NS-Zeit

Leugnen und Verharmlosen

Der ehemalige Adjudant des Lagerkommandanten, Robert Mulka, (l.) während einer Verhandlungspause
Der ehemalige Adjudant des Lagerkommandanten, Robert Mulka, (l.) während einer Verhandlungspause © picture-alliance / dpa / Günter Schindler
Von Anke Petermann · 16.12.2013
360 Zeugen, 22 Angeklagte und unfassbare Verbrechen: Vor fast 50 Jahre begann in Frankfurt der ersten Auschwitz-Prozess. Bis heute gibt es Kritik an dem Verfahren.
Joachim Kügler: "Ich frage Sie nun, ob Sie davon gewusst haben, dass die Leute mit den LKW zu den Gaskammern gefahren wurden."
Robert Mulka: "Davon bekam ich keine Kenntnis."
Im Wirtschaftswunder-Deutschland, Anfang der Sechzigerjahre. Der Kriegsschutt ist längst abgeräumt, Frankfurt am Main als kommerzielles Zentrum der Republik pulsiert wieder. Die zerstörte Altstadt samt Römer und Paulskirche: wiederaufgebaut, US-Präsident John F. Kennedy lobt das im Sommer '63. Weg mit dem Ballast der Erinnerung ist die unausgesprochene Devise. Doch im Dezember des Jahres blickt die Weltöffentlichkeit nach Frankfurt, weil dort verhandelt wird, was die Deutschen lieber weiterhin verdrängen würden. Auf großer Bühne - erst im Stadtverordnetensaal des Römers, dann im Bürgerhaus Gallus - bringen drei junge Staatsanwälte den industriellen Völker- und Massenmord der Nationalsozialisten vor Gericht.
Der Wiener Arzt Dr. Otto Wolken, 1943 nach Auschwitz verschleppt, sagt Ende Februar 1964 als erster Zeuge im Auschwitz-Prozess aus, zwei Verhandlungstage lang, unter anderem über die Vernichtung der ungarischen Juden ab Mai 1944.
"Es kamen Tag für Tag vier, fünf, sechs, manchen Tages sogar zehn Züge nach Auschwitz. Auf der Rampe war großer Betrieb. Es wurden Tausende und Abertausende Menschen täglich vergast. Die Krematorien reichten nicht mehr aus, das anfallende Leichenmaterial aufzuarbeiten. Es wurden riesige Gräben gegraben, und zusätzlich zu der Arbeit im Krematorium wurden noch Tausende Leichen in offener Grube verbrannt. Tag und Nacht loderte das Feuer, nachts war der Himmel weithin blutrot gefärbt. Und wenn der Wind schlecht stand, hatten wir im Lager den Gestank des verbrannten Fleisches."
Einzigartiger Fundus für die kollektive Erinnerung
Zum 50. Jahrestag des Frankfurter Auschwitz-Prozesses hat das Frankfurter Fritz Bauer Institut die ursprünglich als Gedächtnisstütze angefertigten Tonbandaufnahmen aus dem Gerichtssaal auf der Internetseite www.auschwitz-prozess.de online gestellt, samt Mitschriften. Ein einzigartiger Fundus für die Forschung und die kollektive Erinnerung.
Damals, zu Prozess-Beginn im Advent 1963, breitet sich in deutschen Wohnstuben weihnachtliche Gemütlichkeit aus. Den biederen Bürgern, die weggeschaut oder mitgemacht und sich an jüdischem Besitz bereichert hatten, passt der Rückblick aufs Grauen von Auschwitz schlecht. Aber, so konstatiert der damalige Staatsanwalt Gerhard Wiese:
"Der Termin kurz vor Weihnachten war nötig. Wenn wir nicht angefangen hätten, wäre das Verfahren in das Jahr '64 gekommen, und ein neues Schwurgericht hätte zusammengestellt werden müssen, mit neuem Vorsitzenden."
Regie im ersten großen Auschwitz-Prozess der Bundesrepublik führt der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, aber hinter den Kulissen. Er weiß, dass weite Teile der westdeutschen Öffentlichkeit ihm als zurückgekehrten Juden Rachlust unterstellen. Bauer, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie und 1930 in Stuttgart der jüngste Amtsrichter Deutschlands, hatte der Vernichtung entfliehen können.
