NPD-Verbot "lieber heute als morgen"

Lorenz Caffier im Gespräch mit Ulrich Ziegler und Ernst Rommeney · 09.01.2010
Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier (CDU), hat die demokratischen Parteien aufgefordert, stärker in Konkurrenz zu den Angeboten der NPD zu treten. Wenn die rechtsextreme Partei in seinem Land den Bürgern eine Hartz IV-Sprechstunden anbiete, müssten die anderen Parteien dazu auch in der Lage sein, betonte der CDU-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Sie würden die rechtsextreme NPD lieber heute als morgen verbieten. Wann ist es soweit?
Lorenz Caffier: Tja, das ist meine Haltung. Die ist bekannt. An der hat sich auch nix geändert. Wenn's nach mir geht, lieber heute als morgen, aber letztendlich macht das nur Sinn, wenn Sie alle Kollegen davon überzeugt haben, weil man um so eine Frage nicht ein Tauziehen leisten kann. Und da sind die Betrachtungen in Deutschland nach wie vor noch unterschiedlich. Ich glaube, das Material, was wir zumindest haben und was ja auch hinlänglich bekannt ist über Medien, Funk und Fernsehen, sind ja keine Geheimdokumente. Sondern in der Regel in öffentlichen Veranstaltungen geäußerte Sachen beziehungsweise auch das einfach kämpferische Auftreten, aggressive Auftreten sind schon deutliche Belege, dass die NPD andere Vorstellungen hat, als das in einer zivilisierten Gesellschaft der Fall ist. Deswegen halte ich ein Verbot nach wie vor für richtig. Aber wir arbeiten dran, dass wir mehr Kollegen als bisher überzeugen davon.

Deutschlandradio Kultur: Auf Seiten der SPD, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Zentralrates der Juden: Überall gibt es Mehrheiten, die sagen, ja, lasst uns diesen Antrag wieder neu stellen. Lasst ihn uns zumindest vorbereiten. Nur auf Seiten der CDU hört man wenig. Warum so zögerlich bei Ihren Parteifreunden?

Lorenz Caffier: Also, ich kann ja nicht für meine Kollegen sprechen oder meine Parteifreunde. Erstmal gibt's ja den einen oder anderen Kollegen, der es jetzt überdenkt. Beispielsweise in Bayern ist ja bekannt, dass Herr Seehofer sich da auch etwas anders als bisher geäußert hat. Und in der Tat sind die Wahrnehmungen in den Ländern auch sehr unterschiedlich. Ich meine, in einem Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern bei knapp zwei Millionen Einwohnern und schon so sechs-, siebenhundert aktiven Mitgliedern - das ist die gleiche Anzahl, die die Bayern in etwa aktiv führen - ist natürlich die Wahrnehmung auch eine ganz andere und die Aktivität. Ich habe mich mit der Thematik sehr intensiv auseinandergesetzt und glaube auch, mit den Aktivitäten, die wir nach der Amtsübernahme eingeleitet haben, Demokratie- und Toleranzprojekten, aber auch mit der Frage der Sportvereine, Feuerwehren etc., zu überzeugen, dass wir keinen Nährboden für solche rechtsextremistische Strukturen oder auch letztendlich linksextremistische Strukturen bilden. Da hat man schon eine ganze Menge Erfahrungen gesammelt. Und die Wahlergebnisse und auch die Diskussion im Land zeigen ja, dass die NPD gewillt ist Veränderungen vorzunehmen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung ganz klar gefährden. Wenn Sie die Aktion mit den Plakaten in Löcknitz nehmen, wo dann durch das Bundesverfassungsgericht erst noch mal bestätigt worden ist, dass die Abnahme korrekt war, zeigt das die Denkweise der NPD.

Deutschlandradio Kultur: Aber haben Sie denn einen Zeitplan? Jetzt wollen die Bayern auch noch eine Materialsammlung erarbeiten. Das könnte bis zur Mitte des Jahres dauern. Wäre dann für Sie der Punkt, wo sie den Innenministern das noch mal vorlegten und sagen, jetzt entscheidet euch mal?

