Novelle

Wuchernde Unruhe

Benediktinerinnen in der Kapelle der Abtei Varensell in Rietberg (Kreis Gütersloh).
Eine der Schwestern tritt ins Kloster ein. © picture alliance / dpa
Von Gabriele von Arnim · 13.06.2014
Der irische Autor Eugene McCabe liefert eine komprimierte und dichte Novelle, die filigran Verachtung, Eifersucht und die Liebe zweier Schwestern schildert: eine bewegende Geschichte.
Bei der jüngeren Schwester steht im Zeugnis, sie werde es weit bringen, bei der älteren, sie könnte sich mehr anstrengen. Carmel und Tricia - zwei ungleiche Schwestern. Im Aussehen, im Begehren, im Sein. Carmel ist eine blasshäutige Schönheit und überaus schüchtern. Tricia, zwei Jahre älter, lockt als Flirt mit tizianrotem Haar. Da ihre Mutter früh starb und sie beim Vater verkamen, wuchsen sie bei einer Tante auf. Eines Tages ist der Vater ganz weg, wie verschluckt von der Welt. Ein dunkles Geheimnis umhüllt ihn.
Carmel leidet am Vater-Verlust und liebt die Stille, Tricia hasst ihren Erzeuger und sucht das Vergnügen. Und so tritt Carmel ins Kloster ein, während Tricia in die Welt geht, Hebamme wird, mit Ende zwanzig schon geschieden ist und nun allein mit ihrer dreijährigen Tochter und geerbtem Geld in einem alten Schulhaus mit Meerblick lebt.
Bis Carmel einzieht bei ihr, die jäh das Kloster verlassen hat. Ohne Erklärung. Skrupel, sagt sie und schweigt. Und erst nach und nach erfahren wir, warum Carmel in einen Strudel der Wut und des Aufbegehrens geriet. Aus dem die scheue Nonne ungeahnt stark auftauchen wird.
Eugene McCabe wurde 1930 als Sohn irischer Eltern in Glasgow geboren. In den frühen vierziger Jahren zog die Familie nach Irland zurück, wo McCabe bis heute lebt. Er wurde bekannt durch Theaterstücke, Drehbücher und Kurzgeschichten. Und hat bisher nur einen einzigen Roman geschrieben "Tod und Nachtigallen", der in Irland längst als Klassiker gilt und von dem Schriftsteller Colm Tóibín als "eines der größten Irischen Meisterwerke des Jahrhunderts" gepriesen wird.
Machtanmaßung, Gewalt und Menschenverrat
Während McCabe in dem Roman seine Figuren mit großer Wucht und Kraft in die blutige Geschichte Irlands hineinschreibt, erzählt er in diesem schmalen Band mit sanfter und zugleich schonungsloser Nüchternheit von Machtanmaßung, Gewalt und Menschenverrat. Es entpuppt sich der Vater als Mädchenmissbraucher und die Äbtissin des Klosters als kalte Herrin.
Es bleiben zwei verstörte Schwestern - überfromm die eine, ein wenig haltlos die andere. Und das in einer Welt, in der Gott und Glaube verloren gehen, und der Nordirland Konflikt eskaliert. Selten nur herrscht Frieden in dieser Novelle. Es wuchert die Unruhe, die Erinnerung. Es lauert die Zerbrechlichkeit des menschlichen Seins. Und nicht einmal die Kirche ist Trost und Hort, sondern eher ein Ort des bigotten Schreckens. Aber es wächst auch mit dem Wissen um sich und die Welt eine neue Kraft in Carmel.
Und während der Roman in der Verzweiflung endet, bleibt hier offen, ob der Verrat, den Tricia schließlich an Carmel begeht, zum rüden Bruch führen wird oder ob die Schwestern - einander in ihren Schwächen erkennend - stark genug sein werden, sich zu versöhnen.
Eine kleine Novelle, aus der mancher Autor einen dicken Roman gemacht hätte. McCabe dagegen erzählt komprimiert und dicht, ja filigran die Verachtung, die Eifersucht und die Liebe der Schwestern. Um die klug ausgelassenen Leerstellen herum hat der glückliche Leser Luft und Raum für das Spiel der eigenen Fantasie.
Eugene McCabe: Schwestern
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag, Göttingen 2014
140 Seiten, 16 Euro
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