Niederlage bei OB-Wahl in Dresden

Warum die CDU in Großstädten kein Land sieht

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Dresden: Trotz jeder Menge Schnörkel im Stadtbild hatte die CDU bei der OB-Wahl keine Chance © imago/westend61
Marcus Weinberg im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.06.2015
Auch bei der OB-Wahl in Dresden hat der CDU-Kandidat unter ferner liefen abgeschnitten. Kann die Union überhaupt Großstadt? Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg meint ja - wenn seine Partei beweglicher wird und den Spagat übt.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg glaubt auch nach der für seine Partei desaströs ausgegangen Oberbürgermeisterwahl in Dresden daran, dass die Union in Großstädten noch punkten kann. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, die CDU habe mit Ole von Beust in Hamburg 2008 rund 42 Prozent der Stimmen geholt. Erst seit 2009 erlebe die CDU massive Einbrüche in Großstädten. Seine Partei schaffe es momentan nicht, die guten Ergebnisse aus dem Bund auf OB-Wahlen zu übertragen, sagte er. Es gelinge zudem nicht, mit Kandidaten und Programmen in Großstädten zu überzeugen, räumte Weinberg ein. In Dresden hatte am Wochenende der CDU-Kandidat, Sachsens Innenminister Markus Ulbig, lediglich 15,4 Prozent der Stimmen eingeheimst. Die Union wisse nicht, ob sie in Großstädten eine moderne und liberale Stadtpartei sein oder das Konservative und Bürgerliche stärker betonen solle, um die Stammwählerschaft zu mobilisieren, so Weinberg. Es gebe in Großstädten eine Unsicherheit in seiner Partei über das "richtige Auftreten". Die Partei müsse nun erkennen, dass man einen Spagat hinbekommen müsse, forderte er. Der Erfolg in Hamburg von Ole von Beust habe darin gelegen, dass er als konservativer Bürgerlicher moderne Politikfelder der Stadtgesellschaft besetzt habe.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck:Sind die Konservativen noch eine Partei, die für Großstädterinnen wählbar ist? Das will ich jetzt von Marcus Weinberg wissen. Er sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag, war zwischen 2011 und 2015 Landesvorsitzender der Hamburger CDU und hat zusammen mit seinem Abgeordnetenkollegen Matthias Zimmer 2012 ein Papier über das CDU-Potenzial in Großstädten geschrieben. Herr Weinberg, guten Morgen!
Marcus Weinberg: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Die CDU kann nicht Großstadt, hörten wir eben im Beitrag. Ist Dresden so was wie die Spitze des Eisbergs?
Weinberg: Nein. Dresden steht jetzt am Ende sozusagen einer gewissen Zeit, wo wir in Großstädten deutlich verloren haben. Aber die Krise, dass die CDU Großstadt nicht kann, die würde ich insoweit nicht teilen, weil sie auch nachgewiesenermaßen mit Blick auf Hamburg sich widerlegen lässt. Wir haben in Hamburg 2008 noch 42 Prozent der Stimmen geholt. Also insoweit, das ist noch gar nicht so lange her.
von Billerbeck: Aber seitdem heißt der Oberbürgermeister dort, der regierende, Olaf Scholz, wenn ich mich nicht irre, und der ist von der SPD.
Weinberg: Richtig, richtig. Das ist so. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass wir vor wenigen Jahren ja noch in einigen Großstädten auch regiert haben. Ich glaube, was damit zusammenhängt, ist, dass wir seit 2009 so massive Einbrüche in Großstädten erleben. Und vergleichsweise, wenn man auf die Bundestagswahl guckt, gelingt es uns ja auch in sieben, acht der 13 größten Städte, noch vor der SPD zu liegen.
Es gelingt momentan nicht, überzeugende Kandidaten aufzutreiben
Also, was uns, glaube ich, nicht gelingt, ist momentan, dass wir zum einen diesen Erfolgsfaktor Bund und auch Merkel bei einer OB-Wahl quasi umsetzen können, das heißt also, dass wir die guten Ergebnisse bei einer Bundestagswahl nicht bei einer Oberbürgermeisterwahl umsetzen können. Und dass es natürlich uns momentan nicht gelingt, mit Kandidaten und Programmen in Großstädten zu überzeugen.
von Billerbeck: Das ist sozusagen die Diagnose. Was wäre denn die Therapie? Was sagen Sie denn, woran liegt das, dass die CDU das zwar im Großen und Ganzen schafft, aber dann doch nicht im großen Kommunalen?