Lorenz Caffier: Also, ich glaube natürlich, dass die Kollegen, insbesondere die, die länger dabei sind, auch etwas gebrandmarkt sind, wenn man das so sagen darf, von dem letzten Bundesverfassungsgerichtsurteil und der Frage, dass man ja eine Niederlage erlitten hat, und insofern die Kollegen ja wirklich felsenfest davon überzeugt sein müssen, dass der Aufschlag dann auch erfolgreich ist. Insofern würde ich mich nicht auf einen Zeitplan festlegen wollen. Es gibt ja auch die Erkenntnisse, die wir im Rahmen des Jahresabschlussberichts 2009 haben, in denen zumindest eine gewisse Stagnation der rechtsextremistischen Übergriffe zu verzeichnen ist, dafür allerdings ein höheres Gewaltpotenzial und Aggressivitätspotenzial, was hier und da ggf. auch zum Überdenken der Situation führt. Also, es ist ein regelmäßiges Thema auf den Innenministerkonferenzen. Insofern würde ich mich nicht festlegen, ob heute oder morgen. Aber ich glaube, die Diskussion ist nicht abgeschlossen und ich glaube auch, dass - so wie der eine oder andere das im Laufe der Zeit überdacht hat - der eine oder andere auch dazu kommt.

Deutschlandradio Kultur: Was wäre denn gewonnen, wenn Sie dieses Verbotsverfahren einführen, in die Wege leiten würden und tatsächlich auch vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich wären? Den rechtsradikalen Gedankenbrei kriegen Sie damit auch nicht weg.

Lorenz Caffier: Das ist sicherlich richtig. Aber Sie haben gerade bei der Bevölkerung erhebliche Schwierigkeiten zu erklären, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes sind, andererseits aber im Landtag sitzen, Staatsgelder erhalten über die Fraktionsgelder - das sind ja Steuergelder vom Steuerzahler -, wir die Demokratiefeindlichkeit letztendlich nachweisen können und andersrum den Bürgern erklären sollen, wieso sie trotzdem in Parlamenten sitzen können, in Landtagen sitzen können. Sie können ja über diese Staatssteuerung, wenn man das so nennen kann, ihren Apparat zum Teil mit bedienen, mit finanzieren. Und solche Strukturen werden dann natürlich zunächst erst mal zerschlagen. Und das haben wir ja auch bei der einen oder anderen Situation gesehen. Wir haben im letzten Jahr die "Mecklenburgische Aktionsfront" verboten. Damit sind Strukturen einfach kaputt gemacht worden. Und es bedarf einer gewissen Zeit und eines gewissen Neuanlaufs, dass man hier wieder auf neue Strukturen kommt. Und das hat dann auch Zeit, dass sich die demokratischen Fraktionen, aber auch die Einrichtungen mit den Bürgern versuchen auseinanderzusetzen, die Diskussion zu führen, warum NPD oder Rechtsextremismus oder Linksextremismus der falsche Weg ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist das so von Schaden, dass die NPD in Sachsen, aber auch bei Ihnen in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag sitzt? Auch in anderen Länderparlamenten haben die Rechten sich selbst ausgebremst. Und man hat gesehen, was sie gesagt haben und getan haben.

