NSA-Affäre ist "größte Belastungsprobe seit dem Irakkrieg"

Georg Mascolo im Gespräch mit Nana Brink · 07.11.2013
Nach Einschätzung des NSA-Experten Georg Mascolo wird die Direktive, die dem US-Geheimdienst eine "Feuer-frei-Zone" gegeben habe, vermutlich geändert. Bei Gesprächen in Washington habe er "Betroffenheit, Unsicherheit, Ärger, Einsichtigkeit" erlebt.
Nana Brink: Wie gut sind die transatlantischen Beziehungen noch nach der NSA-Affäre? Die Frage aller Fragen beschäftigt natürlich auch die Münchner Sicherheitskonferenz, die jedes Jahr tagt mit Prominenz aus der ganzen Welt. Normalerweise tut sie das immer Anfang des Jahres, aber ihre sogenannte Core Group, also die Kerngruppe, hat sich jetzt zwei Tage lang in Washington versammelt, und kein Geringerer als der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat die Schirmherrschaft übernommen. Seine Amtskollegin Madeleine Albright gab sich die Ehre ebenso wie Minister aus Belgien, Italien, der Slowakei und viele hochrangige Vertreter aus Politik und Wissenschaft. Georg Mascolo, bis April Chefredakteur des "Spiegel", hat die Veranstaltung in Washington moderiert. Schönen guten Morgen, Herr Mascolo.

Georg Mascolo: Guten Morgen.

Brink: Sie kommen gerade aus der Veranstaltung, die ist vor ein paar Stunden zu Ende gegangen. Wie war denn die Stimmung? US-Außenminister Kerry hat ja schon Spannungen eingeräumt zwischen Deutschland und Amerika.

Mascolo: Ja, ich habe das Panel zur NSA moderiert, und ich habe Betroffenheit erlebt, Unsicherheit, Ärger, Einsichtigkeit, auch den Vorwurf, dass es sich bei Teilen der Reaktionen in Europa, vor allem in Deutschland, um Antiamerikanismus handeln würde. Ich habe eine sehr offene, ernsthafte Diskussion erlebt, in der sich alle bewusst gewesen sind, dass dies die größte Belastungsprobe für das transatlantische Verhältnis seit der Diskussion um den Irakkrieg ist.

Brink: Gab es denn schon auch Diskussionen über die Auswirkungen?

Mascolo: Ja, zumindestens in Teilen hat sich das abgezeichnet. Es wird zu einer Veränderung kommen – eine haben wir ja schon erlebt, ich würde sagen eine historisch einmalige, nämlich eine Zusage eines amerikanischen Präsidenten gegenüber einer Bundeskanzlerin, die heißt: Dein Telefon hören wir in Zukunft nicht mehr ab. Dabei aber wird es nicht bleiben. Es gibt eine Präsidentendirektive, die trägt den Titel "12333" und erlaubt die Spionage der NSA im Ausland. Das ist in der Vergangenheit mehr oder weniger eine Ermutigung gewesen, eine Feuer-frei-Zone einzurichten und alles zu tun, was technisch geht – ob mit oder ohne Zustimmung des Weißen Hauses wissen wir nicht. Und heute ist darüber diskutiert worden, dass es bei dieser Präsidentenorder in Zukunft zu Einschränkungen kommen wird und wohl auch kommen muss. Das heißt, in Zukunft wird Spionage gegenüber Freunden, so vermute ich, in dem Umfang, in dem das bisher möglich gewesen ist, nicht mehr möglich sein.

Brink: Also wenn ich Ihre Äußerungen jetzt verstehe – also diese genauen Äußerungen sind ja geheim, man hat ja Vertraulichkeit vereinbart –, sagen Sie aber, es hat eine massive Erschütterung gegeben, aber beide Seiten sind bemüht, das irgendwie, also ich sag’s mal salopp, die Kuh vom Eis zu kriegen?

