NS-Prozess

Gerechtigkeit und Wahrheit

Der erste Auschwitzprozess wird am 20.12.1963 im Plenarsaal der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eröffnet. Das Bild zeigt einen Blick auf die Pressefotografen und Kameraleute, die die Angeklagten aufnehmen. Die Angeklagten sitzen flankiert von Polizisten an den Tischen. Im Hintergrund hängen Pläne des früheren Konzentrationslagers an der Wand.
Der Frankfurter Auschwitz Prozess wird 1963 im Plenarsaal der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eröffnet. © picture alliance / Roland Witschel
Von Annette Wilmes · 20.12.2013
Vor 50 Jahren begann in Frankfurt der sogenannte Auschwitz Prozess. Über den Prozess und seine Wirkungen schreibt der amerikanische Historiker Devin O. Pendas in seinem Buch. Pendas widmet sich nicht so sehr dem eigentlichen Prozessgeschehen als vielmehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit der 60er-Jahre.
War der Frankfurter Auschwitz Prozess ein Erfolg oder ist er gescheitert? Diese Frage stellt Devin O. Pendas am Ende des Buches. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, denn es kommt auf den Blickwinkel an.
Aus der Perspektive des Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul aus der DDR, der in Frankfurt einige Überlebende in der Nebenklage vertrat, war der Prozess gescheitert. Nach seiner Meinung waren die wahren Täter von Auschwitz die Rüstungsmillionäre, die Industriellen, die von der Sklavenarbeit profitierten und den tausendfachen Mord zugelassen hatten, und - so Kaul - wieder zulassen würden. Sie seien gar nicht erst vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt worden.
Ein anderer Opferanwalt, der aus dem Westen kam, Henry Ormond, fand das Urteil angemessen und das Verfahren fair. Zufrieden war er vor allem damit, dass die Angeklagten sich nicht auf den "Befehlsnotstand" berufen konnten und wegen ihrer Taten verurteilt wurden, wenn auch die meisten von ihnen nur als Gehilfen. Und was meint der Autor des Buches, Devin O. Pendas, selbst?
Nach deutschem Recht
Der Auschwitz Prozess, ohne Zweifel der prominenteste NS-Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik, habe sich um Gerechtigkeit und Wahrheit unter den Voraussetzungen des deutschen Rechts bemüht. Daran gemessen, schreibt der Historiker, sei es ein faires Verfahren gewesen. Aber das sei auch das größte Manko des Prozesses gewesen, dass nach deutschem Recht geurteilt werden musste.
Danach muss dem einzelnen Täter die individuelle Schuld nachgewiesen werden. Die ganze Dimension des Völkermords in Auschwitz habe so gar nicht erfasst werden können. Der Völkermordparagraph - im internationalen Recht verankert - war zwar in den 50er-Jahren in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Aber das Rückwirkungsverbot im Grundgesetz verhinderte seine Anwendung.
Denn die Strafbarkeit einer Handlung muss zum Zeitpunkt der Ausführung bereits feststehen, ein wichtiger rechtsstaatlicher Grundsatz. So war der Rahmen begrenzt. Wer an der Rampe von Auschwitz Tausende von Juden selektierte und in die Gaskammern schickte, wurde lediglich als Gehilfe verurteilt. Wer die Opfer folterte, zu Tode schlug oder mit Genickschuss tötete, konnte hingegen als Mörder verurteilt werden. Von den 20 Angeklagten wurden sieben als Täter und zehn als Gehilfen eingestuft. Aber es war eben nicht allein dieses Ergebnis, das die Wichtigkeit des Auschwitz-Prozesses ausmachte.
Das Urteil ist ein historisches Dokument
Es war vor allem seine Wirkung in der Öffentlichkeit und dass überhaupt die grauenvollen, unvorstellbaren Verbrechen der Mordmaschinerie in Auschwitz zur Sprache kamen, vor allem durch die erschütternden Aussagen von 211 überlebenden Zeugen. Das schriftliche Urteil mit mehr als 900 Seiten ist ein historisches Dokument, das die öffentliche Auseinandersetzung mit dem beispiellosen Verbrechen unausweichlich machte.
Ohne Fritz Bauer, damals in Frankfurt Generalstaatsanwalt, wäre der Prozess gegen die politischen Widerstände im Nachkriegsdeutschland nicht zustande gekommen. Auch nicht ohne Hermann Langbein, einem der Überlebenden, der selbst als Zeuge auftrat und später die Vernehmungen im Auschwitz Prozess ausführlich dokumentierte.
Der Historiker Pendas widmet sich in seinem Buch nicht so sehr dem eigentlichen Prozessgeschehen als vielmehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit der 60er-Jahre. Er schreibt über den deutsch-deutschen politischen Kampf um internationale Anerkennung im Kalten Krieg, auch über die Vergangenheitspolitik in der DDR und der Bundesrepublik.
Pendas liefert eine sehr kritische Interpretation des Prozesses, die er in manchen Punkten überzieht. Zum Beispiel bemängelt er, dass zentrale Elemente des Völkermordes an den Juden nicht als "komplexer historischer Prozess" dargestellt wurden. Ob das ein Strafverfahren überhaupt bewirken kann, ist fraglich. Das weiß auch Pendas, denn er schreibt an einer anderen Stelle: "Es gab einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der erlebten Wahrheit - Auschwitz als Ort von Schmerz und Verlust - und der rechtlichen Wahrheit - Auschwitz als Tatort genau zu beschreibender Verbrechen."

Devin O. Pendas: Der Auschwitz Prozess. Völkermord vor Gericht
Übersetzt von Klaus Binder
Siedler Verlag, München, 2013
432 Seiten, 24,99 Euro
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