Lorenz Caffier: Das ist sicherlich richtig, was die Vergangenheit betrifft. Es gab ja schon mal Fraktionen in einzelnen Parlamenten. Aber wir können das ja nur aus der Erfahrung dieses Landes darstellen. Die NPD hat überhaupt kein Interesse an der parlamentarischen Arbeit, sondern sie hat nur ein Interesse, die Regierungsarbeiten zu behindern. Es gibt keine Fraktion, die so unendlich viele kleine Anfragen stellt, wie die NPD - nur mit dem Ziel, die Regierungsarbeit lahm zu legen. Sie nutzen nur die Fraktionsarbeit, um nach außen bestimmte Schwerpunkte zu bedienen, aber inhaltlich - auch als Oppositionspartei - leisten sie null Beitrag innerhalb des Landtages. Insofern hat man da auch eine Aufgabe, nach draußen darzustellen, dass hier von der NPD ganz andere Ziele verfolgt werden, als sie mit dem Einzug ins Parlament verkündet haben. Und die Wahlergebnisse zeigen ja nach wie vor, auch wenn ich Bundestagswahl im vergangenen Jahr nehme, beziehungsweise die Kommunalwahl, dass sie eine Partei ist, die nach wie vor in der Lage ist, über die Fünfprozenthürde im Land möglicherweise zu kommen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie mit diesem Verbotsverfahren, wann immer es noch mal aufgelegt werden sollte, erfolgreich sein wollen, dann müssen Sie die V-Leute, also Leute, die mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten, rausnehmen aus dieser NPD-Organisation. Machen Sie das schon im Land Mecklenburg-Vorpommern?

Lorenz Caffier: Also, was ich mache oder was ich nicht mache, ist mit Sicherheit nix, was ich in der Öffentlichkeit breit trage. Zweitens hat das Verfassungsgericht nicht festgelegt, dass die V-Leute aus der Organisation herauszunehmen sind, sondern es hat festgelegt, dass sie aus den Führungsstrukturen herauszunehmen sind, damit sie sozusagen nicht bei der Meinungsbildung federführend mit dabei sind. Insofern kann ich einem Verbotsverfahren in der Frage beruhigt entgegensehen. Aber ich würde auch nicht auf Verfassungsschutz verzichten, um das auch klarzustellen.
Deutschlandradio Kultur: Auf welcher Ebene?

Lorenz Caffier: Auf der Ebene, auf der wir arbeiten müssen, um an Informationen zu gelangen, um ggf. auch Gefahren vom Land abwehren zu können.

Deutschlandradio Kultur: Aber bringen sich die Innenminister da nicht in eine seltsame Lage. Sie sind die heimlichen NPD-Vorsitzenden, wenn Sie da Leute drin haben, die den Laden steuern.

Lorenz Caffier: Ja, wenn Sie das tun, wenn Sie Leute drin haben, die den Laden steuern, dann haben Sie ein Problem.

Deutschlandradio Kultur: Und woher wissen Sie, dass Sie die besseren Informationen kriegen, wenn Sie mit V-Leuten zusammenarbeiten? Mittlerweile arbeitet diese Gruppe auch im Internet und Sie kriegen Informationen von überall her. Muss es denn überhaupt jemand sein, der vom Verfassungsschutz da mit verankert ist, der Ihnen die Informationen gibt?

Lorenz Caffier: Ich hab ne klare Haltung über die Aufgabe, die ein Verfassungsschutz generell hat - es geht ja nicht nur um Rechtsextremismus, sondern generell. Insofern nehmen sie ihre Aufgaben wahr auf der Grundlage des Grundgesetzes. Und ich kann derzeit auf Informationen aus dem Verfassungsschutz nicht verzichten.

Deutschlandradio Kultur: Und trotzdem wird Ihnen ja der Vorwurf gemacht, Sie würden quasi die Partei sponsern, weil diejenigen, die Ihnen Informationen geben, das Geld, das Honorar, das ja nicht unerheblich ist, wieder in die Partei reinstecken.

Lorenz Caffier: Das sind unbewiesene Behauptungen. Und insofern beteilige ich mich an solchen Diskussionen nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben vorher kurz das Beispiel genannt, Löcknitz mit diesen Plakaten. Die Plakate wurden entfernt. Da ging es um die Parole "Polen-Invasion stoppen", weil Polen in Mecklenburg-Vorpommern leben. Bei den Bundestagswahlen ist die NPD gar nicht so schlecht davongekommen. 12,5 Prozent haben die dort gekriegt. Was läuft da falsch?