Vor Gericht schrumpf Auschwitz zur "Strafsache gegen Mulka und andere"
"Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird Fritz Bauer als politisch aktiver Sozialdemokrat verhaftet und für neun Monate im Konzentrationslager Heuberg und in der Strafanstalt Ulm eingesperrt. In dieser Zeit entfernen ihn die Nationalsozialisten aus dem Staatsdienst. Als ihn die Gestapo 1936 erneut verhaften will, flieht er nach Dänemark und 1943 vor der Deportation ins schwedische Stockholm. Dort gründet er mit Willy Brandt zusammen die Zeitschrift 'Sozialistische Tribüne'. 1949 kehrt Fritz Bauer nach Deutschland zurück - mit großen Hoffnungen und konkreten Vorstellungen darüber, wie die neue demokratische Justiz und ein reformiertes Strafrecht in einem demokratischen Land aussehen sollten."
So die Vorgeschichte zum Auschwitz-Prozess nach Monica Kingreen. Gerhard Wiese ist einer der jungen, politisch unbelasteten Staatsanwälte in der ansonsten noch braun durchsetzten Justiz, die Bauer für die Anklagevertretung auswählt. Darauf bildet sich der heute 85-jährige Wiese nichts ein.
"Ja gut, da bin ich nicht viel gefragt worden. Nach meinem Urlaub eröffnete mir mein Chef: Herr Wiese, ich setze Sie um. Sie gehen als dritter Mann zum Auschwitz-Komplex."
Der Komplex: das Stammlager Auschwitz, das Vernichtungslager Birkenau, das Arbeitslager Monowitz. Die dort verübten Verbrechen: der Völkermord an den europäischen Juden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Menschheit. Doch das deutsche Individualstrafrecht kennt diese Kategorien nicht. Und so schrumpft Auschwitz vor Gericht zur "Strafsache gegen Mulka und andere", zum "normalen Mordprozess", zum "Völkermord ohne Täter", so bedauert der US-Historiker Devin O. Pendas. Auf Einladung des Fritz Bauer Instituts stellt er sein neues Buch über den Prozess in Frankfurt vor. Seinen Vortrag und die anderen Jubiläumsveranstaltungen des Instituts besuchen viele Rechtshistoriker. Aber nicht nur. Der Frankfurter Freddy Prawer:
"Meine Mutter hat Auschwitz überlebt und lebt heute noch. Ja, und mich interessiert einfach alles, was damit zu tun hat. Deswegen war ich auch bei den anderen Vorträgen. Und selbst bin ich auch noch Jurist."
Nach 30 Tagen war der Häftling totgearbeitet
Horst Koch-Panzner, Frankfurter DGB-Gewerkschafter, hört nicht nur zu:
"Also wir haben's mit veranstaltet, weil es der 50. Jahrestag des Auschwitz-Prozesses ist, und weil natürlich immer auch diese andere Seite zu kurz kommt: Wer hat die Nazis finanziert? Im Konzentrationslager Auschwitz hatte die IG Farben ein eigenes KZ. Und in diesem KZ war das oberste Gebot 'Vernichtung durch Arbeit'. Ausbeuten der menschlichen Arbeitskraft, bis sie nicht mehr kann. Das war im Schnitt 30 Tage, dann war der Häftling totgearbeitet, und dann hat die SS einen bestimmt Betrag x verdient. Und wir wollen: a.) diese Geschichte aufrechterhalten, b.) wollen wir sie auch - es waren viele Gewerkschafter heute da - zugänglich machen, wir wollen, dass sich wieder damit beschäftigt wird."
Warum der erste große Auschwitz-Prozess der Bundesrepublik erst Anfang der Sechziger eröffnet wurde, fragen Geschichtsinteressierte immer wieder. Die Antwort kennt Werner Renz, Forscher am Fritz Bauer Institut.
"Wir müssen uns vergegenwärtigen: Systematische Ermittlungen in der Bundesrepublik Deutschland sind erst ab Ende 1958 geführt worden, als die Zentrale Stelle in Ludwigsburg gegründet worden ist."
Überlebenden kritisieren deutsche Justiz bis heute als zögerlich
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen – eine gemeinsame Behörde der Bundesländer, die immer noch für Vorermittlungen zuständig ist. Bis heute kritisieren die Überlebenden die deutsche Justiz jedoch als zögerlich. Sie mute den Überlebenden zu, dass hochbetagte Mörder und Mittäter niemals mit ihrer Schuld und Gnadenlosigkeit konfrontiert würden, bemängelt das Internationale Auschwitz-Komitee. Dabei hätten die Verfahren der sechziger Jahre doch bahnbrechend wirken können. Werner Renz:
"Der Frankfurter Auschwitz-Prozess und der Düsseldorfer Treblinka- Prozess waren die ersten großen Verfahren gegen Personal der Vernichtungslager. Insofern hat dieser Prozess, der in Frankfurt über 20 Monate durchgeführt worden ist – 183 Verhandlungstage – eine große öffentlichkeitswirksame Bedeutung gehabt."