Weinberg: Ich glaube, so ein Erfolgsrezept, wenn es so etwas gäbe – also jeder Fall ist einzeln zu betrachten, das gilt übrigens auch für Dresden ganz besonders, weil auch in Dresden ganz besondere Vorgaben der Mitbewerber vorlagen. Wenn man mal die drei P's nimmt, Personen, Programm und sozusagen Profil, dann muss man, glaube ich, bei diesen Dingen ansetzen.
Ich glaube, dass die Union, das habe ich auch in Hamburg gemerkt, und haben wir auch in Hamburg gemerkt, dass sie in einem Punkt diese Unsicherheit immer wieder interpretiert. Also, wir wissen nicht, wollen wir eigentlich in Großstädten jetzt eine modern-liberale Großstadtpartei sein. Dann fragen immer alle, ja, was heißt das eigentlich für die inhaltliche Ausrichtung. Und dann gibt es auch innerhalb der Union eine Bewegung, dass man sagt, na ja, wir müssen aber das Konservative, das Bürgerliche stärker betonen, unsere Stammwählerschaft mobilisieren.
Und in diesem Konflikt in Anführungszeichen, da sind wir sehr häufig in größeren Städten verhaftet, dass wir, glaube ich, drei Dinge machen müssen. Das eine ist, bei den Kandidaten müssen wir sehr darauf achten, dass sie den Großstadt, so wie einst Ole von Beust, die Großstadt und die Gesellschaft in der Großstadt interpretieren. Und beim Programm muss es uns einfach gelingen, durch Profilierung aber auch diesen Konflikt aufzulösen, wollen wir jetzt eher traditionell konservativ-bürgerlich auftreten oder eher modern-liberal. Und das ist, glaube ich, so, dass in vielen Städten innerhalb der CDU diese Unsicherheit besteht des richtigen Auftretens.
von Billerbeck: Klingt aber so ein bisschen nach der berühmten eierlegenden Wollmilchsau, was Sie da von Kandidaten für einen solchen Oberbürgermeisterposten von der CDU verlangen. Ist das nicht ... schließt sich das nicht aus, dieses einerseits die Vielfalt vertreten, das Großstädtisch-Urbane, und andererseits eben auch das Konservative, das ja auch eine bestimmte Klientel sucht?
Werteverbundenheit und großstädtische Vielfalt schließen sich nicht aus
Weinberg: Ich glaube, das schließt sich nicht aus. Aber es ist hochambitioniert, dies sozusagen zu verbinden. Denn es muss schon ein Profil erstellt werden, wo beide Linien, beide Routen sozusagen zusammenkommen. Das kann gelingen, das ist uns in Hamburg gelungen, das ist auch in Frankfurt über viele Jahre gelungen mit der Oberbürgermeisterin. Das ist also durchaus möglich.
Das Problem ist, dass sozusagen die eigene Partei natürlich auch erkennen muss, dass wenn man in einer Großstadt mit über 500.000 Einwohnern lebt und Politik macht, dass das natürlich auch heißt, dann in einer gewissen Art und Weise bei dieser Profilsuche, bei dieser Orientierung mit dem Profil diesen Spagat hinzubekommen. Das kann unheimlich spannend sein, weil ich glaube, wir als wertegebundene oder als Partei, die wertegebundene Politik betreibt, der gelingt es ja auch gerade bei den sogenannten weicheren Themen wie Integration, Sozialpolitik, Kinder- und Jugendhilfe, dass wir uns profilieren können.
