NPD-Aussteiger zu NSU-Filmen

"Das hat religiösen Charakter"

ARD/SWR MITTEN IN DEUTSCHLAND: NSU - DIE TÄTER, "Heute ist nicht alle Tage!", am Mittwoch (30.03.16) um 20:15 Uhr im ERSTEN. Sebastian Urzendowski ist Uwe B.
Die Serie "Mitten in Deuschland" gibt ein realistisches Bild der Rechtsradikalisierung wieder, findet NPD-Aussteiger Stefan Rochow. Hier ein Szenenfoto mit Darsteller Sebastian Urzendowsky. © Bild: SWR/Stephan Rabold
Stefan Rochow im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 31.03.2016
In der ARD läuft gerade ein Mehrteiler, der die NSU-Morde aus allen Blickwinkeln zeigt und analysiert. Den Anfang machte ein Film über die Täter. Dieser liefere ein realistisches Bild der Rechtsradikalisierung, sagt der ehemalige NPD-Funktionär und Aussteiger Stefan Rochow.
Die ARD zeigt derzeit den TV-Dreiteiler "Mitten in Deutschland" über die NSU-Morde. Am 30. März war der erste Teil zu sehen, der sich den Tätern widmet. Für Stefan Rochow, Jahrgang 1976, ehemaliger NPD-Parteifunktionär und Aussteiger aus der rechten Szene, zeigt der Film ein realistisches Bild der Rechtsradikalisierung.
"Gerade was den Radikalisierungsprozess dieser drei jungen Menschen betrifft - da habe ich mich selber auch sehr gut wiedergefunden."
Die drei Hauptdarsteller als NSU-Täter in der ARD-Serie "Mitten in Deutschland", Folge 1 "Heute ist nicht alle Tage": Uwe Mundlos (Albrecht Schuch. li.), Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe, mi.) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky, re.)
Jugend in der Nach-Wendezeit: Uwe Mundlos (Albrecht Schuch. li.), Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe, mi.) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky, re.). Szenenfoto aus dem ARD-Mehrteiler "Mitten in Deutschland".© Bild: SWR/Stefan Rabold

Viele Parallelen zu Rochows Jugend

Es gebe viele Parallelen zwischen seiner eigenen Jugend in der Nach-Wendezeit und den Biografien von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Hoffnung und dann Enttäuschung vieler Jugendlicher habe er so auch erlebt. Neben Lob übt Rochow jedoch auch Kritik:
"Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Radikalisierungprozess etwas deutlicher dargestellt werden würde. Da hat mir was gefehlt. In so einem Freundeskreis mitzumachen, ist das Eine. Das Andere ist dann tatsächlich, auch diesen letzten Schritt zu gehen, der dann ja im Grunde genommen bis zum Mord führt. Und das war für mich wenig überzeugend."

NPD als Ersatzreligion?

Und: Anders als im Film in Bezug auf Beate Zschäpe dargestellt, sei er selbst nicht durch Zufall, sondern bewusst in der rechten Szene gelandet.
Jahrelang galt Rochow, der in Greifswald geboren wurde, als wichtigste Nachwuchspolitiker der NPD. 2009 fand er den Ausstieg aus der rechten Szene, schrieb ein Buch darüber und arbeitet heute als Journalist und Coach. Als Kind aus christlichen Elternhaus fand er zudem zurück zur Kirche, wandte sich dem Katholizismus zu.
Nach seiner starken Hinwendung zur Religion befragt, sagt Rochow, seine frühere Begeisterung für die NPD sei wie eine Ersatzreligion gewesen.
"Wenn man glaubt, im Recht zu sein, versucht man natürlich auch zu missionieren, versucht man natürlich auch, andere Menschen davon zu überzeugen. Und das hat auch ein bisschen religiösen Charakter."

Liane von Billerbeck: Es sind die Geschichten, die man biblisch vom Saulus zum Paulus nennen könnte, von denen die Mitarbeiter des Vereins Exit in Berlin einige kennen und begleitet haben. Da war einer Bundesvorsitzender Junge Nationaldemokraten, also der Jugendorganisation der NPD, galt als deren wichtigster Hoffnungsträger, ein rechter Aufsteiger also. Und ausgerechnet der wird dann zum Aussteiger aus der rechten Szene, konvertiert zum Katholizismus und arbeitet inzwischen als freier Journalist und Berater: Stefan Rochow, 1976 geboren im vorpommerschen Greifswald.
Und wie man aus dem braunen Sumpf kommt, wenn man so tief drin steckte, das will ich jetzt von ihm wissen an dem Tag, nachdem in der ARD der erste Teil der Trilogie "Mitten in Deutschland: NSU" gelaufen ist, über die Täter, die zehn Morde und die Mörder verübt haben, und die Mörder Mundlos, Böhnhardt und vermutlich auch Beate Zschäpe, die ja in München noch vor Gericht steht. Guten Morgen, Stefan Rochow!
Stefan Rochow: Guten Morgen, ich grüße Sie!
von Billerbeck: Wie war denn Ihr Eindruck von dem Film gestern Abend?
Rochow: Also, ich denke mal, von Anfang an ist es natürlich eine schwierige Sache gewesen, sich so einem Prozess im Grunde genommen zu nähern, wie Sie schon sagen, der eben im Grunde noch nicht endgültig aufgearbeitet ist, wo eben nach wie vor mehr Fragen im Raum stehen, als dass wir tatsächlich Antworten haben. Aber ansonsten muss ich eben sagen, in vielen Bereichen, gerade was eben diesen Radikalisierungsprozess dieser drei jungen Menschen betrifft, da habe ich mich selber auch sehr gut wiedergefunden.
von Billerbeck: Sie waren ja von 2002 bis 2007 Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten, Mitglied des Parteivorstands der NPD, vorher schon in der rechten Szene aktiv, Burschenschaften, Anmelder und Redner bundesweit von Demonstrationen. Finden Sie denn persönliche Bezüge in dem Werdegang, der da gestern geschildert wurde?