Lorenz Caffier: Also, erstmal sind die Bundestagswahlen im Vergleich zu den Bundestagswahlen davor, was das NPD-Ergebnis war im Lande, weniger gewesen. Das muss man erst mal objektiv feststellen. Insofern hat sich die Arbeit nicht unbedingt positiv ausgewirkt. Und die NPD stellt ja selbst fest, dass sie mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden ist. Wir haben im Land einen Schwerpunkt in bestimmten Regionen, die sich nicht ausschließlich auf Vorpommern beziehen, sondern in der Regel dort, wo führende Funktionäre der Landtagsfraktion, NPD-Landtagsfraktion ihren Sitz haben - also, ob das Lübtheen ist oder ob das der vorpommersche Raum ist oder ob das Uecker Randow ist mit Herrn Müller oder Herrn Andrejewski oder auch Herrn Pasteurs. Und um diese Leute herum bilden sich Strukturen, zum Teil in Verbindung mit den Kameradschaften, die sich vielfältiger Themen annehmen, die den Bauch bedienen, wie man so schön sagt. Und ich bedaure nach wie vor, dass es noch zu wenige gibt, die sich in den Diskussionsprozess mit einbringen in durchaus unangenehme Fragen. Ich sage mal das Thema, wenn die NPD Hartz-IV-Sprechstunden anbietet, was sie tut, mit Anmeldezeiten sogar, dann müssen alle anderen demokratischen Fraktionen im Lande auch dazu in der Lage sein oder Bewegungen/ Einrichtungen. An der Frage müssen wir gemeinsam noch besser werden. Das wissen alle. Deswegen gibt es auch unterschiedliche Initiativen - ob das die Initiative der Landtagspräsidentin ist mit dem "Demokratienetzwerk", ob das die gesamte Regierungsarbeit ist in der Richtung, was die Programme gegen Rechtsextremismus oder auch die einzelnen Einrichtungen im Land sind. Aber hier müssen wir in jedem Fall noch besser werden, um noch mehr Aufklärungsarbeit machen zu können. Und ich glaube, ein wichtiger Punkt, an dem arbeiten wir gemeinsam mit dem Bildungsministerium, ist, dass wir die ganze Auseinandersetzung um Rechtsextremismus, um Geschichtsaufarbeitung - um die geht es ja letztendlich auch, gerade im Osten, wo bestimmte Jahrzehnte ja zumindest ausgeblendet oder sehr einseitig unterrichtet wurden, dass wir hier auch in der Frage der Themen Schule, Bildung noch mehr Initiativen ergreifen müssen als das bisher der Fall ist. Und deswegen gibt es so bestimmte Geschichtsfelder, die intensiver behandelt werden müssen. Das ist die ganze Frage Nationalsozialismus. Und wir müssen auch aufpassen, dass wir mit der ganzen Frage der DDR-Vergangenheit nicht auch eine Geschichtsetappe ausblenden. Und deswegen sind gerade in der Frage für die zukünftige Ausbildung hohe Prioritäten gesetzt. Denn wir erkennen ja, dass der Zulauf der Strukturen im Wesentlichen über junge Leute geschieht und zum Teil über Veranstaltungen, wo wir auch wieder bei dem Punkt sind: Wieso können nicht auch andere Institutionen Parteien oder Einrichtungen ein Campinglager, anbieten? Wieso müssen wir das Feld der NPD überlassen?

Deutschlandradio Kultur: Bisher haben Sie dieses Geschäft ja betrieben als Innenminister. Nun sind Sie auch CDU-Landesvorsitzender. Wie bekommen Sie denn Ihre Partei dazu, dass die in den Gliederungen, also bis ins letzte Dorf, sich dieser Aufgabe stellt, gegen Rechtsextreme vorzugehen?

Lorenz Caffier: Also, ich glaube, in der Partei ist hinreichend bekannt, dass sowohl mein Vorgänger, als auch ich, aber letztendlich die gesamte Partei in der Frage Auseinandersetzung mit dem Extremismus, egal, ob wir über Link- oder Rechtsextremismus reden, eine klare Botschaft vorhanden ist. Die heißt, es ist kein Platz für Extremisten innerhalb der Partei. Und insofern versuchen wir über unsere Kreisgeschäftsführer, über die einzelnen Strukturen die Diskussion, die Auseinandersetzung zu führen. Und im Zweifelsfall haben wir auch hin und wieder mal ein Ausschlussverfahren zu laufen gehabt oder Ähnliches, wo es Tendenzen gab, die eben nicht mit den Vorstellungen, mit dem Weltbild der Landes-CDU übereinstimmen. Das führt hin und wieder natürlich zu Diskussionen, aber solche Auseinandersetzungen gehen nie ganz geräuschlos über die Bühne. Man muss das auch mal aushalten können.

