Nie wieder Nudelsalat!

23.06.2011
In seinem neuesten Band hat Rafik Schami Episoden über kleine Auffälligkeiten des deutschen Alltags gesammelt. Nach dem Lesen von "Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat" wird man selbigen vielleicht nie wieder zu einer Party mitbringen können.
Vor zehn Jahren machte eine Tageszeitung unter Schriftstellern, die aus anderen Ländern nach Deutschland eingewandert waren, eine Umfrage, was sie für die typischste Eigenschaft oder Angewohnheit der Deutschen hielten. Das Ergebnis war so erstaunlich wie skurril. Nichts, so befanden die Dichter, sei so typisch deutsch, wie der Satz: "Es zieht".

Der renommierte Schriftsteller Rafik Schami, der 1946 in Damaskus geboren wurde, nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Beirut 1971 nach Deutschland kam, in Heidelberg Chemie studierte und schon 1982 sein erstes, auf Deutsch geschriebenes Buch veröffentlichte, erhebt indes ein Nationalgericht zum Sieger deutscher Stereotypen: den Nudelsalat. Genauer gesagt, jenen Nudelsalat, den Deutsche mitbringen, wann immer sie zu einer Party, einem Grill- oder Geburtstagsfest eingeladen sind.

Für einen Araber, so Rafik Schami, seien nicht nur die Riesenschüsseln voller Nudelsalat gewöhnungsbedürftig, sondern auch das Ritual der Deutschen, mit Essen vor der Tür des Gastgebers zu erscheinen, von dem sie ja eigentlich zum Essen eingeladen wurden. In seinem Heimatland Syrien wäre dies eine schwere Beleidigung, ein gesellschaftlicher Fauxpas.

"Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat" ist der Titel des neuesten Erzählbandes von Rafik Schami, in dem sich Geschichten über unauffällige Auffälligkeiten der deutschen Seele und des deutschen Alltags finden, geschrieben von einem milden Humoristen, der sich den fremden und zugleich vertrauten Blick eines Inlandsethnologen bewahrt hat und sich bis heute darüber wundert, dass es in deutschen Kaufhäusern, die strukturell arabischen Basaren durchaus gleichen, nicht üblich ist, um den Preis der angebotenen Ware zu feilschen.

Nicht nur der Nudelsalat wird von Rafik Schami kopfschüttelnd belächelt, auch das Bedürfnis deutscher Germanistinnen, in jedes Gespräch mit grammatikalischen, linguistischen oder ideologischen Korrekturen besserwisserisch einzugreifen. Zugespitzt könnte man sagen: Eine Nudelsalat kochende Germanistin ist das Inbild deutscher Gegenwartskultur.

Rafik Schami schrieb diese Miniaturen, Anekdoten und Episoden, deren Erzählstil und Erzählökonomie ein wenig an Kalendergeschichten erinnern, in den vergangenen zwanzig Jahren. Es sind kleine Gelegenheitsarbeiten, die neben Rafik Schamis großen Romanen entstanden, aber alle das gleiche Thema umkreisen: kulturelle Bipolarität.

Der Icherzähler dieses Geschichtenbandes greift Erinnerungen an seine Jugend in Damaskus auf, verknüpft sie mit Erlebnissen und Wahrnehmungen aus Deutschland, an eine Heidelberger Wohnungsvermieterin, an Besucher aus dem Orient, an überanhängliche Besucher literarischer Lesungen, die den Schriftsteller Rafik Schami halbe Nächte lang mit ihren eigenen Geschichten in den Ohren liegen, weil sie zu wissen glauben, dass einem arabischen Dichter nichts lieber ist, als rund um die Uhr zu plaudern.

Rafik Schami ist ein ruhiger, gelassener, mild amüsierter Betrachter. Aus dieser Haltung geht der humane Ton seiner Texte hervor, dessen Freundlichkeit auf den Leser überspringt. Leichten Herzens beschließt man nach der Lektüre, nie wieder irgendjemandem Nudelsalat mitzubringen.

Besprochen von Ursula März

Rafik Schami: Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011
201 Seiten, 9,90 EUR
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