NPD-Verbot "ist eine klimatische Frage"

Winfired Hassemer im Gespräch mit Ute Welty · 19.11.2011
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer sieht heute bessere Chancen für ein NPD-Verbot als 2003. Die Bundesrepublik habe Chancen und Gesetze, die ein NPD-Verbot zuließen, wenn dies "kundig und vernünftig" angegangen werde.
Ute Welty: Nach der mutmaßlich rechtsradikal motivierten Mordserie an Einwanderern überschlägt sich die Politik auf einmal mit Vorschlägen, was man alles gegen rechts und rechte Gewalt tun kann. So will Bundeskanzlerin Angela Merkel die Erfolgsaussichten eines neuen Verbotsverfahrens für die NPD prüfen lassen.

Angela Merkel: Gerade in diesen Tagen müssen wir vermuten, dass es schreckliche Gewalttaten aus dem Bereich Rechtsextremismus gibt, Terrorismus im rechtsextremen Bereich, meine Damen und Herren. Das ist eine Schande, das ist beschämend für Deutschland, und wir werden alles tun, um die Dinge aufzuklären und den Menschen gerecht zu werden.

Ute Welty: Seit 2003 wird immer wieder diskutiert, ob ein NPD-Verbot Sinn macht und ob es durchsetzbar ist. 2003 hatte nämlich das Bundesverfassungsgericht einen entsprechenden Antrag der rot-grünen Bundesregierung zurückgewiesen, Grund dafür: der Einsatz von V-Leuten, von bezahlten Informanten in der NPD. 2003 maßgeblich für diese Entscheidung verantwortlich war der damalige Vizepräsident Winfried Hassemer. Guten Morgen!

Winfried Hassemer: Tag, Frau Welty!

Ute Welty: Sie sind viel gescholten worden dafür, ein NPD-Verbot verhindert zu haben. Wie gut oder wie schlecht können Sie heute oder gerade nach den Erkenntnissen der letzten Tage damit leben?

Hassemer: Ich bin immer noch der Meinung, dass das richtig war, was drei Richter damals gemacht haben mit ihrer Sperrminorität. Unser Problem war ja nicht, ob die NPD verfassungswidrig ist – so weit sind wir gar nicht gekommen. Unser Problem war nur und darüber haben wir uns gestritten, ob in diesen Umständen, die es dann gegeben hat, die sich herausgestellt haben, ein faires Verfahren noch möglich ist. Und das Problem war, ich glaube, ziemlich einfach: Man konnte nicht mehr auseinanderhalten, ob die Texte, um die es geht und die die Verfassungswidrigkeit der NPD belegen sollten, ob die nun von NPD-Leuten stammten oder von den damals schon zahlreich vorhandenen V-Leuten der Regierung. Und das ist natürlich ein wichtiger Unterschied, und deshalb war ich und bin ich der Meinung: Das hätten wir nicht mehr geschafft, das hätten wir nicht mehr auseinandergekriegt. Das wollte ich vermeiden.

Ute Welty: Auf der anderen Seite fordern Sie die Politik inzwischen auf, ein solches Verbot intensiver und kundig zu diskutieren. Das klingt aber doch dann danach, als ob Sie Ihre Entscheidung zumindest relativieren wollten.

Hassemer: Nein. Ich glaube nicht, dass die Politik noch mal den Fehler macht, in den höchsten Rängen der NPD, also da, wo es um Ziele geht und wo es um Strategien geht, V-Leute zu platzieren. Das glaube ich nicht, das lese ich zurzeit auch nicht. Ich bin und war der Meinung, dass wir die Chancen haben, die Gesetze haben, ein NPD-Verbot durchzuführen, wenn es kundig, vernünftig gemacht wird, und wenn man sich eben an diese Vorausgaben des Senats von damals hält.

Ute Welty: Aber immerhin 100 V-Leute sollen weiterhin im Einsatz sein.

Hassemer: Ich will jetzt nicht in Einzelheiten gehen, das ist nicht meine Aufgabe, aber das Problem war, dass es um die Zielbestimmung der NPD ging, also ich will damit sagen: Es geht ja nicht darum, dass die NPD völlig frei gemacht wird von V-Leuten, sondern eben aus den Führungsebenen, und so steht es auch in der Entscheidung damals drin, aus den Führungsebenen sollten sie rechtzeitig entfernt werden. Und außerdem: Es ist natürlich möglich, dass der Senat heute eine andere Rechtsprechung an dieser Stelle macht, als wir das damals gemacht haben. Von den drei Richtern, die das Verfahren damals gestoppt haben, ist keiner mehr im Senat. Das muss man auch mal überlegen.

