"Nie wieder Krieg!"

Von Norbert Sommer · 14.08.2010
Vor 65 Jahren zerstörten die USA die japanischen Städte Hirsohima und Nagasaki mit Atombomben. Das Elend und die verheerenden Folgen des Infernos sind auch heute noch eine eindringliche Mahnung, diese Waffen zu ächten. Welche Haltung hatten und haben die Christen in dieser Frage?
Hiroshima, Hiroshima mon amour, Film und Song, Leiden und Neubeginn. Hiroshima – ein Synonym für Tod und Verderben. Dennoch scheint all das, was am 6. August 1945 in Hiroshima und drei Tage später in Nagasaki geschah, eine längst vergangene Horrorgeschichte zu sein. 65 Jahre danach wird man wieder einmal daran erinnert. Aber sonst?

Hiroshima selbst legt Zeugnis dafür ab, dass es weitergeht. Die Stadt quirlt wieder voller Leben. Die Erinnerungen an den ersten Atombombenabwurf wurden aus dem Alltag systematisch verdrängt. Und doch ist nicht mehr alles so wie vor dem 6. August 1945, weder in Hiroshima noch irgendwo auf der Welt. Die Trümmer zehntausender zerstörter Gebäude konnte man beseitigen, die menschlichen Ruinen aber, all jene Bedauernswerten, die das Grauen überlebten, blieben eine Herausforderung.

Die Gesunden und Unbeteiligten gaben diesen Mitmenschen den Namen Hibakusha. Dieses Wort setzt sich zusammen aus Leid, Bombe und Mensch und gilt allen Menschen, die unter den Folgen der Bombe zu leiden hatten und haben.1981 ging man von 330.000 Japanern aus, die direkt oder später an den Folgen der beiden Atombomben starben. Doch die Totenlisten von Hiroshima und Nagasaki verlängern sich Jahr für Jahr um 2500 Spätopfer. Aber im Grunde sind wir alle Hibakusha, also Opfer der ersten eingesetzten Atombomben vor 65 Jahren.

Reportage: "1945, 5. August, 22.30 Uhr. Eine Insel im Pazifik in der Gruppe der Marianen. US-Colonel Paul Tibbet geht an den Bug eines amerikanischen Fernbombers vom Typ B 29 und reißt ein Tuch vom Rumpf der Maschine. Buchstaben werden sichtbar, ein Name: "Enola Gay". Gay heißt lustig, fröhlich. Es ist der Name seiner Mutter. Die Maschine ist getauft.

Militärpfarrer William Downy faltet die Hände und betet: "Allmächtiger Vater, der du die Gebete jener erhörst, die dich lieben. Wir bitten dich, denen beizustehen, die sich in die Höhen deines Himmels wagen und den Kampf bis zu unseren Feinden vortragen. Mögen die Männer, die in dieser Nacht den Flug unternehmen, sicher in deiner Hut sein, Amen.""

Am 6. August 1945, 2.40 Uhr startet der getaufte Bomber mit Kurs auf die achtgrößte Stadt der japanischen Inseln: Hiroshima. Über der 400.000 Einwohner zählenden Stadt wurde Entwarnung gegeben:

Reportage: "Die B 29 nähert sich in großer Höhe Hiroshima. Die Uhr zeigt 8.14 Uhr."

Vor dem Start des Bombers hatte auch der katholische Militär-Geistliche, George Zabelka, für ein baldiges Ende des Krieges und eine neue Friedensordnung gebetet. Er betete, dass die Männer, die den Einsatz flogen, sicher unter Gottes Schutz stehen und gesund zurückkehren möchten.

Und nach dem Abwurf der Bombe berichtete der amerikanische Rundfunk geradezu euphorisch über den Erfolg der neuen Waffe, mit deren Hilfe man Japan nun überall tödlich treffen könne.

Mit Sekt wurde dieses – wie US-Präsident Truman es nannte – "größte Ereignis der Geschichte" von amerikanischen Politikern und Militärs gefeiert, während die überlebenden Menschen von Hiroshima Grauenvolles erlebten und erlitten. Der deutsche Jesuit Helmut Erlinghagen, der beim Abwurf der Bombe am Fenster des Ordenshauses oberhalb des Zentrums der Stadt stand, erinnert sich:

"Unser Haus wurde sehr stark demoliert. Und wir sind heruntergelaufen Richtung Stadt und haben dort den Bauern geholfen, die Brände auf den Dächern zu löschen. Dann wurde es plötzlich dunkel. Es gab etwas ganz Ungewöhnliches: In Japan an einem Sommertag wird es nie dunkel. Es gab den berühmten schwarzen Regen der Atombombe.