Mascolo: Na gut, die Gruppe, die sich da trifft, sind alles überzeugte Transatlantiker und insofern sicher Realisten, die versuchen, über die große Emotion, die da im Moment drinsteckt, hinwegzukommen und zu sagen, welche Veränderung kann es jetzt geben, weil ja Deutschland und Amerika in so vielerlei Art und Weise Partner sind, dass eine Lösung angestrebt werden muss. Ja, diese Gruppe hat das heute versucht, hat versucht, ein Stück weiterzukommen. Und wie gesagt, die Einschränkungen bei der klassischen Spionage, von denen ich glaube, dass sie kommen werden, halte ich auch für ermutigend. Ich glaube allerdings, dass wir ein zweites, viel größeres Problem noch miteinander haben, mit den USA, wo ich noch keine Lösung sehe, und das ist das massenhafte Abfangen und Speichern von Daten von Europäern, auch von Deutschen. Da sehe ich bisher keinerlei Veränderung in der Position der Amerikaner – sie sagen, das brauchen wir zur Terrorismusbekämpfung. Das wird sicher noch eine harte Diskussion werden, wenn man da zu einer Veränderung der Position der USA kommen will.

Georg Mascolo, ehemaliger "Spiegel"-Chefredakteur
Georg Mascolo© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
"Amerikaner haben "null Verständnis" für Snowden"
Brink: Sie haben ja Edward Snowden zusammen mit dem Grünen-Politiker Christian Ströbele in Moskau getroffen, ich könnte mir vorstellen, dass viele Amerikaner Sie nach ihm gefragt haben.

Mascolo: Ja, ich bin von vielen angesprochen worden, viele haben wissen wollen, was ist er eigentlich für ein Typ und wie geht es ihm eigentlich. Mich hat in der Reaktion der Amerikaner natürlich vor allem interessiert, ob die Sicht, die wir in Deutschland haben, nämlich dass Edward Snowden ganz klar ein Whistleblower ist, jemand, der sich aus Gewissensgründen offenbart hat, so sehe ich das auch, ob der eigentlich in den USA als Verräter betrachtet wird und deshalb nach Überzeugung vieler Amerikaner vor Gericht gestellt werden muss. Diejenigen, mit denen ich in den USA darüber habe sprechen können jetzt, haben daran jedenfalls keinen Zweifel gelassen, Edward Snowden, auch wenn er Dinge enthüllt hat, die selbst Amerikaner heute falsch finden, halten sie für einen Verräter, und sie wollen ihn auf jeden Fall vor Gericht stellen. Und die Vorstellung, dass er in Deutschland Asyl bekommen könnte, hat jedenfalls niemand von meinen Gesprächspartnern hier …

Brink: Ja, verstanden … Merkt man da auch so diesen Kulturunterschied zwischen Amerika und Europa, also gerade im Umgang auch mit Snowden?

Mascolo: Na, ich weiß nicht genau, wie in Deutschland die Reaktionen wären, wenn wir jemanden erlebt hätten aus dem Geheimdienstapparat, der in diesem großen Umfang Informationen zugänglich gemacht hätte. Edward Snowden – das macht den Fall ja so kompliziert – ist ja ohne Frage beides. Er ist jemand, der aus Gewissensgründen eine förmliche Geheimhaltungsverpflichtung gebrochen hat, ich finde, dafür muss man Verständnis haben, aber auf amerikanischer Seite gibt es dafür bis jetzt, so sehe ich es, null Verständnis, und deswegen wollen sie ihn auf jeden Fall haben und sie wollen ihn vor Gericht stellen.

Brink: Hat er Ihnen denn Substanzielles über die NSA und ihre Aktivitäten in Deutschland erzählt?

Mascolo: Wir haben ja über weite Teile des Gesprächs – jedenfalls zunächst mal – in Vertraulichkeit berichtet, deswegen kann ich Ihnen leider nicht sagen, was und wie wir über die NSA und über all das gesprochen haben, aber klar ist, er verfügt über erhebliches Wissen.

Brink: Georg Mascolo über das Treffen der Kerngruppe der Münchner Sicherheitskonferenz die letzten zwei Tage in Washington. Schönen Dank, Herr Mascolo.

Mascolo: Gern.

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