Deutschlandradio Kultur: Also, man kann aber schon festhalten, dass vor allen Dingen die kommunale Verankerung des Rechtsextremismus deutlich zunimmt und vor allen Dingen dann auch an der Grenze zu Polen.

Lorenz Caffier: Also, ich glaube nicht, dass sie deutlich zunimmt, aber sie ist auf einem gewissen Stammwählerpotenzial im Land verankert. Dort gilt es insbesondere in den Schwerpunktzentren, dass man sich noch intensiver mit der Problematik, als vielleicht in dem einen oder anderen Fall bisher geschehen, auseinandersetzt. Und man muss natürlich auch für bestimmte Entwicklungen in den jeweiligen Regionen werben und auch um Verständnis werben, auch die eigentliche Situation beschreiben. Wir sind als Land froh, dass wir polnische Mitbürger haben, die hier ihren festen Wohnsitz nehmen, die ja auch die Region mit entwickeln dadurch. Denn letztendlich kaufen sie vor Ort ein, zahlen die Mieten, bringen Leistung mit in das System ein, auch wenn sie ggf. in Stettin arbeiten. Das sind Entwicklungen, die wir als positiv betrachten, gerade in einem Land, was einen erheblichen Einwohnerverlust zu verzeichnen hat. Andererseits müssen Sie natürlich auch die Bevölkerung in solchen Regionen, wo zum Teil eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, auf solche Problematiken eingehen, sie auf die Reise mitnehmen, wie es so schön heißt. Und da gibt es in der Tat auch ein Stück, was durch die Geschichte bedingt ist. Denn als gestandener DDR-Bürger kenne ich ja die Diskussion von früher zwischen polnischen Bürgern und ostdeutschen Bürgern. Und insofern ist auch hier ein Stück Geschichtsaufarbeitung mit verbunden.

Deutschlandradio Kultur: Es dabei um die Ressentiments, die da bedient werden. Hilft Ihnen da eigentlich die eigene Partei, die jetzt um die Abgeordnete Erika Steinbach und ihren möglichen Sitz in der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" streitet? Wenn Sie selbst die gute Beziehung zu den Nachbarn wollen, haben Sie da Verständnis für die Haltung der Polen?

Lorenz Caffier: Ja, ich hab für beide Seiten Verständnis. Ich hab Verständnis für die Haltung der Polen. Ich habe allerdings auch Verständnis für die Haltung, die Frau Steinbach mit ihrem Bund der Vertriebenen letztendlich vertritt. Denn auch das hat was mit Geschichte und mit Aufarbeitung zu tun. Deswegen kann man das Thema nicht so einfach pauschal betreiben. Ich weiß auch nicht, ob die ganze Frage immer ganz glücklich betrieben worden ist, wie so ein Beirat bestellt wird. Das ist jetzt so gelaufen, wie es ist. Und man muss sehen, dass sich das durchaus positiv entwickelnde Verhältnis Polen/Deutschland nicht durch solche Sachen zu nachhaltig gestört wird. Insofern tun wir gut dran, hier vernünftige Lösungen zu finden.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie müssen die aussehen? Sie sagen, Sie haben Verständnis für beide Seiten. Irgendwann muss ja der Ball wieder nach vorne gespielt werden, sprich, wir brauchen eine Lösung, die beide Seiten befriedet. Wie kann das sein?

