lagezentrum der Polizei an? Dazu massive Versäumnisse bei der Erstellung des Täterprofils. Eine Überwachungskamera hatte am 9. Juni 2004 Bilder vom Attentäter aufgezeichnet, der ein Fahrrad durch die Keupstraße schiebt. Doch Phantombilder wurden bundesweit nicht abgeglichen, und wichtige Suchbegriffe nicht abgefragt - zum Beispiel "rechtsradikal", "männlich", oder "Koffer". Armin Laschet nennt die Namen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
"Wir lassen nichts unversucht, aufzuklären, ob es mehr gab als nur diese beiden Täter. Einer hat mir letztlich gesagt, das Bequemste sind tote Täter. Man schiebt alles auf die und untersucht überhaupt nicht, ob es nicht vielleicht in Köln, in Nordrhein-Westfalen ein ganzes Netzwerk gab von Leuten, die daran beteiligt waren. Die Frage ist letztlich nicht aufgeklärt."
Die Bildkombo aus Handouts des Bundeskriminalamtes zeigt die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt.
Die Bildkombo aus Handouts des Bundeskriminalamtes zeigt die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt.© picture alliance / dpa
Konkret meint der CDU-Politiker damit die Verstrickung von V-Leuten. Bis heute ungeklärt sei zum Beispiel die Rolle von Thomas R., der unter dem Decknamen "Corelli" als Verbindungsmann für den Bundesverfassungsschutz gearbeitet hat. Im April dieses Jahres kam Corelli unter - wie Armin Laschet formuliert - "mysteriösen Umständen" ums Leben. Der Fall Corelli hat schon den Bundestags-Untersuchungsausschuss beschäftigt, erklärt Clemens Binninger, ehemaliger Obmann der CDU im Ausschuss: Binninger ist eigens nach Düsseldorf gereist, um seine Parteifreunde im Landtag zu informieren, auch über Corelli:
"Er lernte 1995 Mundlos kennen, er erscheint 1998 auf einer Adressliste des Trios, und deshalb war er in besonderem Maße in unserem Interesse. Wir haben damals den V-Mann-Führer vernommen, nicht ihn selber. Und jetzt soll aktuell wieder eine CD aufgetaucht sein, wo er eine Rolle spielt. Wo auch dort schon vom NSU die Rede ist. Und deshalb wäre er natürlich ein interessanter Ansprechpartner gewesen, zu sagen, woher kommen diese CDs, was hat es damit auf sich. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen, weil eben im April die Person, die hier im Kreis Paderborn untergebracht war, an einer bisher unerkannten Diabetes verstorben ist."
Die Piraten wollten schon vor Wochen einen eigenen Untersuchungsausschuss in NRW beantragen, doch als kleine Oppositionsfraktion fehlte ihnen die Mehrheit, und keine andere Partei unterstützte damals ihr Vorhaben. Das hat sich jetzt, wenige Tage vor dem Gedenken in der Kölner Keupstraße, geändert. Den neuen öffentlichkeitswirksamen Antrag der CDU wollen nun auch SPD, Grüne und FDP mittragen. Bleibt es dabei, könnte der neue Ausschuss im Herbst seine Arbeit aufnehmen. Innenexpertin Verena Schäffer von den Grünen warnt allerdings vor allzu hohen Erwartungen:
"Wir wollen aufklären und wollen auch neue Erkenntnisse gewinnen, aber die Frage ist natürlich trotzdem, was wir noch an Erkenntnissen bringen können, was Berlin noch nicht gebracht hat. Ich glaube, das muss man auch so deutlich zu Beginn benennen, um keine falschen Erwartungen zu wecken."