Im Wendeprozess radikalisiert

Rochow: Ja, vor allem dadurch wahrscheinlich auch, dass sie eben vom Alter her ähnlich strukturiert sind wie ich. Ich selber bin eben auch in dieser Nachwendezeit jugendlich gewesen, ich habe eben genau diese Prozesse, die dort dargestellt sind, diese Radikalisierungsprozesse, erst mal diese Enttäuschung über die DDR, dann eben vielleicht auch die Hoffnung, die man in den Westen gesetzt hat, die dann eben auch nicht erfüllt wurden aus Dingen, wo ich heute sage, natürlich, selbstverständliche Dinge, dass man eben so ein System, wenn es zusammenbricht, eben auch so schnell nicht wiederaufbauen kann, und wo man eben auch sozusagen so einen Wandel nicht einfach so von mir nichts dir nichts eben da vollziehen kann. Aber ich glaube eben, dass da eben sehr viele Kinder und Jugendliche eben in diesem Wendeprozess sich radikalisiert haben, und da gehörte ich eben auch dazu.
von Billerbeck: Der Film zeigt ja auch sehr viel aus der Jugend von Beate Zschäpe. Wie gesagt, er ist Fiktion, er zeigt viel Alltag, man spielt Monopoly, trinkt, findet keinen Job, zu Hause ist es auch nicht toll. Sie ist keine überzeugte Rechtsextreme am Anfang, sondern wird da eigentlich zufällig und Stück für Stück hineingezogen. Wie repräsentativ ist denn so ein Weg?

Übergänge sehr fließend

Rochow: Also, was ich mir selber vorstellen kann, obwohl ich selber eben diesen Weg so nicht gegangen bin – also, ich würde heute nicht sagen, ich bin dort durch Zufall hineingeraten –, glaube ich schon – und das zeigt der Film und das sind auch Erfahrungen, die ich am Rande damals gemacht habe –, dass diese Entscheidung, sich meinetwegen vielleicht auch der Punkszene anzuschließen oder eben der Skinheadszene, oft tatsächlich davon abhängig ist, welchen Bekanntenkreis und welchen Freundeskreis man sich da eben erschlossen hat.
Und was ich eben auch durchaus nachvollziehen kann in diesem Film und was ich eben auch selber erlebt habe, dass eben auch die Übergänge sehr, sehr fließend waren. Ich kann mich in Greifswald selber daran erinnern, dass Leute eben erst in der Punkszene waren und am Ende dann auch in der Skinheadszene. Also, das hat mich schon überzeugt, so was gibt es. Allerdings, muss ich eben dazu sagen, hätte ich mir gewünscht, dass der Radikalisierungsprozess etwas deutlicher dargestellt werden würde.
von Billerbeck: Da hat Ihnen was gefehlt?
Rochow: Da hat mir was gefehlt, weil ich meine ... Jetzt in so einem Freundeskreis mitzumachen, ist das eine; das andere ist ja dann tatsächlich auch, diesen letzten Schritt zu gehen, der im Grunde genommen dann ja bis hin zum Mord führt. Und das war für mich wenig überzeugend.
von Billerbeck: Wie entwickelt sich denn so etwas, dass man dann am Ende nur noch eine bestimmte Weltsicht hat, dass man so einen Tunnelblick hat, dass man aus diesem geschlossenen Weltbild gar nicht mehr rauskommt?

Keine Kommunikation mit der Außenwelt

Rochow: Ich glaube ganz einfach, dass man das Umfeld, die Welt irgendwann – und das wurde eben auch sehr gut dargestellt – nur noch als Feind wahrnimmt. Dass man sozusagen für die gute – in Anführungsstrichten –, hehre, gerechte Sache selber kämpft und alle anderen eben nur Gegner, nur Feinde sind. Und im Grunde genommen erwartet man dann natürlich von Feinden auch kein Entgegenkommen mehr und dann hat man natürlich automatisch nur noch diesen Tunnelblick, weil man natürlich auch Argumentation von außen überhaupt nicht mehr aufgeschlossen entgegentritt. Und weil natürlich auch die Außenwelt – das habe ich eben selber erlebt – auch irgendwann mit Ablehnung reagiert und eigentlich insofern auch gar keine Kommunikation mit der Außenwelt mehr möglich ist.
von Billerbeck: Nun sind Sie im April 2008 aus der NPD ausgetreten, 2009 zur katholischen Kirche konvertiert. Wie kann denn so eine Abkehr gelingen? War auch die Rechtsorientierung quasi eine Art Religion?
Rochow: Ja, im Nachhinein würde ich schon sagen, das ist natürlich eine missionarische Sache, die da stattfindet. Also, Religion ist da vielleicht zu viel, das ist eben eine Ideologie, im Grunde genommen etwas ... Wenn man eben glaubt, tatsächlich im Recht zu sein, versucht man natürlich auch zu missionieren, versucht man auch, andere Menschen davon zu überzeugen. Und das hat natürlich auch schon ein bisschen religiösen Charakter, natürlich.
von Billerbeck: Stefan Rochow war das, Aussteiger aus der rechten Szene, mit seinen Eindrücken nach dem ersten Teil der Filmreihe "Mitten in Deutschland: NSU".
Der zweite, über die Opfer der Morde, läuft am 4. April, der dritte am 6., jeweils um 20:15 Uhr in der ARD, und alle drei stehen natürlich auch in der ARD-Mediathek.
Herr Rochow, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Rochow: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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