Lorenz Caffier: Ich hab hier Landesverantwortung und werbe, was das Verhältnis Polen/Mecklenburg-Vorpommern betrifft, immer für eine gute Zusammenarbeit, die immer schon vorhanden ist. Wir arbeiten ja selbst mit unseren Polizeien gut miteinander zusammen, auch durch Austausch von Polizisten in den jeweiligen Ferienregionen etc. Und das muss jetzt so gelöst werden, dass die Diskussion möglichst schnell abgeschlossen wird, und nicht unterschwellig Monat für Monat dahin flackert. Und insofern ist es eine Aufgabe, die jetzt vom Bund der Vertriebenen und von der Bundesregierung gelöst werden muss.

Deutschlandradio Kultur: Herr Caffier, Sie haben viel über Aufarbeitung, Geschichte geredet. Wie ist denn die Aufarbeitung der CDU-Vergangenheit vor der Wende innerhalb der CDU vonstatten gegangen in den letzten 20 Jahren? Zufriedenstellend?

Lorenz Caffier: Ich glaube, mit "zufriedenstellend" soll jeder Politiker immer zurückhaltend sein, weil es immer einen Fall gibt oder mehrere, die vielleicht unbefriedigend sind. Und die Betrachtungen sind ja auch sehr unterschiedlich. Es ist ja für jemanden, der den Vereinigungsprozess mit begleiten konnte, so wie für mich durch die Volkskammer et cetera, auch unheimlich schnell gegangen. Und keiner hatte Patentrezepte für die Frage der Wiedervereinigung, für den Umgang. Ich glaube, für den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern sagen zu können, dass wir uns sehr zeitig mit der gesamten Thematik "Rolle der CDU auch zu DDR-Zeiten" auseinandergesetzt haben, dass wir immer, und das ist eine Maxime, auf die ich auch ich immer sehr großen Wert lege, den jeweiligen Kreisverbänden und Organisationen eine sehr hohe Eigenständigkeit in der Aufarbeitung, in der Frage, wie gehe ich mit Mitgliedern um, die früher schon CDU waren, oder wie gehe ich mit welchen um, die später irgendwann gesagt haben, ich war früher in einer anderen Partei, oder ich war - aus welchen Gründen auch - hier oder da und ich möchte jetzt Mitglied werden ... , dass das eine Frage ist, die vor Ort entschieden wird. Denn vor Ort können die Leute die jeweiligen am allerbesten beurteilen. Natürlich ist es immer schwierig für Leute, die im DDR-System Verfolgung und ja letztendlich Unterdrückung erleiden mussten, bestimmte Sachen innerhalb der Wiedervereinigung nachzuvollziehen. Sicherlich sind da eine Reihe Defizite - aber nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern - in Gesamtostdeutschland erfolgt, was die Frage der unmittelbar Unterdrückten betrifft, wobei man immer heutzutage in den Diskussionen etwas aufpassen muss. Ich selbst treffe ja fast keinen mehr, der nicht Widerstandskämpfer in der DDR-Zeit war, und frage mich manchmal, wieso sie sich überhaupt so lange gehalten hat. Jeder hat sich da eine Nische gesucht, dazu gehöre ich auch, in der eingerichtet. Und die Anzahl derer, die im Untergrund gearbeitet haben oder die eben inhaftiert waren, war natürlich verschwindend klein im Verhältnis zu denen, die in irgendeiner Form sich in dem System eingerichtet haben.

Deutschlandradio Kultur: Aber die ostdeutschen Landesverbände der CDU sind ja nach der Wende beinahe problemlos unter den Mantel der großen Bundes-CDU geschlüpft. Sind Sie nicht im Grunde gespalten zwischen den Alt-CDUlern, die vor der Wende das Sagen hatte, und den neuen, den Bürgerrechtlern, die anschließend kamen?