Mindestens zwei weitere Anschläge in Nordrhein-Westfalen werden dem NSU zugeschrieben: Im Jahr 2001 explodiert eine Bombe in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in Köln, als die 19-jährige Tochter des Inhabers eine zurückgelassene Keksdose öffnet. Durch die Wucht der Detonation wird sie schwer verletzt. Der Fall wurde gerade diese Woche beim NSU-Prozess in München verhandelt. 2006 wird der Familienvater Mehmet Kúbasik in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Bei offiziellen Gedenkfeiern ist seine Witwe Elif noch immer blind vor Tränen:
"Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu ..."
Gravierende Fehleinschätzung
So erklärt der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, SPD, nur einen Tag nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße am 10. Juni 2004. Fritz Behrens, damals Landes-Innenminister im rot-grünen Kabinett von Ministerpräsident Peer Steinbrück, schließt sich dieser These sofort an, entschuldigt sich aber später dafür. Otto Schily fährt am 10. Juni 2004 fort:
"Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich eine abschließende Beurteilung dieses Ereignisses nicht vornehmen kann."
Schily hält sich mit dieser Zusatzbemerkung zwar ein Hintertürchen offen, doch seine gravierende Fehleinschätzung, dass der Anschlag wohl keinen rechtsextremistischen Hintergrund habe, bestimmt fortan die Ermittlungen. Ein Zusammenhang zu den anderen tödlichen Anschlägen auf türkischstämmige Bürger in ganz Deutschland wird nicht erkannt, weder von den Sicherheitsbehörden noch von den Journalisten:
"Wenn ein Minister, ein zuständiger Innenminister, das so formuliert, dann müssen wir natürlich davon ausgehen: Erstens, der Mann ist zitierfähig, qua Amt. Und zweitens: Dieser Mensch muss natürlich auch für diese Äußerungen gerade stehen, wenn sie nicht stimmen."
Entgleisungen und Verdächtigungen
Meint Richard Heister, langjähriger AFP-Korrespondent und damals Berichterstatter nach dem Anschlag in der Keupstraße. Heister sitzt mit zwei Kollegen bei einer Podiumsveranstaltung in Köln, es geht um die Rolle der Medien bei der Beobachtung und Aufklärung des NSU-Terrors. Die Bewohner der Keupstraße waren von Anfang an überzeugt, dass Neonazis hinter der Tat steckten. Doch niemand nimmt ihren Eindruck ernst. Stattdessen wird Kölns damaliger Oberbürgermeister Fritz Schramma von der CDU bei einem Besuch vor Ort mit dem unglücklichen Ausspruch zitiert: "Irgendwo hört der Spaß auf." Sieben Jahre später, als das NSU-Trio als Urheber des Nagelbombenanschlags gerade aufgeflogen ist, spricht Landesintegrationsminister Guntram Schneider, SPD, davon, dass jetzt "Nägel mit Köpfen gemacht werden" müssten. Für die Betroffenen ist all das nur schwer auszuhalten, zumal ihnen von Anfang niemand glauben will, dass die Tat auf das Konto von Rechtsextremisten geht. Auch die meisten Journalisten hätten den Keupstraßen-Bewohnern im Jahre 2004 nicht richtig zugehört, räumt die ARD-Hörfunk-Journalistin Ayça Tolun ein:
"Ein Grund ist, dass man glaubt, zu viel Vorwissen zu haben, und dann sofort in eine bestimmte Richtung denkt. Zum Beispiel: Migranten haben immer sehr, sehr komplizierte Lebensverhältnisse. Diese Familien sind sehr groß, man lebt verteilt in zwei oder mehr Ländern. Man schickt viel Geld nachhause an die Familienmitglieder. Die ikonographischen Bilder, die wir im Kopf haben, die sind so stark, dass wir überhaupt nicht auf die Idee kommen. Ich denke, wenn so etwas wie die Keupstraße noch mal passiert ... kann ich mir vorstellen, dass es wieder genauso läuft, weil wir einfach viel zu viel unnützes Vorwissen haben, das hat auch viel damit zu tun."