Genau so konzipiert ihn Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ihn hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Georg August Zinn 1956 aus Braunschweig ins "rote Hessen" geholt. In Frankfurt will Fritz Bauer diejenigen vor Gericht stellen, die den von Holocaust-Cheforganisator Adolf Eichmann geplanten Völkermord in Auschwitz ausführten. Ein Zufall und ein Journalist der "Frankfurter Rundschau" helfen ihm.
"Thomas Gnielka sieht Anfang 1959 bei einem Interview mit einem ehemaligen Verfolgten Listen mit den Namen von angeblich in Auschwitz auf der Flucht erschossenen Menschen mit den Namen ihrer Mörder. Er erkennt sofort die Brisanz dieser Dokumente, bittet den Mann, sie an eine Ermittlungsstelle weitergeben zu dürfen und wendet sich an Fritz Bauer. Der beantragt beim Bundesgerichtshof, dass die Zuständigkeit für die Verfolgung aller in Auschwitz begangenen Verbrechen bei einem Gericht festgelegt würde. Der BGH entscheidet im April 1959, dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit der Ermittlung zum 'Komplex Auschwitz' beauftragt wird."
22 Angeklagte aus allen Hierarchiestufen des KZs
Auch in Stuttgart war ermittelt worden, doch mit dem Versuch, das Mammutverfahren dorthin zu schieben, kann sich der abwehrende Teil der Frankfurter Justiz nicht gegen den zielstrebigen Chefankläger Bauer durchsetzen. Der allerdings spürt die Ablehnung. "Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland", sagt er einmal. Gerhard Wiese, damals Staatsanwalt, erläutert:
"Das bezieht sich auf seine Person. Er fand bei seiner Behörde Kollegen vor, die auch in der NS-Zeit Dienst gemacht hatten. Da gab's natürlich gewisse Spannungen, letztlich war er aber nicht nur dienstlich, sondern auch sonst – meine ich – von einem kleinen Freundeskreis abgesehen, ein einsamer Mensch."
Einer, der aufklären will, was andere gern vergessen würden.
"Bauer wollte das Verfahren nach Frankfurt haben. Bauer wollte einen Querschnitt durch das Lager haben – vom Kommandanten bis zum Häftlingskapo. Das ist ihm auch gelungen, denn der Namensträger war zunächst Baer, der letzte Kommandant. Der ist im Sommer '63 verstorben, und dadurch rückte Mulka als Namensführer für das Verfahren vor. "
Robert Mulka als der ranghöchste von 22 Angeklagten aus allen Hierarchiestufen des größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers. 1942 und 1943 war er Adjutant und Stellvertreter des ersten Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Den hatte der Oberste Volksgerichtshof in Polen 1947 zum Tode verurteilt – er wurde hingerichtet. Mulka wird in Frankfurt wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Als rechte Hand von Höß war er zuständig für den Betrieb der Vergasungsanlagen im Vernichtungslager, fürs Herbeischaffen des tödlichen Giftgas-Granulats Zyklon B, für das Aussondern der zur Vernichtung Bestimmten auf der Rampe und ihren Transport zu den Gaskammern. Staatsanwalt Joachim Kügler befragt den vormaligen SS-Mann.
Kügler: "Ich frage Sie nun, ob Sie davon gewusst haben, dass die Leute mit den LKW zu den Gaskammern gefahren wurden."
Mulka: "Davon bekam ich keine Kenntnis."
Kügler: "Sie wollen also sagen, Sie haben damals, als Sie Adjutant waren, nicht gewusst, dass die LKW eingesetzt wurden, um die zur Vergasung Bestimmten zu den Gaskammern zu transportieren?"
Mulka: "Nein, man fragte mich nicht danach."
Kügler: "Sie haben es nicht gewusst, wollen Sie sagen?"
Mulka: "Nein!"