Lorenz Caffier: Also, ich kann nur für den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern sprechen. Wir sind immer ein Landesverband gewesen, der sich sowohl aus Mitgliedern zusammengesetzt hat, die schon vor der Wende CDU-Mitglied waren, als auch aus vielen, die 90 oder später eingetreten sind - auch aus Bürgerbewegungen - und dass wir immer die Diskussion gemeinsam geführt haben und dass wir in der Frage im Umgang innerhalb der Partei hier in Mecklenburg-Vorpommern, glaube ich, nicht diese ja zum Teil aggressive Auseinandersetzung, wie es in anderen Landesverbänden wohl der Fall gewesen ist, hier gehabt haben, sondern irgendwo auf einer sachlichen Ebene, und dass es natürlich eine Mischung gab, auch von Leuten, die in Verantwortung sind im Land, aus - wie ich sage - sozusagen Neu-CDU-Mitgliedern und Leuten, die ggf. schon länger dabei waren.

Deutschlandradio Kultur: Wenn beispielsweise Ihr ehemaliger Ministerpräsident Berndt Seite bei seiner Buchvorstellung gesagt hat, er hat als "Bürgerrechtler in der CDU unter den Wendehälsen während seiner aktiven politischen Zeit immer auch ein wenig gelitten", dann ist doch da ein Stück Reibung da, die anscheinend noch aufgearbeitet werden muss.

Lorenz Caffier: Ja sicherlich ist es so, dass es aus der Betrachtung der Einzelnen, insbesondere die eben Einschnitte innerhalb ihrer persönlichen Lebensmaxime in der DDR-Zeit gehabt haben, eine nicht optimale Aufarbeitung der Gesamtproblematik gegeben hat. Aber ich bleib dabei: Keiner hat für die Wiedervereinigung in Gesamtdeutschland ein Patentrezept gehabt. Und keiner hat ein Patentrezept gehabt für die Frage der Fusionierung von Parteien aus zwei unterschiedlichen Systemen. Insofern - kann ich nur für uns sagen - haben wir diese Frage immer wieder diskutiert, unterschiedliche Untersuchungen gemacht, unterschiedliche Foren geführt und insbesondere das Gespräch zwischen - ja, jetzt sage ich mal - "Alt-CDUlern" und "Neu-CDUlern" geführt, weil Gespräche sind immer das beste Mittel, um solche Fragen aufzuarbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Warum stellen Sie sich selbst, die Sie schon damals in der CDU waren, als die besseren DDR-Bürger vor und zeigen mit den Fingern auf die SED, dann PDS und heute Die Linke?

Lorenz Caffier: Also, ich kann das für meine Person nicht bestätigen, dass man mit den Fingern auf andere zeigt. Ich muss mich allerdings auch bei keinem dafür entschuldigen, dass ich mich 1979 entschieden habe, in die CDU einzutreten. Und insofern habe ich den Anspruch nicht, auch andere zu beurteilen, wer was wann gemacht hat. Da würde ich mich sowieso in jedem Fall zurückhalten. Deswegen ist es auch sinnvoll, dass es bei allen Fällen, über die wir reden, immer so genannte Einzelfallüberprüfungen gab oder gibt. Das ist auch richtig so. Und ansonsten sollte jeder sich etwas zurückhalten mit der pauschalen Beurteilung aus der Entfernung, egal ob aus Ost oder aus West oder wie auch immer.

Deutschlandradio Kultur: Dennoch, warum sind sie demokratischer gesinnt als ein Alt-SED-Mitglied, das vielleicht heute Genosse in der linken Partei ist?

