"Notfalls spielen wir die Karlsruher Karten aus"

Mario Ohoven im Gespräch mit Gabi Wuttke · 31.08.2011
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft lehnt die Haftungsbedingungen und die hohen Haftungsrisiken für Deutschland im Rahmen der geplanten gemeinsamen Schuldenfinanzierung im Euroraum ab. Notfalls werde man gegen den Euro-Kurs der Bundesregierung klagen, sagt Verbandspräsident Mario Ohoven.
Gabi Wuttke: Ein Monat kann kurz sein, wenn Für und Wider gründlich bedacht, wenn Formulierungen genau unter die Lupe genommen werden müssen – wie beim Gesetz zur Ausweitung des Eurorettungsfonds EFSF: Ende September soll der Bundestag über den Entwurf abstimmen, der heute von Angela Merkels Kabinett beschlossen werden soll. Wie genau lautet der Text? Die Kanzlerin will die Partei- und Fraktionschefs nach der Sitzung informieren. Neue Milliardenhilfen bringen nichts – davon zeigte sich bereits im Februar der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft Mario Ohoven überzeugt und unterstrich, wenn auch mit anderen Worten, wie gut der Mittelstand mit dem Euro verdient und was für eine Katastrophe eine Rückkehr zur D-Mark wäre. Um 7.49 Uhr begrüße ich ihn im Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Ohoven!

Mario Ohoven: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Sie empfehlen dem Bundestag, den Rettungsfonds abzulehnen – auch weil das Gesetz im Schweinsgalopp daherkommt?

Ohoven: Ja, wir haben ein ganz klares Votum: Wir sagen nein zur finanzpolitischen Entmachtung unseres Parlaments, und das Haushaltsrecht des Bundestags darf nicht unterlaufen werden. Und wir sagen ganz klar nein zum ungezügelten Schuldenmachen, ja zu einer starken solidarischen Eurozone und (…) (Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich) klar sagen, unsere Positionsbestimmung: Der Mittelstand steht klar zum Euro, ohne Wenn und Aber, unsere Sommerumfrage zeigt eine Zustimmung von rund 90 Prozent der Unternehmer. Wir lehnen allerdings genauso klar sowohl die Instrumente als auch den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg zur Eurorettung ab, und wenn schon Eurobonds, dann muss zumindest die Haftung begrenzt werden, und dazu haben wir ein Modell entwickelt. Es gibt aus Sicht der Wirtschaft keine Alternative zum Euro, und zwar aus zwei Gründen: Im Wettbewerb mit China und anderen Wachstumsmärkten kann nur eine starke Eurozone bestehen. Und der zweite Grund ist, um es deutlich zu sagen: Deutschland und nicht nur unsere Exportindustrie hat bisher in erheblichem Maße vom Euro profitiert. Und auf der anderen Seite wäre aber der Euro ohne den deutschen Sicherungsbeitrag schon heute tot. Man muss sich einfach mal die Größenordnung vor Augen halten, über die wir hier reden. Stand heute soll Deutschland, also auf gut deutsch der Steuerzahler, für knapp 400 Milliarden Euro bürgen, und der EFSF hat ein Volumen von round about 780 Milliarden Euro.

Wuttke: Das sind 210 für die deutsche Seite.

Ohoven: Ja, und ab 2013 soll der EFSF ja dann noch vom ESM abgelöst werden, der noch mal rund 700 Milliarden Euro umfassen wird. Und nun ist die Konstruktion ja so, dass eigentlich die Mittel, die beim EFSF nicht in Anspruch genommen werden, auf den ESM übertragen werden. Aber im Umkehrschluss – und ich fürchte, genauso wird es kommen – heißt das: Wird der EFSF in voller Höhe gebraucht, dann müssen Deutschland, Frankreich und so weiter noch einmal hunderte von Milliarden Euro in den Topf tun.

Wuttke: Nun, Herr Ohoven, die Eurobonds, die sind ja erst mal noch Zukunftsmusik, aber so, wie Sie sich und Ihren Verband jetzt hier aufstellen, stellt sich wiederum für mich die Frage, ob Sie zumindest Bundesarbeitsministerin von der Leyen mit Ihren Vorschlägen folgen, dass Deutschland sich bei der Unterstützung zumindest stärker absichern muss.