Und als wir dann zurückgingen, strömten die Menschen schon zu unserem Haus. Wir hatten dann am Abend 160 Leute in unserem Haus. Die Menschen sahen schon unbeschreiblich furchtbar aus. Man kann es sich jetzt natürlich genau ausmalen, warum das so war. Sie hatten offen in die Bombe geschaut. Sie waren an allen Stellen, die nicht durch irgendwelche Kleider bedeckt waren beziehungsweise wo sie keine Kleider hatten – also am Oberarm und am Kopf – eine einzige Blase, das heißt die Blase war oft schon wieder geplatzt und sie waren überall total verbrannt. Das bloße Fleisch lag da – es war dann von Staub und Dreck sehr oft braun und grau statt violett und rot.

Sie sahen wirklich aus wie Monster. Vor allem war das Ganze noch stark geschwollen. Die Zunge hing raus, der Mund war geschwollen. Die Japaner haben ohnehin schon Schlitzaugen, so dass sie oft nicht mehr sehen konnten, denn alles war – wie gesagt – wund und geschwollen. Und aufgrund der Strahlung fing alles ungeheuer an zu eitern. Es war schon ein furchtbarer Geruch. Die offenen Wunden, der Eiter und dann der Kot, denn die hatten ja alle Diarrhoe, also Durchfall."

Die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki beneideten oft die Toten. Ihr Leid nahm kein Ende. Die Strahlenopfer leiden zum Teil bis heute an einer Vielzahl von Krankheiten und Behinderungen. Und was sagten die Verantwortlichen und direkt Beteiligten über den ersten Einsatz dieser schrecklichen neuen Bombe, nachdem sie das Ausmaß der Zerstörung und des Tötens kannten?

US- Präsident Truman bedauerte zwar die Opfer, hielt den Abwurf der Bombe aber für gerechtfertigt angesichts des Überfalls Japans auf die US-Flotte in Pearl Harbour und der Gräueltaten japanischer Soldaten gegen amerikanische Kriegsgefangene. Außerdem hätten die Atombomben ein rasches Ende des Krieges gebracht und somit viele – besonders amerikanische – Menschenleben gerettet. Amerikas erfahrenster Diplomat, George Kennan, wies dagegen mahnend darauf hin, dass die Vereinigten Staaten nicht nur als erste eine Atombombe bauten, sondern sie auch als einzige Macht im Kriege gegen Menschen eingesetzt haben - "wofür uns Gott eines Tages noch gnädig sein möge".

Paul Tibbet, der Pilot des Atombombers, sprach geradezu zynisch über seinen Einsatz. Es sei ein schöner Tag gewesen, wie gemacht, um eine Bombe abzuwerden. Ein schlechtes Gewissen habe er nicht, damit halte er sich nicht auf, darüber denke er nicht nach. Denn all das sei Vergangenheit, Hiroshima sei Geschichte. Die später kursierenden Meldungen, die in Hiroshima und Nagasaki eingesetzten Piloten hätten ihre Mitwirkung bereut und ihr Leben verändert, ja einer sei sogar in ein Kloster eingetreten, erwiesen sich schnell als völlig falsch. Auch der katholische Militär-Pfarrer George Zabelka empfand zunächst nichts Schlimmes an dem atomaren Erstschlag:

Gott stand auf unserer Seite. Die Japaner waren der Feind, und was meine Regierung und meine Kirche über den Feind lehrten, schien mir ganz eindeutig. Kein gelehrter theologischer Text war dazu nötig. Das tägliche Handeln des Staates und der Kirche zwischen 1940 und 1945 sagte mehr aus über die christliche Einstellung gegen den Feind und den Krieg als Augustinus oder Thomas von Aquin.

Ich war ganz sicher, dass diese Massenzerstörung richtig war. So sicher, dass mir niemals moralische Zweifel kamen. Meine Gehirnwäsche geschah nicht durch Gewalt oder Folter, sondern durch das Schweigen meiner Kirche und ihre vorbehaltlose Zusammenarbeit auf tausenderlei Wegen mit der Kriegsmaschine unseres Landes.


Später sah George Zabelka seine ganze Lebensaufgabe darin, die Menschheit auf die atomare Bedrohung aufmerksam zu machen. Er sprach davon, das Schweigen zu dem ungeheuren moralischen Verbrechen der Massenvernichtung von Zivilisten sei ein Versagen als Christ und Prediger gewesen. Für ihn sei es zudem ein Zeichen gewesen, dass 1600 Jahre christlichen Terrors und Gemetzels zum 9. August 1945 führten, als Christen die Atombombe auf die größte und erste katholische Stadt Japans, Nagasaki, warfen. Auf diesen besonderen Aspekt der Bombe auf Nagasaki wies 1985 auch der evangelische Berliner Bischof Kurt Scharf hin:

"Der erste Atombombenabwurf in Hiroshima und dann auch der folgende in Nagasaki sind für mein Empfinden letzte dringliche Warnungen Gottes an die Menschheit, nicht ihren eigenen Untergang zu betreiben. Und ich muss auch jedes Mal wieder erwähnen, in Nagasaki vor dem Berg sind bei dem Bombenabwurf vor allem die Christen in der Stadt getroffen worden.

