"No-Spy-Abkommen wäre ein guter Anfang"

Georg Mascolo im Gespräch mit André Hatting · 25.10.2013
Ein Abkommen zwischen den USA und den europäischen Ländern darüber, sich gegenseitig nicht auszuspähen, hält der Harvard-Gastforscher Georg Mascolo für sinnvoll. Hier könnten auch Ausnahmen wie die Terrorismusbekämpfung verbindlich geregelt sein.
André Hatting: So, jetzt reicht's! Die Bundeskanzlerin ist richtig sauer! Abhören unter Freunden, das gehe gar nicht! Merkel hat sich persönlich beim US-Präsidenten beschwert, der amerikanische Botschafter wurde in das Außenministerium bestellt, die Bundesanwaltschaft eingeschaltet und auch auf dem EU-Gipfel ist der Wissensdurst der NSA jetzt Topthema. Ein neues Spionageabkommen soll her, am besten noch in diesem Jahr. Aber kann das den enormen Vertrauensverlust ausgleichen? Darüber habe ich mit Georg Mascolo gesprochen, der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur ist zurzeit Gastdozent in Harvard und hat zu den Lehren aus den Snowden-Veröffentlichungen gerade in einer Studie Vorschläge gemacht. Hat der aktuelle Handy-Skandal diese Vorschläge jetzt eingeholt?

Georg Mascolo: Ich hoffe, dass der Handy-Skandal jetzt klargemacht hat, welche Dringlichkeit in dieser Angelegenheit entstanden ist. Wir haben ja eine lange Phase erlebt, in der das Handeln der Bundesregierung, aber auch vieler anderer Regierungen, sagen wir mal, so lauwarm gewesen ist. Es hat wenig Bereitschaft gegeben, sich der grundlegenden Probleme anzunehmen. Und das grundlegende Problem ist relativ einfach: Wir sind in einer Welt globaler Kommunikation, heute bei allem, was wir tun, was wir verschicken, senden, was immer wir dem Netz anvertrauen oder dem Telefon, eher Ausländer als Inländer. Und es gibt keinen globalen Schutzstandard für Kommunikation, nicht einmal unter befreundeten Nationen. Das muss dringend verändert werden und hoffentlich hat es jetzt die Dringlichkeit, die dieses Thema haben muss.

Hatting: Einer, der an der Cyber-Strategie von Präsident Obama mitgearbeitet hat, meinte in der BBC, das sei wahnsinnig naiv, diese Aufregung jetzt in Europa, und er sprach sogar von einer gespielten Aufregung. Halten Sie das für nachvollziehbar?

"Schule der Superrealisten"

Mascolo: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt diese Schule der Superrealisten, die kommt bei jeder Gelegenheit und sagt: Regt euch doch nicht auf! Spioniert wird doch immer und abgehört worden ist schon immer! Aber ich glaube, dass die den Unterschied nicht sehen. Das eine ist – und ich glaube, das ist offenkundig und für jeden verständlich –, ich kann überhaupt nicht kapieren, wieso das Weiße Haus auf die Idee kommt, wenn sich das als wahr herausstellen sollte und dafür spricht ja dann doch vieles, die Bundeskanzlerin abzuhören, weil man sich doch darüber im Klaren sein muss, dass der Schaden, der dadurch entsteht, sehr viel größer ist als der Nutzen, den man haben kann. Ich halte das, ehrlich gesagt, für Indianerspiele für Erwachsene.

Hatting: Glauben Sie, Herr Mascolo, glauben Sie, dass Präsident Obama das möglicherweise gar nicht gewusst hat, dass die NSA hier eigenmächtig gehandelt haben könnte?

Mascolo: Das ist eine der Fragen, die ich gerne beantwortet haben möchte. Ich glaube, was man sicher sagen könnte, ist, wenn in Deutschland jemand beim Bundesnachrichtendienst auf die Idee kommen würde, das Weiße Haus oder den amerikanischen Präsidenten abhören zu wollen, dann ginge das nicht, ohne dass eine solche Geschichte im Kanzleramt besprochen würde, und die Antwort würde, da bin ich sicher, Nein heißen. Über das amerikanische System wissen wir sehr wenig. Das heißt, wir wissen bis heute nicht bei ganz vielen dieser riskanten Aktionen – ich verwanze die europäischen Botschaften, ich breche ein in das Netz französischer Diplomaten, ich höre den mexikanischen Präsidenten ab und die brasilianische Präsidentin –, auf wessen Schreibtisch landet das eigentlich alles, in wessen Auftrag geschieht das? Was wir wissen, ist, dass Geheimdienste in Amerika einen ganz anderen Stellenwert haben als in Deutschland. Der amerikanische Präsident beginnt jeden Arbeitstag mit einem Briefing der Geheimdienste, bestimmte Informationen sind nur für ihn da. Das heißt, ich würde sagen, ich kann nicht ausschließen, ob die Perlen solcher Abhöroperationen tatsächlich morgens im Oval Office auf seinen Schreibtisch kommen.

