Nordafrika

Sterben für den Dschihad

Von Alexander Göbel · 27.02.2014
Viele junge Männer aus Tunesiens Elendsvierteln sehen in ihrer Heimat keine Zukunft. Sie riskieren ihr Leben, um auf morschen Booten nach Europa zu gelangen - oder sie lassen sich als Söldner für den Krieg in Syrien anwerben.
Auf der Avenue Bourguiba in Tunis demonstrieren Anhänger von Syriens Präsident Assad. Sie schwenken syrische Fahnen, halten riesige Poster des Staatschefs in den blauen Himmel, rufen: "Es lebe Syrien, es lebe Assad!".
Etwas abseits, auf der anderen Straßenseite, steht Ikbel Ben Rjeb. Auch er demonstriert - er trauert -, alleine, still, mit einem großen Pappschild: darauf eine Karte von Nordafrika und dem Nahen Osten, ein dicker roter Pfeil weist von Tunesien hinüber nach Syrien. Unter der Karte klebt ein Foto - es zeigt einen jungen Mann in einer Moschee: kahlgeschorener Kopf, langer schwarzer Bart, blütenweißes Gewand, verhalten lächelt er in die Kamera. Es ist Hamza, Ikbels Bruder, 24 Jahre alt. Wegen einer seltenen Muskelkrankheit sitzt Hamza seit Jahren im Rollstuhl. Seit ein paar Tagen ist er verschwunden. Er sei dem roten Pfeil gefolgt, sagt Ikbel.
"Nach der Revolution wurde mein Bruder sehr still, er zog sich immer mehr zurück - ich weiß auch nicht, was mit ihm passiert ist. Ich weiß nur, dass er auf einmal viel Zeit mit diesen Leuten verbracht hat."
"Sie haben meinen Bruder vom Dschihad vorgeschwärmt, vom Kampf des 'wahren Islam'. Nur - wenn sie ihn doch eigentlich in den Tod schicken wollten - von was für einem Islam reden die da überhaupt?"
Ikbel fürchtet, dass Hamza sich in der Moschee radikalisiert hat. Bärtige Männer hätten ihn eines Tages mitgenommen. Einmal habe Hamza noch angerufen und gesagt, ab sofort werde auf den Spuren der Märtyrer wandeln. Hamza studiere Informatik, erzählt Ikbel, und die Männer hätten ihm versprochen, er könne trotz seiner Behinderung etwas Besonderes werden und in den Heiligen Krieg ziehen: als Logistike für den "jihad informatique" in Syrien.
Wenn es stimmt, was tunesische Medien berichten, dann machen sich jede Woche Duzende auf nach Syrien. Viele kommen nicht mehr zurück.
Mörderischer Krieg
Alltag in Syrien - Assads brutales Regime und die aufständischen Rebellen liefern sich einen mörderischen Krieg. Einen Krieg, der unzählige Menschenleben fordert und das Terrornetzwerk Al Kaida stärkt. Für Al-Nusra, den syrischen Arm von Al Kaida, sollen derzeit 15.000 Mujaheddin kämpfen - ein Drittel davon sollen ausländische Dschihadisten sein, auch aus Marokko und Tunesien. Faysal Cherif, Historiker und Terrorexperte an der Universität Manouba in Tunis:
"Syrien kann wegen des Kriegs seine Grenzen nicht mehr richtig kontrollieren - wer aus der Türkei nach Syrien will, kann mehr oder weniger problemlos einreisen. Und theoretisch auch unbemerkt wieder raus - denn im Pass wird dann natürlich kein Visastempel aus Syrien drin sein."
In Syrien sei die Al-Kaida-Filiale Al-Nusra inzwischen die führende Kraft unter den Assad-Gegnern. So Faysal Cherif - die überwältigende Mehrheit der Rebellen kämpfe offenbar längst nicht mehr für Demokratie. Selbst weite Teile der angeblich gemäßigten "Freien Syrischen Armee" wollten ein "islamisches Kalifat". Eine Diktatur religiöser Fanatiker. Ein Echo findet dieser Fanatismus auch in Tunesien - um junge Männer zu rekrutieren.
Man hämmere ihnen ein, immer und immer wieder, sie seien zur Solidarität verpflichtet - dabei würden sie als Kanonenfutter verheizt. Dass Tunesiens radikale Islamisten von den Golfstaaten unterstützt würden, sei ein offenes Geheimnis.
"Ganz klar: Katar hilft den Dschihadisten, Katar gibt besonders viel Geld. Dazu kommen reiche Geschäftsleute aus Syrien und Saudi-Arabien, dort sind die Wahhabiten besonders radikal."
In Tunesien steht die Apfelernte kurz bevor, Adelhafidh Ghozlani und seine Familie fahren hinaus aufs Land, zu ihrer Obstplantage. Früher hat ihnen ihr ältester Sohn Malik geholfen, doch der ist seit Monaten verschwunden - er kämpft nun in Syrien. Der Vater ist verzweifelt und hat keine Kraft, seine Frau zu trösten.
Heiliger Krieg gegen Assad
"Ich habe keine Freude mehr am Leben, für mich macht das alles keinen Sinn mehr."
Große Pläne hatte Malik gehabt, der älteste Sohn der Familie: Als ausgebildeter Ingenieur wollte er nach Kanada auswandern. Seine Mutter war sehr stolz auf ihn. Doch dann veränderte sich der 26-Jährige binnen kürzester Zeit.
"In nur zwei Monaten wurde aus Malik ein ganz anderer Mensch. Früher hat ihm die Religion nicht viel bedeutet, doch nun ging er ständig in diese Moschee. Dort ist er wohl indoktriniert worden. Es war schrecklich. Er hat uns angerufen und gesagt: Ich mache jetzt beim Dschihad mit, beim heiligen Krieg gegen Assad - ich möchte als Märtyrer sterben."
Vater Adelhafidh verspürt ohnmächtige Wut - Wut auf Politiker, Islamisten, Terroristen, die in Syrien alle ihre Interessen verfolgen. Seinen Sohn Malik sieht er als Opfer. Doch sein zweiter Sohn Bilal widerspricht: Malik wisse genau, was er tue. Dann gehst Du wohl auch, fragt der Vater. - Ja, warum eigentlich nicht, antwortet der Sohn.