"Niemand hinterfragt das"

25.06.2008
Der Sprecher des Ausschusses für Friedenserziehung der Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Hartmut Ring, hat die Sammlung des Stifters Peter Tamm im neu eröffneten Internationalen Maritimen Museum Hamburg kritisiert. Tamms Blick auf die Geschichte sei höchst einseitig, sagte der Historiker.
Stefan Karkowski: Stellen Sie sich einen neogotischen alten Hafenspeicher vor, neun Etagen hoch, gefüllt mit Schiffen, 36.000 Schiffsmodelle, Wrackteile, allerlei Maritimes, 5000 Gemälde, zahlreiche Dokumente der Marinegeschichte – die Sammlung Peter Tamm, heute wurde sie von Bundespräsident Köhler eröffnet als Internationales Maritimes Museum Hamburg. Einer, der dagegen gekämpft und verloren hat, ist der Historiker Hartmut Ring von der Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, er ist Geschichtslehrer. Guten Tag, Herr Ring.

Hartmut Ring: Guten Tag.

Karkowski: Peter Tamm, 80 Jahre alt, hochgeachtetes Mitglied der Gesellschaft, angesehener Ex-Vorstandschef des Springer-Verlages, Sammler und Stifter. Sie mögen den Mann nicht.

Ring: Ich habe überhaupt nichts gegen ihn persönlich, aber Herr Tamm ist eben eine öffentliche Person, und da muss er sich natürlich kritische Fragen gefallen lassen. Also persönlich – auf dieses Niveau lasse ich mich nicht herab.

Karkowski: Tamm stellt sein Lebenswerk der Öffentlichkeit zur Verfügung kostenlos und bekommt im Gegenzug dafür von der Stadt Hamburg kostenlos einen Museumsbau gestellt. Was hat Sie daran gestört?

Ring: Erst einmal die Tatsache, dass hier ein Privatsammler, und zwar nicht irgendein Privatsammler, sondern Herr Tamm, seine Privatsammlung der Öffentlichkeit mit seinem Blick auf die Geschichte zur Verfügung stellen kann. Das heißt also, er hat eine bestimmte Interpretation von Geschichte, und da habe ich meine Probleme mit.

Karkowski: Welche Interpretation ist das Ihrer Meinung nach?

Ring: Die Interpretation, die Herr Tamm hat, ist die Geschichte ist ein einziger Kampf beispielsweise und Kampf ist von Natur aus gegeben. Er stellt sozusagen Krieg in eine Reihe mit Naturgewalten. Das ist allerdings eine Privatinterpretation von ihm und hat eigentlich mit dem wissenschaftlichen Anspruch, den ein Museum haben sollte, nichts zu tun.

Karkowski: Wir können Peter Tamm uns mal persönlich anhören hier:

""An Bord gilt etwas, was an Land verloren gegangen ist, nämlich das Wir-Gefühl. Mittlerweile leben wir ja in einer Zeit des totalen Egoismus, jeder Satz fängt mit ich an. Ich bin in meiner Jugend groß geworden, da war Wir das Wort, welches – und das gilt auf See immer. Dann gibt es eben welche, die sind feige, die kneifen, die fahren gar nicht erst hin, und dann gibt es andere, die wollen es wissen, die wollen sich auch messen. Und insofern ist die Seefahrt eine grandiose Auslese für Menschen überhaupt, egal was sie später werden. Kamp ist nun mal die Basis der Natur."

Sind das die Worte, die Sie an Peter Tamm stören?

Ring: Ja, mich stört einiges daran. Einmal das, was er sagt, dahinter verbirgt sich natürlich auch eine freche Lüge, finde ich. Die Lüge besteht darin, dass auf dem Schiff einer das Sagen hat, und das ist der Kapitän. Und genau mit diesem Bild geht Herr Tamm hausieren. Er hat also mehrfach schon vorgeschlagen, dass man diesen Staat, also die Bundesrepublik Deutschland, einen demokratischen Staat nach dem Vorbild eines Schiffes organisieren sollte. Da gibt es eben oben einen, der bestimmt, und da unten wird nicht viel herumgemeckert und alles geht nach dem Können. Aber wir sind noch nicht so weit, kommt dann immer hinterher. Und die Hamburger Schickeria klatscht dem Beifall. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass so einer ein Vorbild für die Jugend sein könnte.

Karkowski: Ich habe den Eindruck, Sie mögen den Mann nicht.

Ring: Ich sage, als öffentliche Person ist er mir zuwider, weil das jemand ist, der überhaupt keinen Gedanken an Demokratie verschwendet, der sozialdarwinistische Ideen in die Welt setzt und das jetzt auch noch öffentlich mit seinem Museum tun darf. Und da bin ich echt dagegen.

