No-Go-Areas in Berlin?

Wie aus Vorurteilen falsche Aussagen entstehen

Passanten gehen in Berlin auf der Hermannstraße.
Passanten in der Hermannstraße in Berlin-Neukölln © dpa/ picture-alliance/ Sören Stache
Von Frederik Rother · 06.06.2016
Ist der Berliner Bezirk Neukölln bereits zur No-Go-Area geworden? Georg Pazderski von der AfD sieht dort rechtsfreie Räume, Kriminologen halten dagegen. So gebe es etwa bei Raubdelikten sinkende Zahlen, auf Platz eins liege vielmehr der Bezirk Mitte.
Georg Pazderski, seit einigen Monaten Berliner AfD-Vorsitzender, ist pünktlich. 11 Uhr. Treffpunkt: die S-Bahn Station "Sonnenallee" in Berlin-Neukölln. Der ehemalige Bundeswehr-Oberst ist adrett gekleidet, mit blauem Sakko und weißem Hemd.
Wir laufen gemeinsam die Sonnenallee hoch. Richtung Hermannplatz, dem Zentrum Neuköllns. Unser Thema: No-Go-Areas.
"Was macht für Sie eine No-Go-Area aus?" – "Eine No-Go-Area macht für mich aus, wenn ich zu bestimmten Zeiten nicht mehr durchgehen kann und damit rechnen muss, dass ich möglicherweise überfallen werde, dass mir Gewalt angetan wird, dass ich als Opfer einer Gewalttat werde. Und diese Bereiche gibt’s in Neukölln."
Die Sonnenallee ist die zentrale Straße Neuköllns.
"Es gibt arabische Bäckereien, es gibt Sportwetten-Geschäfte, Friseure, ansonsten auch viele kleinere Geschäfte…"

Georg Pazderski: Die Integration ist nicht gelungen

Und mittendrin gibt es: No-Go-Areas, wie Georg Pazderski meint. Selbst seine erwachsene Tochter habe Angst, wenn sie abends S-Bahn fahre und einer Gruppe Jugendlicher begegne. Und tatsächlich: So geht es vielen Menschen hier in Neukölln. Sicherheit ist ein großes Thema. Der Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt, mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Hartz IV-Beziehern.
Das ist für Pazderski ein Grund für die vermeintlich rechtsfreien Räume. Er sieht aber auch noch ganz andere Zusammenhänge:
"Dass 80 Prozent der jugendlichen Straftäter einen Migrationshintergrund haben. Das zeigt mir, dass offensichtlich die Integration nicht gelungen ist."
Jugendliche mit Migrationshintergrund, kriminelle arabische Clans, eine personell geschwächte Polizei und die Justiz, die nicht hart genug durchgreift und junge Täter lieber laufen lässt als sie zu bestrafen. Die Ursachen für No-Go-Areas sind für den AfD-Politiker Pazderski klar.

Die konträre Sicht der Kriminologin Kirstin Drenkhahn

"Ja?" – "Ja hallo, hier ist Frederik Rother vom Deutschlandradio." –
Ich treffe Kirstin Drenkhahn.
"Ja, ich komme hoch, danke!" (Türsummer..).
Sie ist Professorin an der Freien Universität Berlin für Strafrecht und Kriminologie. Sie forscht zum Jugendstrafvollzug und sieht Pazderskis Aussage, dass 80 Prozent der jugendlichen Straftäter in Neukölln einen Migrationshintergrund hätten, kritisch.
"Man kann diese Daten so aus der polizeilichen Kriminalstatistik nicht entnehmen. Wissenschaftlich untersuchen kann man das…"
Um solche Aussagen treffen zu können, müsse man etwa über einen längeren Zeitraum die Ermittlungsakten eines bestimmten Polizeiabschnitts analysieren, erzählt Drenkhahn. Das sei sehr aufwendig und werde in Deutschland nicht gemacht.
Auch müsse erst mal geklärt werden, welche Menschen genau mit Migrationshintergrund gemeint seien. Und für das Strafverfahren sei ohnehin kaum relevant, woher jemand käme.
"Ich denke darüber nach, was die Aussage, ‘80 Prozent haben einen Migrationshintergrund‘ eigentlich bedeutet. Ich finde, dass das wahrscheinlich ganz viele sind. Man kann das einfach nicht ordentlich mit Zahlen belegen. Typischerweise soll eben die Verwendung von Prozentwerten oder von konkreten Zahlen so ‘ne Genauigkeit suggerieren."
Letztlich seien es wohl die subjektive Wahrnehmung und Vorurteile, die solche Aussagen beeinflussen, meint die Kriminologin Drenkhahn.

Der Sprecher der Berliner Polizei verneint No-go-Areas

"Ich sitze jetzt im altehrwürdigen Berliner Polizeipräsidium, untergebracht direkt neben dem ehemaligen Flughafen Tempelhof und warte jetzt hier auf Thomas Neuendorf, Sprecher der Berliner Polizei."
"Es gibt weder in Neukölln noch sonst wo in Berlin sogenannte No-Go-Areas. Klar, das will ich gar nicht verschweigen, es gibt Ecken, wo häufiger eingebrochen, gestohlen wird. Aber wenn man sich zum Beispiel den Bereich der Raubdelikte anschaut, so verzeichnen wir dazu, in Berlin und auch in Neukölln, seit Jahren Rückgänge."
Hinzu kommt, dass bei Jugendlichen die Kriminalitätsrate generell oft höher sei. Und in Neukölln hat ein Viertel der Bevölkerung keinen deutschen Pass. Somit seien eben – proportional zur Bevölkerung – viele Tatverdächtige Ausländer, erklärt Neuendorf.
Die klassische No-Go-Area, in die sich weder Polizei noch Menschen so richtig trauen, scheint es in Berlin nicht zu geben. Fakt ist aber auch: es gibt Probleme mit Raub, Diebstahl und Körperverletzung. Vor einigen Jahren war der Bezirk Neukölln auf Platz vier der Berliner Bezirke mit den meisten Straftaten. Auf Platz eins lag – Mitte.
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