Nouripour: "Mehr humanitäre Hilfe leisten"

02.11.2013
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen sei ein wichtiger Schritt, um den Konflikt im Land einzudämmen, sagt der Verteidigungsexperte der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour. Skeptisch sieht er jedoch die diplomatischen Bemühungen und fordert stattdessen mehr humanitäre Hilfe.
Hanns Ostermann: Wenigstens das wurde erreicht: Gut zwei Monate nach dem Giftgaseinsatz bei Damaskus ist das gesamte syrische Chemiewaffenarsenal unter Verschluss. Riesige Mengen sind versiegelt, ebenso die vorhandenen Produktionsstätten. Wenigstens in diesem Punkt hat sich etwas getan, ist der Albtraum beendet – gekämpft wird aber trotzdem noch. Millionen sind auf der Flucht, und ob es wirklich zu einer Syrien-Friedenskonferenz kommt, das steht noch nicht fest. Im Gespräch war bislang der 23. November, aber Russlands Präsident Medwedew hat bereits die Erwartungen gedämpft, möglicherweise setzt man sich erst Ende des Jahres an einen Tisch. In Istanbul trifft sich heute die Nationale Syrische Allianz, um über ihre Teilnahme an der Konferenz zu entscheiden. Ich habe Omid Nouripour, den sicherheitspolitischen Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag zunächst gefragt: Immerhin soll sich die Opposition inzwischen von radikalen Islamisten distanziert haben – kann man das in dieser Eindeutigkeit aber überhaupt sagen?

Omid Nouripour: Es ist die Frage, ob das Teile sind, die am Ende bereit wären und auch imstande wären, so was wie einen Friedensvertrag auch umzusetzen. Und das ist das Problem, das ist nicht der Fall. Es gibt zurzeit kaum Kräfte, die man zum Beispiel bei einer Genf-2-Konferenz dabei haben kann, wo man sicher sein kann, na ja, wir machen mit denen was aus, und die kriegen das dort tatsächlich hin. Die relevanteren Kräfte, die, die wirklich am Boden die Kraft haben, das sind die härtesten Islamisten. Und das ist das riesengroße Problem bei der Suche nach einer politischen Lösung.

Ostermann: Immerhin ist Syrien nicht mehr in der Lage, neue Chemiewaffen herzustellen. Werten Sie das wenigstens als Erfolgsgeschichte in diesem blutigen Konflikt?

Nouripour: Es ist seit zweieinhalb Jahren ein solches Dilemma, dass man wirklich jeden Strohhalm nimmt, um sich zu freuen, und natürlich ist es ein Schritt nach vorne. Allerdings heißt das nicht, dass jetzt Chemiewaffeneinsätze nicht mehr möglich sind, weil das Arsenal des Landes, des Regimes, unglaublich groß ist. Und die könnten, wenn jetzt nicht weitere Schritte folgen – was ja passieren soll, wenn nicht das gesamte Arsenal zerstört ist, was ja lange dauern wird –, die könnten jederzeit wieder ähnliche Massaker veranstalten wie im August in Ghuta. Das ist ein guter, kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber der Weg ist noch sehr, sehr weit.

Ostermann: Man hat den Eindruck, dass Lakhdar Brahimi auf der Stelle tritt, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga. Wenn das so ist, woran liegt das?

Nouripour: Das liegt an vielen Dingen. Es liegt daran, dass es eine absolute Blockade gibt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wenn es um Kernthemen geht. Deshalb war ja dieser Erfolg bei den Chemiewaffen, durch die Slapstick-Diplomatie von Kerry in London ausgelöst, so ein großer Schritt nach vorne, weil tatsächlich erstmals Bewegung reingekommen, aber die Kernblockade, nämlich, dass Assad nicht an den Pranger gestellt wird für seine Verbrechen, bleibt ja immer noch ein riesengroßes Problem. Das liegt an der Verfasstheit der Opposition, die mittlerweile einen politischen Kopf hat, der mit dem Körper nichts mehr zu tun, und ein militärischer Arm, der immens radikalisiert wurde, auch dadurch, dass sie entdeckt haben, dass sie nur noch Hilfe bekommen von Golfstaaten, die eben nur die radikaleren Kräfte bereit sind zu unterstützen. Es gibt noch eine Reihe anderer Probleme, dass die Türkei nicht mehr als neutraler Nachbar gesehen wird. Es ist alles ein Riesendilemma, und wir kommen nicht voran. Die Frage ist, was kann man jetzt tun?

Ostermann: Die Frage stelle ich Ihnen: Was kann man tun?

Nouripour: Es gibt seit zweieinhalb Jahren niemanden, den ich zumindest gefunden hätte, und ich suche händeringend irgendjemand, der irgendeine Idee hat, der mir sagen kann, was man tun kann, und ich habe, glaube ich, mittlerweile das gesamte Spektrum der Experten für Nahost und für Syrien mehrfach befragen dürfen. Wenn man nichts mehr tun kann, muss man schauen, dass man erstens humanitäre Hilfe leistet und zweitens eindämmt. Die schlimmste Situation ist ja gar nicht mehr das sogenannte Ausbluten, was ja schlimm genug ist, des Konfliktes, sondern das Schlimmste ist ja – und es gibt Indizien, dass das passieren wird, wenn man nichts tut –, dass ja die Nachbarstaaten gefährdet sind: Libanon, Jordanien, teilweise auch Irak. Und deshalb ist das Wichtigste jetzt, diesen Ländern zu helfen, den Konflikt einzudämmen, diese Länder auch zu fragen, was braucht ihr, wie kann man euch denn helfen – das ist im Libanon ganz was anderes, da sind ganz andere Verhältnisse als zum Beispiel in Jordanien –, damit der Konflikt nicht auch noch am Boden regionalisiert wird.