Fast alle Angeklagten leugnen und verharmlosen
Nichts gewusst, nichts gemacht, nur Befehle ausgeführt – fast ausnahmslos flüchten sich die Angeklagten im Auschwitz-Prozess ins Leugnen und Verharmlosen. Beim stellvertretenden Kommandanten wirkt das besonders grotesk. Fritz Bauer aber will darüber aufklären, wie alle Ebenen der Lagerhierarchie ineinandergriffen, wie jeder an seinem Platz die Vernichtungsmaschinerie in Gang hielt und sich damit schuldig machte. Oder, wie Ronen Steinke, Autor der neuen Bauer-Biografie, im ARD-Interview zur Frankfurter Buchmesse formuliert:
"Es ging darum zu zeigen, wie erst das effiziente Zusammenwirken – das hochgradig organisierte, arbeitsteilige Zusammenwirken, wozu auch gehörte, dass einer Häftlingskleidung ausgab, dass einer Uniformen verwaltetet – wie all das dazu geführt hat, dass in einer Weise effizient gemordet wurde wie noch nie in der Weltgeschichte vorher."
Und zwar von denen, die sich als vermeintliche Biedermänner längst wieder in die Nachkriegsgesellschaft integriert hatten, wie der Exportkaufmann Mulka in Hamburg oder der Apotheker Capesius in Göppingen. Der einstige Lager-Apotheker Capesius verbirgt die Augen im Gerichtssaal hinter einer Sonnenbrille, andere Angeklagte schützen sich bei Prozessauftakt mit Aktendeckeln davor, dass die Fotografen und Kameraleute der versammelten Weltpresse ihr Bild an die internationale Öffentlichkeit liefern.
Mehr als 360 Zeugen werden zwischen 1963 und 1965 in Frankfurt vernommen, darunter 211 Auschwitz-Überlebende, die aus aller Welt anreisen und sich der Konfrontation mit den Tätern aussetzen. Denn ihren Beitrag zur Wahrheit sehen die überlebenden Opfer als Pflicht gegenüber den Ermordeten an. Auch und vor allem wegen ihrer umfassenden Aussagen ragt der Prozess heraus. Dem damaligen Staatsanwalt Wiese gehen sie bis heute nicht aus dem Kopf.
Selektion an der Rampe
"Das geschilderte Leid, das beeindruckt einen natürlich viel mehr als die Aussagen der Angeklagten, die alles bestritten haben und immer wieder erklärt haben, sie hätten nur auf Befehl gehandelt."
Mauritius Berner reist aus Israel zum Frankfurter Prozess an. Anfang 40 war der Arzt, als er an Pfingsten 1944 mit seinen drei Töchtern und seiner Frau aus dem damals ungarischen, später rumänischen Siebenbürgen nach Auschwitz deportiert wurde. Gerhard Wiese erinnert sich genau, was Berner dem Gericht über die Ankunft in Auschwitz erzählt.
"Der Arzt Doktor Berner war mit seiner Familie und Frau und Töchtern angekommen – ausgeladen. Männer und Frauen wurden alsbald getrennt. Und er versuchte, seine Familie zusammenzuhalten. Er traf auf der Rampe auf den Doktor Capesius, der dort die Selektion vornahm, insbesondere sich für die Ärzte und Apotheker aus diesem Transport interessierte. Und Capesius war dem Doktor Berner als IG Farben-Vertreter in Rumänien bekannt geworden, er kannte ihn also von früher, erkannte ihn auch auf der Rampe."
Auf der Rampe nimmt der SS-Sturmbannführer die Selektion vor, trennt Mauritius Berner von seiner Familie. Den Arzt brauchen die Nazis im Konzentrationslager, seine Frau und seine drei Töchter sollen vergast werden.
"Dr. Capesius sagte: Gehen Sie zurück. Und meine Frau und meine drei Kinder sind wieder an diesem Weg weiter gegangen. Ich begann zu schluchzen, und er sagte mir auf Ungarisch: Ne sírjon - weinen Sie nicht, die gehen nur baden. In einer Stunde werden Sie sich wiedersehen. Nie habe ich sie mehr gesehen."
1965 verurteilt das Frankfurter Landgericht Capesius wegen, Zitat, "gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord" an insgesamt mindestens achttausend Menschen zu neun Jahren Zuchthaus. Wie Mulka sieht das Gericht auch Capesius "nur" als Gehilfen, nicht als Mittäter des Massenmordes. Als willige Befehlsempfänger ohne fanatischen Eifer.