Karkowski: Können Sie denn noch unterscheiden die Kritik an der Person Tamms und seiner Begeisterung für das Konservative, für die Seefahrt für Militaria von der Kritik an der Konzeption dieses Museums?

Ring: Na ja, Tamm selber kann diesen Unterschied nicht herstellen. Das wäre ja noch in Ordnung. Er kann ja privat seine Sammelleidenschaft von mir aus auch ausleben. Da habe ich überhaupt nichts dagegen. In dem Moment, wo er das aber öffentlich macht, steht er natürlich auch unter öffentlicher Kritik und Beobachtung. Und das ist der Unterschied, und den kann Herr Tamm leider nicht machen. Ich mache ihn ja.

Karkowski: Nun hat Peter Tamm seine Sammelstücke bislang ja in seinem privaten Institut ausgestellt. Welche Dinge haben Sie dort denn gesehen, die Sie nicht gerne in diesem öffentlichen Maritime Museum finden möchten?

Ring: Na ja, so ganz privat war ja seine Sammlung nicht. Man musste sich zwar vorher anmelden, aber jeder konnte sie sehen, der sie sehen wollte. Und insofern war sie auch halböffentlich. Das ist in dem Museum natürlich anders. Es ist erstmal die Einseitigkeit seiner Sammlung. Die Einseitigkeit besteht vor allen Dingen in Militaria, die ohne größeren Kontext dargestellt werden, also nicht eingeordnet werden. Und es ist natürlich ein Privatsammler unbenommen, der kann natürlich sammeln, was er subjektiv am tollsten findet. Die Frage ist nur, warum gibt jetzt zum Beispiel Herr Tamm der Handwaffe vor dem durchschossenen Schädel den Vorzug oder dem Orden eines Marineoffiziers vor der Todesanzeige des umgebrachten Gegners? Also die andere Seite, die Opferseite, oder die Seite, die sozusagen die Schiffe, zum Beispiel auch die zivilen, hergestellt hat, sei es, dass da Streiks nicht auftauchen, sei es, dass Sklavenarbeiter nur erwähnt werden und nicht in einen Zusammenhang gestellt werden, diese Seite fehlt vollständig. Und Tamms Sicht auf die Geschichte ist eine höchst einseitige. Seine private Sicht wird zu einer öffentlichen Sicht. Und das kann nicht angehen.

Karkowski: Sie und andere haben dann auch kritisiert, dass Sie befürchten, in dem Museum könnten zu viele Militaria aus der Zeit des Nationalsozialismus ausgestellt werden, beispielsweise der immer wieder erwähnte Admiralstab des Hitler-Nachfolgers Dönitz.

Ring: Ja, nicht nur von Dönitz, sonder auch Raeder, der als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Es sind diese Stäbe da, das habe ich mir bestätigen lassen von Kolleginnen und Kollegen, die da drin waren. Und auch da, was wir befürchtet haben, es gibt keinen Kommentar. Und ich finde, solche Stäbe gehören überhaupt nicht in ein Museum. Das sind …, die in einer Weise präsentiert werden, die den Zusammenhang völlig vergessen macht. Und das ist genau der Punkt, den wir kritisieren.

Karkowski: Herr Ring, es ging da ja auch um den, wie Sie vermutet haben, leichtfertigen Umgang der Hansestadt mit dieser Sammlung. Es gibt angeblich keine Auflagen, Peter Tamm darf da ausstellen, was er will. Welchen Grund vermuten Sie dahinter?

Ring: Na ja, das hat mehrere Gründe. Das hat auch eine Geschichte. Also erstens mal ist Tamm ein Prominenter in Hamburg, man könnte sagen, eine unantastbare Person. Er wird weder politisch kritisiert, noch von seiner Privatmeinung her. Alle zollen ihm Beifall. Und ich habe immer gesagt, es ist wie so die Geschichte von ‚Des Kaisers neue Kleider’. Alle spenden Beifall und niemand hinterfragt das. Die Sache ist die, dass sich angeblich viele, die mit dem Museum positive Gedanken verbinden, seine Sammlung gesehen haben und nichts dabei gefunden haben. Als ich selbst in dieser Sammlung war, war ich ziemlich erschrocken, nicht nur von der Massivität der dort dargestellten Exponate, sondern auch von der Art von Geschichtsbild, was uns da entgegenschlug. Und das scheint ja im neuen Museum ähnlich zu sein, nur dass es eben auf größerer Fläche verteilt ist. Und daran hat niemand Kritik geübt. Das heißt also, es war von vornherein klar, diese tolle Privatsammlung, die muss öffentlich gezeigt werden ohne irgendwelche konzeptionellen Auflagen oder so etwas, hat es nie gegeben.