Axel Spilcker, ehemals Polizeireporter beim Kölner Stadt-Anzeiger, erinnert sich an manche Ungereimtheit, die er damals direkt nach der Explosion in der Keupstraße erlebte - ohne hartnäckig nachzuhaken:
"Es wurde ja eine Sonderkommission gebildet, und komischerweise war der Chef dieser Sonderkommission der Chef der Politischen Abteilung der Kölner Staatsanwaltschaft. Wenn man also wirklich von einem kriminellen Anschlag ausgegangen wäre, hätte man da eigentlich den Chef der OK-Abteilung zum Ermittlungsführer machen müssen. Das hat uns schon sehr gewundert, wir haben da auch nachgehakt, aber eine richtige Erklärung gab's dafür nicht."
Einige Medien spekulieren im Juni 2004 über einen islamistischen Anschlag kurz vor der damals bevorstehenden Europawahl. Andere greifen die Hinweise der Polizei auf, dass es in der Keupstraße Schutzgeld-Erpressungen, Rauschgifthandel und Machtkämpfe gegeben habe. Bis heute herrsche nicht die heile Welt in diesem Kölner Viertel, sagt Norbert Fuchs. Der SPD-Politiker ist Bezirksbürgermeister in Köln-Mülheim und zu Gast bei einem Empfang im Restaurant Kilim auf der Keupstraße:
"Diese Straße, die war vor Jahrzehnten auch schon mal ein krimineller Brennpunkt, und da konnte man natürlich auch schon mal in die Richtung ermitteln, dass da möglicherweise irgendwelche Drogenkartelle dahinterstanden - also ganz abwegig war das nicht. Dann ist das besser geworden. Im Moment ist es eine gute Geschäftsstraße, da arbeiten wir ja dran. Vielleicht hilft ja auch diese Gedenkveranstaltung, dass man hier wieder mehr zusammensteht und dass es auch für die Geschäftsstraße wieder aufwärts geht."
Gauck besucht die Keupstraße
Am Montag wird der Bundespräsident in Köln-Mülheim erwartet. Joachim Gauck will auch für ein paar Minuten im Friseursalon der Brüder Yildirim vorbeigehen. Gaucks Ansprache zum zehnten Jahrestag des Bombenanschlags ist dann der Höhepunkt einer zweitägigen Gedenkfeier, die - so merkwürdig das klingt - auch ein Fest sein soll. Unter dem Motto "Birlikte - Gemeinsam zusammenstehen" will ein ganzer Stadtteil am Pfingstwochenende mit einem großen Kunst- und Kulturprogramm nach vorn blicken Der deutsch-türkische Kabarettist Fatih Cevikkolu, der die Veranstaltung gemeinsam mit Sandra Maischberger moderieren wird, hat große Erwartungen, vor allem an die Rede des Bundespräsidenten:
"Naja, dass er ein Signal, einen Impuls gibt an die Gesellschaft, und die Vielfalt, die ja ein Fakt ist, als selbstverständlich einfordert."
Navid Kermani habe das neulich bei seiner Rede im Bundestag zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes, wunderbar dargestellt:
"Und ich gehe auf die Knie und applaudiere und denke: Das ist mein Deutschland! Gleichzeitig hat Gauck auch er hat dieser Tage im Schloss Bellevue eine Rede gehalten zur Nation, speziell Integration wir sind eine bunte Republik. Das gibt mir ein gutes Gefühl, das sind gute Zeichen ..."
Gedenkfeier zum Jahrestag
Gemeinsam mit den Künstlern und Organisatoren sitzt auch der Friseur Özcan Yildirim im Restaurant Kilim und bedankt sich bei allen, die das kommende Kulturfest ermöglicht haben. Schlicht gekleidet in schwarzem Sakko und hellem Hemd sieht er wie immer ernst aus, und er klingt auch so. Den 9. Juni, sagt Yildirim, habe er bisher immer mit einer großen Trauer erlebt, jetzt will er diese Trauer durch gute Erinnerungen ersetzen.