Das Strafrecht ist den Taten nicht gewachsen
Härter werden Exzesstäter bestraft, die eigenhändig morden, wie der sadistische Folterer Wilhelm Boger, den Häftlinge "Teufel von Auschwitz" nannten. Der neuen Dimension von organisiertem Völker- und Massenmord aber ist das Strafrecht oder zumindest dessen Auslegung in der jungen Republik nicht gewachsen. Fritz Bauer ist einer der wenigen Zeitgenossen, der das so sieht. Freddy Prawer, den Frankfurter Anwalt jüdischer Herkunft, und Horst Koch-Panzner, den Gewerkschaftssekretär, beschäftigt die fehlende Strafrechtsreform zum Prozess-Jubiläum immer noch:
Prawer: "Das war Absicht. Wenn man die Leute damals nicht als Monster bezeichnet hätte, dann hätte sich jeder mit seinem eigenen – ich sag jetzt mal - Beitrag mit dem, was geschehen ist, auseinandersetzen müssen, und dann kann man natürlich sagen: Was wäre aus der deutschen Nachkriegsgesellschaft geworden? Wie lange hätte es gedauert, dass sich die Menschen integrieren können mit der Vergangenheit, die sie hatten? Da haben natürlich auch Juristen versucht, das in gewisse Bahnen zu lenken, dass sich eben nicht alle damit auseinandersetzen mussten. Es ging dann immer peu à peu: der Majdanek-Prozess, der Euthanasie-Prozess. Aber die Gesellschaft, die war einfach insgesamt nicht so davon betroffen, als wenn wirklich jeder, ich sag’ jetzt mal, Eisenbahner oder wer auch immer sich damit hätte beschäftigen müssen. Deswegen denke ich auch, war dieser subjektive Ansatz ganz opportun damals."
Koch-Pazner: "Das wurde aber auch benutzt, um zum Beispiel die Industrie rauszuhalten. Durch diese Verfahrensweisen und diese Grundlagen konnte man natürlich die IG Farben und Monowitz raushalten. Hat es individualisiert und hat gar net herausgearbeitet: Das stärkste Wirtschaftskartell in der damaligen Zeit stand hinter diesem Teil eines Konzentrationslagers und machte mit."
Schuldbekenntnis? Einsicht? Fehlanzeige. Weder bei Tätern wie Capesius, noch in der Gesellschaft, die systematisch weggeschaut hatte. Für Generalstaatsanwalt Fritz Bauer schwer zu verkraften, hält Werner Renz fest:
"Seine Hoffnung war, politische Aufklärung zu betreiben, und die Reaktionen auf diese Prozesse waren weitgehend ablehnend. Sein Blick in die Vergangenheit diente ihm nur dazu, die Deutschen zu Demokraten zu erziehen, sprich zu Menschen, die sich einer Staatsführung widersetzen, die Verbrechen befiehlt. Das haben aber die meisten Deutschen nicht verstanden, sie haben sich wie auch die Angeklagten darauf zurückgezogen und darauf berufen, dass eben von oben die Befehle gekommen seien und sie hätten nicht umhin können, diese Befehle auszuführen. Im Rückblick sind wir in Bezug auf die Aufklärungs-Wirksamkeit derartiger Prozesse nüchterner. Unser Hauptgewicht liegt darauf, dass wir sehen, dass diese Prozesse eine Sachaufklärung betrieben haben, sprich, dass Verbrechensgeschehen in Auschwitz umfassend aufgeklärt haben. Dies ist die Bedeutung dieser Prozesse."
Der Auschwitz-Prozess hat die Erinnerung wachgerufen. Und heute hält unter anderem das Fritz Bauer Institut mit seinen Forschern und Pädagogen die Erinnerung an den Prozess wach. Wer wissen will, was Auschwitz wirklich war und was die erste große gerichtliche Aufarbeitung gebracht hat, der findet zum 50-jährigen Prozessjubiläum ergiebige Informationen, aktuell und verständlich. Offensichtlich wollen es viele wissen. Das rege Interesse an der Internetseite www.auschwitz-prozess.de überlastet jedenfalls phasenweise den Server – Geduld ist gefragt.
Kügler: "Sie wollen also sagen, Sie haben damals, als Sie Adjutant waren, nicht gewusst, dass die LKW eingesetzt wurden, um die zur Vergasung Bestimmten zu den Gaskammern zu transportieren?"
Mulka" "Nein, man fragte mich nicht danach."
Kügler: "Sie haben es nicht gewusst, wollen Sie sagen?"
Mulk: "Nein!"
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