Ostermann: Immerhin scheinen sich die Türkei und der Iran in der Syrienfrage etwas anzunähern, jedenfalls trafen sich die beiden Außenminister. Wenn diese beiden Länder zusammenarbeiten würden, hätte das eine Signalwirkung?

Nouripour: Oh ja, das wäre hervorragend, und das hätte vielleicht mehr als nur eine Signalwirkung, weil die Türkei Teile der Opposition sehr stark unterstützt, wie man hört, mehr als nur mit warmen Worten, und die Iraner sind ja ein fester Partner auf der Seite von Assad. Und wenn in diesem Stellvertreterkrieg, der die Auseinandersetzung in Syrien ja teilweise immer noch ist, wenn die Mächte, die dahinterstehen, aufeinander zugehen, wie es die Russen und die Amerikaner ja zumindest bei der Chemie gemacht haben, wäre das ein Riesenerfolg.

Ostermann: Parallel, neben den Gesprächen zwischen der Türkei und dem Iran bombardiert Israel Ziele in Syrien, um damit die Hisbollah zu schwächen, also die Lage könnte explosiver doch wohl nicht sein?

Nouripour: Nein, das ist ganz kurz vor dem Abgrund, und der Abgrund ist wie gesagt nicht nur das Sterben Hunderttausender von Menschen in Syrien und ganz, ganz vieler Kinder, sondern es geht wirklich darum, dass da das, was seit Jahren in vielen Fällen Gottlob versehentlich angeprangert wurde, nämlich dass ein Flächenbrand droht, dass dieser Flächenbrand dem Nahen Osten so nah ist wie noch nie zuvor.

Ostermann: Jetzt wird verhandelt, es wird weiter gekämpft, Menschen sterben. Wie lange müssen wir dem Morden noch tatenlos zusehen?

Nouripour: Solange wir nicht wissen, was wir tun sollen. Es gibt keine militärische Lösung beispielsweise.

Ostermann: Warum gibt es keine militärische Lösung?

Nouripour: Es ist auf der einen Seite so, dass durch die Sicherheitsratsblockade, verursacht von den Russen und auch teilweise von den Chinesen es so ist, dass zum Beispiel so was wie eine Flugverbotszone in Teilen des Landes dazu beitragen würde, dass die Aufrüstungsspirale seitens der Russen noch weiter angekurbelt wird. Es ist am Ende des Tages so – sagen mir Militärexperten –, man braucht, wenn man das Land wirklich befrieden wollte im Sinne von "wir gehen rein, stellen uns zwischen die Fronten, schützen die Bevölkerung und befrieden das Land", braucht man eine mittlere sechsstellige Zahl von Soldaten. Es gibt kein Land auf der Welt oder es gibt keine Länder auf der Welt, die bereit wären, solche Truppen auf die Beine zu stellen. Nach Afghanistan sind die internationalen Friedenserhaltungsmechanismen sowieso komplett beschädigt, deshalb gibt es keine militärische Lösung.

Ostermann: Denke ich an Syrien in der Nacht, bin ich um meinen Schlaf gebracht – könnte man so Ihre Haltung überschreiben?

Nouripour: Es ist milde gesagt so, ja. Ich hab so viele Horrorvideos gesehen von Verbrechen, von Islamisten auf der einen Seite und von Assad-Verbrechern auf der anderen Seite, es sind so unglaublich viele Kinder dort systematisch im Fadenkreuz, dass man ganz, ganz, ganz viel Kraft braucht, um, sagen wir mal, mit ruhigem Blut da auf die Geschichte zu schauen. Aber all die Emotionalität heißt nicht, dass man Lösungen ergreifen darf, von denen man von vornherein sieht, dass sie die Situation verschlechtern. Als die Amerikaner kurz davor waren, nachdem die rote Linie das erste Mal weltöffentlich sichtbar überschritten wurde mit dem Einsatz von Chemiewaffen, als die Amerikaner kurz davor waren, dort auch militärisch sehr begrenzt, aber immerhin zuzuschlagen, hatte ich mit vielen Leuten, die ich in Syrien kenne – ich war häufig in dem Land zu Gesprächen … Ich hab mit denen gesprochen und hab sie gefragt, was denn eigentlich sie davon halten. Und die Antwort war: Wir sind seit über zwei Jahren eingeklemmt zwischen Verbrechern von Assad und Verbrechern der al-Qaida, jetzt hagelt es auch noch Bomben von oben, wir wollen hier nur noch raus. Das heißt, auch nur die plausible, ernst zu nehmende Drohung eines Militärschlages würde zum Beispiel die Flüchtlingsströme in den Libanon, in Jordanien, die ja beide kurz vorm Zerbersten sind, tatsächlich noch stärker machen. Die drittgrößte Stadt in Jordanien ist aus Zelten gebaut und eineinhalb Jahre alt. Im Libanon ist über ein Viertel der Gesamtbevölkerung an Flüchtlingen neu aufgenommen. Deshalb bleibe ich dabei: Das oberste Ziel, wenn man nicht weiß, was man in Syrien tun kann, ist, dass diese Länder nicht mit hineingezogen werden.

Ostermann: Omid Nouripour, der sicherheitspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag. Herr Nouripour, danke für das Gespräch!

Nouripour: Danke Ihnen!


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