Ute Welty: Das heißt, es gibt Ihrer Meinung nach einen möglichen dritten Weg zwischen Lassen, also die V-Leute lassen und kein NPD-Verbot, und Abziehen und damit ein NPD-Verbot möglich machen?

Hassemer: Das kann alles sein, das wird davon abhängen, wo der Senat heute die Schwerpunkte setzt, und natürlich ist das ein bisschen problematisch, weil man das kaum prognostizieren kann. Und das können die Richter möglicherweise auch nicht prognostizieren, weil deren Meinungsbildung ja auch davon abhängt, was im Senat alles beraten wird.

Ute Welty: Was kann die Politik tun, um sich kundig zu machen?

Hassemer: Die Politik, glaube ich, kann versuchen – aber auch da bin ich vorsichtig, ich bin ja kein Ratgeber für sowas, sondern ich war ein Richter –, die Politik kann versuchen, sich möglichst nah an das Gesetz zu halten. Und das Gesetz sagt in seiner Weisheit zweierlei: Es kommt nicht nur darauf an, dass die hingeschriebenen Ziele, die Theorien, die Strategien verfassungswidrig sind, sondern es kommt auch darauf an, wie sich die Leute verhalten. Und das sieht man ja, wie sie sich verhalten. Und ich glaube, das ist heute … sieht das ein bisschen anders aus als im Jahre 2003.

Ute Welty: Wie viel Sinn macht es überhaupt, die NPD als eine Partei verbieten zu wollen, zu denen die mutmaßlichen Serienmörder ja nach dem jetzigen Stand der Dinge gar keine Verbindung gehabt haben?

Hassemer: Also ich glaube, man ist auf dem falschen Weg, wenn man glaubt, man könne mit dem NPD-Verbot gewissermaßen wie mit einem Instrument das abschalten, was wir zurzeit erleben. Das, glaube ich, ist eine Vorstellung, die hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Ich glaube, die Wirkung eines NPD-Verbots liegt auf einer tieferen Ebene, also nicht nur strategisch-instrumentell, sondern symbolisch eher. Es ist eine klimatische Frage, ob die Bundesrepublik sagt: Diese Leute soll es bei uns als Partei nicht geben. Ich glaube, das ist die Wirkung eines NPD-Verbots, und die kann natürlich nur langfristig sein, und sie kann vor allem nur eintreten, wenn ansonsten die rechtlichen Voraussetzungen, Stichwort faires Verfahren, eingehalten werden, die unser Rechtssystem ja auch auszeichnen.

Ute Welty: Und wie viele solcher Verbote kann sich langfristig eine Demokratie leisten? Wo verläuft die Grenze zwischen Verfassungsfeindlichkeit und Meinungsfreiheit?

Hassemer: Ja, das ist natürlich das große Problem, über das man jetzt etwa drei Stunden reden müsste, um es halbwegs klar zu machen. Also erst mal muss man sagen: Die Entscheidung darüber, ob ein NPD-Verbotsverfahren angeregt wird und betrieben wird, die liegt natürlich nicht beim Bundesverfassungsgericht, sondern die liegt bei den Verfassungsorganen, die dafür zuständig sind. Und die müssen sich gewissermaßen nicht an irgendein Rechtsprogramm halten, sondern die können das politisch einschätzen, die können die Frage beantworten, wie Sie sie gerade gestellt haben: Wie viel vertragen wir eigentlich noch an solchen Diskussionen und an solchen Verfahren? Ich glaube, dass die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes ganz recht hatten, so etwas vorzusehen, dass man eine Partei verbieten kann, gleichzeitig aber auch die Hürden höher zu setzen, also eine qualifizierte Mehrheit im Senat zu verlangen, wenn man diesen Weg beschreitet. Also man kann es machen, aber man steht vor Hürden dabei, und das finde ich ist ganz gut so, das ist eine richtige Mischung.

Ute Welty: Winfried Hassemer, ehemals Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes. Ich danke und wünsche ein schönes Wochenende!

Hassemer: Ja, ich danke Ihnen auch! Wiedersehen, Frau Welty!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Winfried Hassemer, Vorsitzender Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, BVG, in Karlsruhe, aufgenommen bei einer Urteilsverkuendung am 18. Juli 2005.
Winfried Hassemer 2005, damals Vorsitzender Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts© AP
Mehr zum Thema