Bis zu 70.000 Besucher werden am Pfingstmontag in Köln-Mülheim erwartet. Den Auftakt macht am Samstagabend das Schauspielhaus mit einer Uraufführung über den Anschlag in der Keupstraße. Ab Sonntag trudeln Musikbands und Schriftsteller ein, darunter BAP, Udo Lindenberg, Feridun Zaimoglu und Günter Wallraff. Besonders begeistert ist der Dramaturg des Kölner Schauspiels, Thomas Laue, über das Engagement eines türkisch-stämmigen Polizeibeamten aus NRW:
"Und dann hat er gesagt, ok, dann kümmere ich mich darum, und hat er sich als ein kleiner Beamter der unteren Hierarchien, bis hoch zum Polizeipräsidenten durchgefragt, und irgendwann haben wir einen Anruf bekommen aus dem Polizeipräsidium, wir sollen doch bitte mal das Polizeiorchester anrufen. Und dann haben wir mit denen telefoniert und die haben gesagt, ja, wir suchen jetzt Musiker, mit denen wir das machen können, denn wir kennen ja gar keine türkischen Musiker. Und dann hat's einen anderen tollen Zufall gegeben, dass ein türkischer Fernsehsender, TRT, gesagt hat, wir bringen Euch ein Orchester mit. Das türkische Staatsorchester! Und es wird am Nachmittag, nach der großen Eröffnung durch den Oberbürgermeister ein Konzert dieser beiden Orchester mitten auf der Keupstraße geben."
Die Gedenkfeier ist musikalisch, literarisch - und hoch politisch: Neben der Verlesung von Protokollen aus dem NSU-Bundestags-Untersuchungsausschuss wird es auch Gesprächsrunden mit den Anwälten der Nebenkläger im Münchner NSU-Prozess geben. Unter diesen Nebenklägern sind auch mehrere Betroffene aus der Keupstraße.
Ihre Erwartungen an den Prozess sind allerdings gemischt, sagt Serap Güler, Landtagsabgeordnete aus Köln-Mülheim und integrationspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion:
"Also ich glaube schon, dass jeder hier, jedes Opfer, sich darüber im Klaren ist, dass wir ein Rechtsstaat sind, ohne jedes Wenn und Aber. Aber dass es zu Frustrationen kommen wird, steht, glaube ich, außer Frage."
Angeklagte Zschäpe beim zweiten Prozesstag
Angeklagte Zschäpe beim zweiten Prozesstag© picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Die Zeugin schweigt
Der Grund, sagt Serap Güler, sei das Schweigen von Beate.
"Ich habe letztens in der Zeitung darüber gesprochen, wie eine Mutter eines Opfers, die einzige Zeugin, sprich Zschäpe, wirklich angefleht hat, zu sprechen, damit sie nachts wieder ruhig schlafen kann. Und das alles scheint sie überhaupt nicht zu berühren.
Ähnlich sieht es die Kölnerin Ayça Tolun, die als ARD-Korrespondentin mit im Münchner Gerichtssaal sitzt. Der Sprengstoff-Anschlag auf die Keupstraße, über den sie von Anbeginn berichtet hat, ist in München noch nicht verhandelt worden. Aber nach über einem Jahr als Prozessbeobachterin zieht Tolun schon jetzt Bilanz:
"Relativ schnell hatte ich das Gefühl, und da verwende ich eine sehr belastete Definition ... die Banalität und die Belanglosigkeit des Bösen. Je mehr ich eingetaucht bin in dieses Verfahren, desto mehr habe ich mich gewundert, wie spießig, wie piefig dieses rechtsradikale Mörderleben war. Mit kleinen Deckchen, wie banal das alles war. Und das ist, glaube ich, auch das Geheimnis, dass der NSU sich über so lange Jahre im Untergrund verstecken konnte, und das macht mir auch deshalb Angst - das ist für mich auch das Zeichen, dass es immer wieder passieren kann."