Ohoven: Da unterstützen wir sie voll. Mir ist natürlich klar, warum die Bundesregierung so und nicht anders agiert: Zum einen ist die schwarz-gelbe Mehrheit im Parlament mehr als unsicher, zum anderen könnte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zum ersten Griechenlandpaket Frau Merkel ausbremsen. Und wir müssen ganz klar sagen: Wir haben ein Papier, und dieses Papier ... Alle Euroländer emittieren gemeinsam eine Anleihe, und das ist der springende Punkt: Jedes Land haftet nur für seinen Anteil am Gesamtvolumen der Anleihe. Das hat ganz entscheidende Vorteile: Die Finanzierung aller Euroländer ist gesichert, und zwar ohne eine Haftungsunion zu schaffen. Die Kosten – ich schätze das auf rund 23 Milliarden Euro für Deutschland über zehn Jahre – lassen sich heute schon budgetieren. Es gibt eben keinen Schuldenfreibrief zulasten unserer Kinder und Enkel, und Sparsamkeit wird belohnt. Das Risiko dieses Landes sinkt.

Wuttke: Das heißt also, wenn es keine gemeinsame Haftung gibt – das schlagen Sie vor –, dann würden Sie auch sagen, vereinigte Staaten von Europa, das wollen wir nicht?

Ohoven: Ja, genau das, und alle Euroländer emittieren gemeinsam eine Anleihe, da muss ich mal sagen, das ist ein Modell, ich nenne es mal Eurobonds mit begrenzter Haftung, weil jedes Land nur für seinen Anteil am Gesamtvolumen der Anleihe haftet. Und wir sagen ja zu einer starken solidarischen Eurozone. Lassen Sie mich das deutlich sagen: Wenn die Bundesregierung ihren Eurokurs nicht ändert, müssen auch wir notfalls die Karlsruher Karte ausspielen.

Wuttke: Wir werden abwarten, wie es sich denn nun tatsächlich verhalten wird, aber eine Frage habe ich noch an Sie, weil Ursula von der Leyen kam ja mit ihren durchaus ressortfremden Vorschlägen wie Kai aus der Kiste: Wo ordnen Sie das ein? Sie haben ja schon gesagt, die Mehrheit für Angela Merkel in der Bundestagsabstimmung am 29. September, das wissen wir alle, ist wackelig. Glauben Sie, die Kanzlerin hat ihre Vertraute vorgeschickt, oder läuft sich die Arbeitsministerin für eine Kanzlerkandidatur warm?

Ohoven: Ich glaube, dass Frau Merkel und Frau von der Leyen sich sehr, sehr gut verstehen, und wir müssen ganz, ganz klar sagen: Die geplante Eurobonds-Lösung liefe darauf hinaus, dass die Schulden der Krisenländer praktisch vergemeinschaftet werden. Anders gesagt: Das ist nichts anderes als der Freibrief dieser Länder zum Schuldenmachen. Und wir haben jetzt, heute schon, de facto eine Transferunion im Euroland, und dazu käme dann noch die Haftungsgemeinschaft. Also am Ende stünde über kurz oder lang eine Finanzregierung in Brüssel, aber diese Art Zentralismus in Europa lehnen wir ab.

Wuttke: Herr Ohoven, Sie haben gesagt, wenn es denn ganz schlimm kommt, dann würden Sie auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen. Das wiederum ist dafür bekannt, weil es viel zu tun hat, dass auf einige Dinge länger gewartet werden muss. Ist das vor allen Dingen ein Zeichen, das Sie setzen wollen, oder glauben Sie wirklich, den Lauf der Dinge noch aufhalten zu können?

Ohoven: Wir wollen da ein Zeichen setzen und wir wollen natürlich alles versuchen, das auch mit anderen Verbänden aufzuhalten, denn das, was da auf Deutschland, auf den deutschen Steuerzahler zukommen würde, wäre – um das mal ganz klar zu sagen – äußerst gefährlich für unser Land.

Wuttke: Deutschland und die Eurorettung, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft Mario Ohoven. Herr Ohoven, besten Dank und schönen Tag!

Ohoven: Herzlichen Dank Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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