Hatting: Herr Mascolo, jetzt sollen ja Frankreichs Präsident Hollande und die Bundeskanzlerin eine gemeinsame Strategie entwickeln, wie man jetzt mit den USA umgeht. Wie kann man denn Vertrauen wiederherstellen, was sollten die beiden tun?

Mascolo fordert Mindestschutzstandard für alle Daten

Mascolo: Ich glaube, dass das Problem auf vielen Ebenen besteht. Das eine Problem ist das der klassischen Spionage, von dem ich glaube, dass es sich zwischen verbündeten Staaten nicht gehört. Ich nenne mal als Erstes die Europäische Union und Amerika oder, sagen wir mal, die NATO-Mitglieder. Wenn man sich darauf verständigt, im Ernstfall sogar gemeinsam in den Krieg zu gehen, dann, glaube ich, ist es ein absoluter Anachronismus, sich gegenseitig auszuspionieren. Ich glaube, das kann man schnell beenden. Die größere Frage besteht allerdings darin, wie schützt man die Daten seiner Bürger. Klassische Spionage hat es immer gegeben, das drängendere Problem, ich sage es noch einmal, besteht darin, dass die Daten von uns allen, die heute im Netz, in der Kommunikation unterwegs sind, die müssen einen gewissen Mindestschutzstandard haben. Und ich bin der Überzeugung, dass Europa und Amerika den Anfang machen müssen, einen eben solchen Schutzstandard für Daten zu verhandeln.

Hatting: Mit einem No-Spy-Abkommen zum Beispiel?

"Postamt der Welt"

Mascolo: Ja, ein No-Spy-Abkommen wäre ein guter Anfang und ein No-Spy-Abkommen würde beispielsweise beinhalten, solchen Unsinn wie das Abhören von Telefonen, von Regierungsmitgliedern zu unterlassen. Es würde aber gleichzeitig bedeuten, dass in Zukunft beispielsweise die Daten von deutschen Franzosen oder Italienern, also von allen Europäern von den Amerikanern nur noch dann erfasst werden dürfen, wenn es zu Zwecken ist, auf die man sich vorher verständigt hat, beispielsweise die Terrorismusbekämpfung. Wir lernen ja jetzt gerade, dass die Amerikaner ganz offensichtlich eine Fülle von Interessen haben und die Daten wofür auch immer verwenden. Das kann nicht richtig sein. Amerika hat sich aufgrund seiner Internetpräsenz zum Postamt der Welt entwickelt, und den gleichen Ehrgeiz, den Apple und Google haben, den hat die NSA, wenn es um die Überwachung des Netzes geht. Das ist ein Zustand, von dem wir uns alle nur wünschen können, dass er möglichst schnell beendet wird und auf ein Maß zurückgeführt wird, das die Bürgerrechte schützt und gleichzeitig ein weiteres Bürgerrecht, nämlich das auch Sicherheit gewährleistet. Aber diese Dinge sind aus den Fugen geraten.

Hatting: Ja, also vielleicht wieder dazu kommen, dass man nur bei konkreten Verdachtsmomenten Daten erhebt, und nicht einfach wahllos. Herr Mascolo, sollte man das Freihandelsabkommen mit den USA, was da gerade diskutiert wird, sollte man das als Hebel nutzen oder sollte man hier ähnliche Sanktionen ergreifen, wie das EU-Parlament das ja jetzt mit dem Bankenabkommen plant?

Mascolo: Also, ich vertrete schon seit langer Zeit in der Sache die Position, dass ich glaube, dass man das von dem Freihandelsabkommen gar nicht wird trennen können. Das Freihandelsabkommen, selbst wenn es einmal verhandelt ist, muss hinterher durch 28 Parlamente plus das Europaparlament. Im Freihandelsabkommen wird es an 100 Stellen um die Frage gemeinsamer Werte und Vertrauen gehen. Wenn gemeinsame Werte und Vertrauen so schwer beschädigt werden wie jetzt durch die NSA-Affäre, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass das Freihandelsabkommen das unbeschadet überstehen kann. Abgesehen davon, dass es in diesem Abkommen an vielen Stellen ja beispielsweise auch um Regelungen des Datenschutzes geht. Insofern würde ich dafür plädieren, diese Fragen liegen auf dem Tisch, verhandeln wir sie doch im Rahmen des Freihandelsabkommens oder meinetwegen parallel zum Freihandelsabkommen mit! Zu glauben, dass man diese Dinge jetzt verschieben könnte und dass das Weiße Haus das dadurch erledigt, dass sie sagen, lasst uns mal erst Freihandelsabkommen machen und dann reden wir über den Rest, ich glaube, dafür ist das Ausmaß dieser Affäre zu groß, als dass das so noch funktionieren wird.

Hatting: Einschätzungen von Georg Mascolo, der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur ist derzeit Gastdozent an der Harvard-Universität und hat gerade eine Studie über Snowdens Enthüllungen, die NSA und deren Folgen veröffentlicht. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mascolo!

Mascolo: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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