Die älteste christliche Gemeinde Japans, die 300 Jahre Verfolgung durch den Shintoismus und auch durch den Buddhismus überdauert hat, ist auf Befehl eines christlichen Präsidenten und durch einen christlichen Soldaten durch eine Bombe ausgelöscht worden des Landes, das sich ganz besonders auf seinen christlichen Charakter beruft. Die dringlichste Aufgabe der christlichen Kirchen über die ganze Welt hin, der Ökumene im weitesten Sinne, des Ökumenischen Rates und der katholischen Bischofskonferenzen, ist, dazu zu helfen, dass wir eine atomwaffenfreie Welt schaffen, die bestehenden Atomwaffen verschrottet werden.

Das ist Aufgabe der Christenheit heute, wenn wir nicht durch grauenvolle Katastrophen auf die Vollendung der Welt, das Ende der Schöpfung zusteuern wollen. Gott legt uns vor den Weg zum Leben und den Weg zum Tode, damit wir das Leben wählen."

1945 äußerten sich weder Papst Pius XII. noch Kirchenvertreter der USA zum ersten Einsatz von Atombomben. Lediglich der Generalsekretär des US-Kirchenrates drängte zwei Tage nach dem vernichtenden Schlag auf Hiroshima "respektvoll" den US-Präsidenten, vor einem weiteren Atomschlag gegen japanische Städte der dortigen Regierung ein Ultimatum zu stellen. Die Antwort des Präsidenten: "Wenn man es mit einer Bestie zu tun hat, muss man sie wie eine Bestie behandeln."

Papst Pius XII. verurteilte 1953 erstmals eindeutig die atomare Rüstung, als er erklärte: Wenn der Einsatz nuklearer Waffen eine solche Ausdehnung des Übels mit sich bringe, dass es sich der Kontrolle des Menschen gänzlich entziehe, dann müsse sein Gebrauch als völlig unsittlich verworfen werden. Das Zweite Vatikanische Konzil präzisierte, jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstelle, sei ein Verbrechen gegen Gott und den Menschen, das fest und entschieden zu verurteilen sei.

Als das atomare Wettrüsten zwischen Ost und West immer mehr eskalierte, engagierten sich Christen besonders in den USA und in der Bundesrepublik mit teilweise spektakulären Aktionen für ein Verbot aller Nuklearwaffen. Hatte der evangelische Theologe Martin Niemöller bereits in den fünfziger Jahren die Atombombe als "praktischen Atheismus" bezeichnet, so nannte der katholische Erzbischof von Seattle, Raymond Hunthausen, 1981 die Vorbereitung auf einen Nuklearkrieg eine "globale Kreuzigung Jesu" und die Herstellung der Unterwasser-Rakete "Trident" als das "Auschwitz unserer Zeit", weil diese Atomrakete eine Zerstörungskraft von 2040 Hiroshima-Bomben habe.

Es hat lange gedauert, bis die christlichen Kirchen eine so klare Position bezogen haben, bis sie die schrecklichen Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki als Warnung und Herausforderung verstanden und akzeptiert haben. Für die mehrheitlich nicht-christlichen Japaner galt der leidenschaftliche Friedens-Appell von Papst Johannes Paul II. im Februar 1981 in Hiroshima als eine der bedeutendsten Solidaritätsadressen und engagiertesten Stellungnahmen zum 6. August 1945. In mehreren Sprachen rief der Papst aus, die Erinnerung an die Bombe bedeute, den Atomkrieg zu verabscheuen, die Erinnerung an Hiroshima bedeute, sich dem Frieden zu verpflichten. In deutscher Sprache sagte er:

"Versprechen wir unseren Mitmenschen, uns unermüdlich um Abrüstung und um die Ächtung aller Kernwaffen zu bemühen. Lasst uns Gewalt und Hass ersetzen durch gegensei-tiges Vertrauen und Solidarität. Jedem Menschen in diesem Lande und in der Welt rufe ich zu: Fühlen wir uns verantwortlich füreinander und für die Zukunft über alle politischen und gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Lassen wir die Menschheit niemals mehr zum Opfer im Kampf zwischen wetteifernden Systemen werden. Nie wieder darf es einen Krieg geben!"
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