Also der Erfolg damals für Ole von Beust lag ja darin, dass er als konservativer, bürgerlicher Vertreter einer bürgerlichen Partei moderne Politikfelder auch der Stadtgesellschaft besetzt hat. Also, man muss einfach, das Ziel muss sein, dass man zwei Dinge zusammenschiebt: die eigene Überzeugung, wertegebunden, mit den Dingen, die eine Stadtgesellschaft im Modernisierungsprozess auch erleben möchte. Und das ist diese sogenannte neue Bürgerlichkeit. Die wollen auf der einen Seite Industriepolitik, erfolgreiche Industriepolitik, die wollen Sicherheit haben, die wollen auf der anderen Seite aber auch stärkeren Naturschutz, Ausbau Kindertagesbetreuung. Also diese sogenannte neue Bürgerlichkeit als Stadtgesellschaft, die wollen diese beiden Dinge ja auch verbinden, nur – das ist das große Problem – wenn man das authentisch vertreten will, dann ist es schon so, dass man sehen muss, welche Kandidaten können das, und wie wird man auch sozusagen in der Profilbildung nicht zerrieben natürlich auch einer SPD und Grünen, die ganz gezielt auch als Gegenpart sich etablieren wollen.
von Billerbeck: Alles, was Sie jetzt geschildert haben an Themen und auch an Zuschreibungen, das passt ja auch auf die anderen Parteien. Deshalb meine Frage, Sie haben das Stichwort schon erwähnt, nämlich Angela Merkel, die erfolgreiche Kanzlerin – könnte man nicht sagen, wie das manche Analysten ja auch tun, das ist vielleicht gar kein Großstadtproblem, das die CDU hat, es ist ein Problem, dass Merkel zwar erfolgreich ist, dass sie aber, wenn man eine Kommunalwahl betrachtet, da eben nicht zieht, weil man eben nicht genau weiß, wofür steht die?
Weinberg: Ja, das ist genau der Punkt, also, das ist richtig. Die Analyse ist komplett richtig. Das kennen wir ja auch aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass dann, wenn man im Bund lange regiert und eine Bundeskanzlerin oder einen Bundeskanzler so erfolgreich ist, dass dann natürlich das nicht eins zu eins übertragbar ist auf Kommune oder auch auf Stadt. Das merken wir jetzt auch. Und Angela Merkel steht ja für einen offenen Kurs auch bei gewissen Themen. Also thematisch ist sie ja auch offen in vielen Bereichen. Die Union hat viele Themen gerade in den letzten Monaten ....
von Billerbeck: Vielleicht zu offen?
Im konservativen Milieu gibt es viele Unsicherheiten
Weinberg: Nein, das glaube ich nicht, ich glaube nicht, dass uns das konservative Milieu, das bürgerliche Milieu wegbricht. Obwohl es da große Unsicherheiten gibt, das muss man auch konstatieren. Also es gibt schon große Unsicherheiten, dass natürlich viele auch in Städten sich fragen – auch in Städten gibt es ein sehr konservatives Profil – was habt ihr gemacht beim Mindestlohn, Frauenquote, all diese Themen. Da habt ihr euch sozusagen der SPD auch geöffnet.
Nein. Ich glaube, dass Angela Merkel das genau richtig macht, weil sie sozusagen Veränderungspotenziale der Gesellschaft aufnimmt, aber trotzdem werteorientierte Politik betreibt. Und das muss halt die Kunst sein, jetzt sozusagen dieses auch auf die Städte zu transportieren. Und das gelingt aber leider nicht immer, und daran müssen wir jetzt arbeiten, indem wir sagen, wo können wir authentische Kandidaten gewinnen, wo können wir ein profiliertes Programm, das beide Seiten, das liberale, offene genauso wie das bürgerliche, werteorientierte, konservative abbildet, in einem Profil einer Großstadt, einem Profil einer Stadtgesellschaft abbilden. Das ist die Kunst, und daran werden wir in der Union jetzt auch weiter arbeiten, auch mit Blick auf die nächsten Jahre. Da tut sich aber auch sehr viel, also gerade auch der Generalsekretär ist da sehr offen, auch zu überlegen, wie muss eine Partei sich strukturieren, wie muss eine Partei auftreten, um beide Seiten abzudecken.
von Billerbeck: Also viel zu tun. Über die Probleme der Union als Großstadtpartei sprach ich mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg. Ich danke Ihnen!
Weinberg: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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