Karkowski: Nun hat es ja in der Initiative gegen das Museumskonzept eine Liste von Vorschlägen gegeben, wie man pädagogisch gerade junge Besucher an bestimmte Themen heranführen könnte. Sind Sie denn da mit der Stiftung im Gespräch? Das lässt sich doch sicherlich im Nachhinein noch beheben.

Ring: Wir haben viele Veranstaltungen besucht, die diese Stiftung auch aufgrund des öffentlichen Protestes, den wir organisiert hatten, durchgeführt haben. Und immer wieder wurde uns versprochen auch in einer Sitzung des Kulturausschusses im Rathaus, dass da museumspädagogische Begleittexte und dass das alles im Zusammenhang gezeigt würde. Und davon ist leider nichts wahr geworden. Der letzte Ausstellungsmacher, der im Streit mit Herrn Tamm von ihm geschieden ist, der musste dann also 125.000 Euro Schadensersatz von ihm bekommen. Und der Grund, warum er da ausgeschieden ist, war aus der Sicht des Architekten, dass es keine Konzeption gäbe, keine jedenfalls, die er umsetzen könnte. Und Herr Tamm ist unserer Ansicht nach ziemlich beratungsresistent. Er liest weder die Kritik, noch nimmt er sie überhaupt wahr. Und das Gleiche gilt leider ja auch für die Kultursenatorin Frau von Welk, es gilt für einen Großteil der Journalisten, die diese Kritik nicht aufnehmen. Also Sie sind eine löbliche Ausnahme im Meer der unkritischen Journalisten. Und Herr Tamm selber ist jeglicher Kritik nicht zugänglich. Er versteht sie auch nicht.
Karkowski: Würden Sie denn mit Ihren Schülern in dieses Museum gehen? Sie wären ja dann der Begleiter, der ihnen alles gerade rücken könnte sozusagen, wenn Sie sagen, das Geschichtsbild dort wird falsch dargestellt.

Ring: Na klar. Also ich bin ja nicht derjenige, der sich vor das Museum legt und zu verhindern sucht, dass da Leute reingehen, auf keinen Fall. Wir haben natürlich vor, so ein Museum zu besuchen, und es bedeutet natürlich eine riesige Anstrengung, so ein Museum kommentierend zu besuchen. Das ist auch für Kinder natürlich häufig eine Überforderung, weil das einfach riesig groß ist. Aber sicher würde ich das machen. Also wir würden zum Beispiel auch eine alternative Museumsführung anbieten, die noch konzipiert werden muss. Aber ich möchte wetten, das Herr Tamm die zu verhindern versucht.

Karkowski: Auch der Schauspieler Rolf Becker war ja ursprünglich ein scharfer Gegner des Museumskonzeptes, er hat sich dann vor Ort überzeugen lassen und sagt heute in einem Zeitungsgespräch, das Museum gehöre zu den weltweit bedeutendsten seiner Art. Ist womöglich doch nicht alles so schlimm, wie Sie befürchtet hatten. Sie waren ja im Museum selbst noch nicht drin.

Ring: Ne, aber auch was Herr Becker, wir haben mit ihm später ein Gespräch geführt, gesehen hat, war noch nicht einmal zehn Prozent von dem, was da jetzt aufgebaut ist. Das hat er dann auch zugegeben. Er ist vielleicht beeindruckt von den Exponaten, aber das sind ja andere auch. Ich will Herrn Becker nichts unterstellen, aber er hat auch, obwohl er zu den Künstlern und Künstlerinnen gehörte, die unser Buch den Bürgerschaftsabgeordneten gezeigt oder gegeben hat…

Karkowski: Das Buch "Tamm-Tamm".

Ring: Ja genau. Das ist ja jetzt im VSA-Verlag neu erschienen. Das hat er offensichtlich nicht gelesen, und seine Kritik geht eigentlich völlig ins Leere. Es geht nicht darum, ob etwas weltberühmt ist, sondern es geht darum, ob dieses Museum dieGeschichte so darstellt, wie sie auch im Kontext dargestellt werden müsste, also auch kritisch. Und das ist eine völlig unkritische Veranstaltung, die da stattfindet. Da ändert auch Herr Becker nichts daran.

Karkowski: Heute wurde es von Bundespräsident Köhler eröffnet, das Internationale Maritime Museum Hamburg. Das war einer, der dagegen ist, der Geschichtslehrer Hartmut Ring, engagiert in der Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.