Lorenz Caffier: Ich hab nicht gesagt, dass ich demokratischer gesinnt bin als solch einer. Aber natürlich ist zunächst erstmal ein Unterschied für jemanden, der sich entschieden hat, Mitglied in der SED zu werden. Das hätte ich auch werden können. Wenn, dann hätte ich den Beruf erlernen können, den ich wollte. Aber da ich aus einem Pastorenhaus kam, bin ich nun nicht Widerstandskämpfer gewesen, sondern musste mich entscheiden zwischen Elternhaus oder zwischen Partei. Ich hab dann den Weg nicht gewählt und hab dafür halt einen anderen Beruf erlernt. Das hat mir trotzdem auch Spaß gemacht. Und insofern, glaube ich, zeige ich nicht mit dem Finger auf die, aber natürlich ist derjenige, der in die SED eingetreten ist, mit zunächst erst mal anderen Vorstellungen in die Machtzentrale eingetreten. Das Gleiche gilt natürlich auch für Leute, die in Blockparteien in führenden Stellungen Aufgaben wahrgenommen haben. Dass das sozusagen Unternehmen oder Untergruppierungen der SED gewesen sind, das ist ja nun mal unstrittig. Also, die CDU oder die LDPD, wer auch immer, waren ja sozusagen keine Widerstandseinrichtungen. Das ist natürlich dummes Zeug. Aber es ist richtig, dass sich viele Leute aus unterschiedlichen Gründen da eine Nische gesucht haben, oder dass sie einfach Ruhe vor der SED haben wollten und zum Teil in Blockparteien. Da gibt's viele Beweggründe. Deswegen sollte jeder in der Beurteilung zurückhaltend sein. Aber natürlich ist die SED mit ihren unterschiedlichen Organisationsformen und mit ihren Machtansprüchen immer diejenige gewesen, die das System DDR - Goldener Käfig - aufrecht erhalten hat.

Deutschlandradio Kultur: War die DDR nun ein Unrechtsstaat in Ihren Augen oder war die DDR es nicht?

Lorenz Caffier: Goldener Käfig bleibt immer ein Käfig, egal, ob golden oder blechern. Sie war ein Unrechtsstaat, selbstverständlich.

Deutschlandradio Kultur: Wie sagen Sie dann Ihren Mitbürgern, wenn man ihnen sagt, sie hätten in einer Diktatur gelebt, in einem maroden System, wie sagen sie dann, dass sie ihre Lebensleistung bewerten sollen? Das ist ja immer der neuralgische Punkt, gerade wenn Leute aus dem Westen kommen, dass man ihnen vorwirft, ihr seid unsensibel gegenüber dem, was wir ein Leben lang geschafft haben, selbst wenn es in einem Umfeld geschehen ist, das vielleicht schlecht war.

Lorenz Caffier: Ich glaube, das ist eine Frage, die in den zurückliegenden Jahren gegebenenfalls auch nicht so bearbeitet und aufgearbeitet worden ist. Ich glaube, jeder hat an seinem Platz für sich erst mal entschieden, seine Lebensleistung dementsprechend zu erbringen und zu erarbeiten. Und die muss man auch ggf. in der Lage sein zu würdigen und nicht pauschal beurteilen, weil du da aufgewachsen bist oder da, bist du erste oder zweite Klasse. Richtig ist aber auch, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, ob er damit auch ggf. Sachen durchgeführt hat, die einfach dazu geführt haben, dass sie anderen Menschen geschadet haben im Rahmen von Bespitzlung oder dass ein System maßgeblich unterstützt haben, was eben nicht auf der Grundlage von demokratischen Normen, also Rechtsstaat insbesondere, aufgebaut gewesen ist. Und dann muss man immer bei der Diskussion aufpassen, dass man diese Diskussion, was im Osten alles gut gewesen ist, gleichzeitig damit bewertet, wohin hat's am Ende geführt. Im Osten war ja das Hauptmanko, dass man sich Leistung erbracht hat, die auf der Einnahmenseite nicht ansatzweise gedeckt war. Insofern gab's eine Reihe von Einrichtungen, die durchaus, wenn sie denn in irgendeiner Form darstellbar sind, sicherlich nicht schlecht gewesen sind. Aber es hat dazu geführt, dass ich am Ende ein System hatte, was wirtschaftlich und sozial das nicht mehr erbringen konnte. Und deswegen muss man immer aufpassen in der heutigen Diskussion, dass wir nicht Gefahr laufen, Forderungen aufzumachen oder Leistungen einzubringen, die nicht ansatzweise auch auf der Einnahmenseite gedeckt werden. Insofern gibt es auch Parallelen heutzutage, was die Frage der Aufarbeitung betrifft. Und ich glaube, wir tun sowieso gut dran, dass diejenigen in den jeweiligen Systemen, wo sie groß geworden sind, die Jahre vor '90 am besten beurteilen können.

Deutschlandradio Kultur: Herr Caffier, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.